Diskriminierungsvorwürfe gegen Check24
Das Vergleichsportal Check24 will zwei Jahre lang nur Entwickler und Produktmanager mit maximal zwei Jahren Berufserfahrung einstellen – das zeigt ein internes Dokument. Die Richtlinie dürfte nach Ansicht von Experten rechtswidrig sein.
Check24 sieht sich Vorwürfen der Altersdiskriminierung ausgesetzt. Eine im Frühjahr erlassene interne Recruiting-Richtlinie des Vergleichsportals, nach der nur noch Bewerber mit höchstens zwei Jahren Berufserfahrung eingestellt werden sollen, verstößt nach Ansicht von Experten gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG).
Hiring nicht nach „Standzeiten und Gehaltsbändern“
Begründet wird die Maßnahme unter dem Slogan „Hire for attitude, train for skill“ damit, dass Berufseinsteiger besser zu einer Unternehmenskultur passten, wo man „offen für unkonventionelle Ideen“ sei, „steile Lernkurven“ biete und „nach Fähigkeiten und Einsatz“ entlohne, nicht nach „Standzeiten und Gehaltsbändern“.
Die Regelung gilt laut dem Dokument nicht für Jobs während der Ausbildung (wie Praktika oder eine Werkstudententätigkeit), dafür aber explizit auch für das Recruiting von Führungskräften, ausgenommen ist nur die Besetzung von Geschäftsführerposten. Anfragen für Ausnahmefälle müssen demnach begründet und direkt an Check24-Gründer Henrich Blase gestellt werden.
Mit dem Ansatz, Führungskräfte selbst auszubilden, habe das mehr als 1000 Mitarbeiter große Unternehmen laut dem Dokument gute Erfahrungen gemacht: „So ist Check24 groß geworden“, heißt es da. Man sei überzeugt, „dass wir junge Talente brauchen, um in zehn Jahren mindestens genauso erfolgreich zu sein wie heute“. Auf eine Anfrage zu der Richtlinie antwortete die Check24-Presseabteilung bislang nicht.
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Ein langjähriger Mitarbeiter gibt sich gegenüber Finance Forward und Capital wenig überrascht von dem Papier und verweist vor allem die damit verbundenen Einspareffekte: „Leute, die direkt von der Uni kommen, lassen sich viel eher formen und sind viel günstiger.“ Seiner Erfahrung nach habe das dezentral über 70 Tochtergesellschaften und 20 Standorte organisierte Unternehmen aber auch viele Vorteile als Arbeitgeber, vor allem: „Du kannst schnell aufsteigen“.
Trotzdem sorgt die 2×2-Richtlinie im Unternehmen für Unruhe. „Wer über 30 ist, fühlt sich in dieser Firma unsicher“, kommentiert ein Insider. Dazu kommt, dass es bei dem Vergleichsportal traditionell keine institutionalisierten Arbeitnehmervertretungen gibt.
Handhabe gegen Richtlinie
Ein Betriebsrat sei immer „das große Schreckgespenst“ gewesen, berichtet ein Exmitarbeiter. Auf der Karriereplattform Kununu erklärte die Personalabteilung auf dem offiziellen Check24-Account vor einigen Jahren, es gebe in Deutschland viele Unternehmen ohne Betriebsrat: „Und zwar in der Regel dann, wenn Mitarbeiter und Geschäftsführung einen guten und respektvollen Umgang miteinander pflegen, direkt miteinander kommunizieren und etwaige Probleme gemeinsam angehen sowie diese lösen. Das entspricht auch hier unserer Kultur.“
Ein Betriebsrat, so der Berliner Arbeitsrechtsanwalt Marc-Oliver Schulze, hätte theoretisch eine Handhabe, „im Rahmen seiner Mitbestimmungsrechte gegen diese Richtlinie“ vorzugehen. Falls eine Arbeitnehmervertretung aber nicht existiere, könne „der Belegschaft nur dringend angeraten werden, einen solchen zu gründen“, so Schulze.
Für den Experten ist ein Verstoß der Richtlinie gegen das Benachteiligungsverbot des AGG offensichtlich: „Das AGG schützt vor Diskriminierungen aufgrund bestimmter Merkmale, darunter fällt auch das Alter“, sagt Schulze. „Auch wenn die Richtlinie sich nicht direkt auf das Alter bezieht, findet die Diskriminierung mittelbar statt“ – denn regelmäßig hätten Ältere „mehr als zwei Jahre Berufserfahrung“.
Auch der Jurist Till Bender vom DGB Rechtsschutz, einem Dienstleister des Deutschen Gewerkschaftsbunds, ist der Überzeugung, „dass diese Regelung eine mittelbare Diskriminierung wegen des Alters darstellt“. Es liege schließlich „in der Natur der Sache, dass ältere Menschen in der Regel mehr Berufserfahrung haben als junge“. Dieses „nur auf den ersten Blick neutrale Kriterium diskriminiert damit ältere Beschäftigte“.
„Belegschaft zu verjüngen“
Nach Schulzes Ansicht würden die Detailvorgaben der Richtlinie die mittelbare Diskriminierung sogar noch bestärken: „Denn Jobs während der Ausbildung werden ausgenommen“, wohl „vor dem Hintergrund, dass gerade Praktikanten oder Werkstudenten regelmäßig sehr junge Personen“ seien. Zudem werde explizit darauf hingewiesen, „dass geeignete Kandidaten mit kurzer Berufserfahrung auch auf Professional Level und aufwärts eingestellt werden können“, so Schulze. Sein Fazit: „Es geht somit offensichtlich darum, die Belegschaft zu verjüngen und bewusst ältere Mitarbeitende auszugrenzen.“
Für den Experten sei „nicht erkennbar, dass hinter dieser mittelbaren Diskriminierung ein sachlicher Rechtfertigungsgrund bestehen könnte“. Es reiche dabei auch nicht aus, „diese strikten Vorgaben, die kaum Ausnahmen zulassen, damit zu begründen, dass Seniors selbst ausgebildet werden sollen“, so Schulze.
Sanktionen drohen dem Unternehmen allerdings nur, wenn Mitarbeiter oder Bewerber dagegen vorgehen würden: Abgelehnte Bewerber könnten laut dem Anwalt Schadensersatzansprüche nach dem AGG geltend machen. Es sei zudem möglich, die Antidiskriminierungsstelle des Bundes einzuschalten. „Und wenn Mitarbeitende nicht mit diesem Vorgehen einverstanden sind, können sie sich an entsprechende interne Meldestellen wenden oder einen Betriebsrat gründen“, so Schulze.
In vielen deutschen Digitalunternehmen wird derzeit um eine Mitarbeitervertretung gerungen – die ganze Geschichte über den Betriebsratsboom der Startupszene lest ihr in der aktuellen Capital, die am Kiosk oder online erwerben könnt. Der vollständige Text erscheint in den kommenden Tagen auf Capital.de