Ant Financial dürfte vermutlich in Hongkong an die Börse gehen (Bild: Florian Wehde/Unsplash)

Ant Financial wagt einen Mega-IPO in unsicheren Zeiten

Ant Financial will in Hongkong an die Börse gehen – und soll damit den Finanzplatz stärken. Es könnte – inmitten politischer Unruhen und einer Pandemie – der größte IPO aller Zeiten werden. Was hat es mit dem Riesen-Fintech auf sich?

Die Taxis in Shanghai riechen nicht nach Zukunft, eher nach kaltem Rauch und altem Schlaf. Oft übernachten die Fahrer in ihrem Wagen, um etwas Geld zu sparen. Wenn es aber ums Bezahlen geht, ist die Zukunft längst da. Schon jetzt verläuft der Zahlungsverkehr auch bei einfachsten Besorgungen weitgehend elektronisch und über das Smartphone: Miete, Einkäufe, die Rechnung im Restaurant. Selbst Bettler fragen mitunter mit einem QR-Code nach Almosen. Bedenken wegen Datenschutz oder vollständiger staatlicher Überwachung des Zahlungsverkehrs haben die allerwenigsten Chinesen. Was zählt, ist Pragmatismus. Wer in China heute noch mit den roten Hundert-RMB-Scheinen, auf denen das Konterfei Maos prangt, bezahlen möchte, erntet oft genervte Blicke.

Der bargeldlose Zahlungsverkehr wird in China von zwei Unternehmen dominiert: WechatPay und Alipay. Nun soll das Unternehmen hinter Alipay, Ant Financial, in den kommenden Monaten an die Börse gehen. Ein genauer Termin steht noch nicht fest – und die Frage ist auch, ob der Zeitpunkt inmitten von Pandemie und einer Zuspitzung der politischen Lage in Hongkong ein günstiger ist. Mit ziemlicher Sicherheit dürfte der Börsengang dafür einer der größten überhaupt werden. Das Unternehmen strebt eine Bewertung von rund 200 Milliarden Dollar an. Fünf bis zehn Prozent der Anteile sollen dabei verkauft werden. Behilflich dabei sind die chinesische Investmentbank CICC sowie das Schweizer Institut Credit Suisse.

Alipay ist dabei weitaus größer als der Konkurrent WechatPay, hinter dem der Konzern Tencent steckt. Rund 600 Millionen Kunden nutzen den Dienst weltweit. In China hat Alipay einen Marktanteil von 80 Prozent. Um chinesischen Touristen das Bezahlen zu erleichtern, ist das Unternehmen auch in Europa aktiv. Das Online-Bezahlsystem ist allerdings nicht das einzige Produkt der Firma.

Ein Börsengang im zweiten Anlauf

Zu Ant Financial gehört auch Yue Bao, was so viel heißt wie „Versteckter Schatz“. Der Fonds war lange Zeit einer der größten der Welt. Er verwaltet Geld von einem Drittel aller Chinesen. Im März waren das noch rund 178 Milliarden Dollar. In letzter Zeit schwächelt Yue Bao allerdings etwas. Lange Zeit lag die Verzinsung über dem Zinssatz der Banken, eine zeitlang sogar bei sechs Prozent. In diesem Jahr aber liegt die Rendite nur noch bei 1,4 Prozent und damit niedriger als der Zinssatz von Spareinlagen. Hinzu kommt Sesame Credit, ein Bonitätssystem, sowie kleinere Banken und Kreditdienste.

Eigentlich sollte Ant Financial schon 2018 an die Börse gehen. Die Pläne wurden aber aus unbekannten Gründen auf Eis gelegt. Vielleicht lag dies auch an internen Hürden: Denn innerhalb Chinas hatte das Unternehmen einige Widerstände zu überwinden, nimmt es doch den Staatsbanken einen Teil ihres Geschäfts weg. 2020 soll nun der zweite Anlauf folgen. Als der Mutterkonzern Alibaba 2014 an die Börse ging, spielte das 25 Milliarden Dollar ein. Es war der damals größte Börsengang aller Zeiten. Kurz davor hatte Gründer Jack Ma Alipay noch aus dem Konzern ausgegliedert.

Der Ausnahmeunternehmer und ehemalige Englischlehrer hatte das Unternehmen innerhalb weniger Jahre zu einem der größten Internetkonzerne der Welt aufgebaut. Maßgeblich für den Erfolg war die Ecommerce-Plattform Taobao, eine Art Mischung aus Ebay und Amazon, die innerhalb Chinas von rund 500 Millionen Menschen genutzt wird. Taobao ermöglichte es Millionen von Chinesen, die in entlegenen Gebieten leben, am Geschäftsleben teilzunehmen.

„Hongkongs Rolle als internationaler Finanzplatz wird gestärkt“

Ant Financial wird wohl in Hongkong und auf dem Festland gleichzeitig an die Börse gehen. Die Entscheidung für Hongkong ist brisant: Die Stadt kommt seit über einem Jahr nicht zu Ruhe. Die Regierung hatte zuletzt Anfang Juli ein neues Sicherheitsgesetz verabschiedet, das faktisch die Autonomie der Sonderverwaltungszone beendet. Das Gesetz richtet sich gegen zahlreiche Demokratieaktivisten, denen fortan hohe Haftstrafen drohen. Es beschädigt allerdings auch den Wirtschaftsstandort Hongkong, denn zu dessen Vorteilen gehörte bisher neben der geografischen Lage vor allem die Rechtssicherheit. Zudem verheißen die Spannungen mit den USA nichts Gutes.

Edward Tse, selbst Hongkonger, aber Teil der wirtschaftsnahen Peking-Fraktion, sieht nicht nur Nachteile für den Standort. „Hongkongs Rolle als internationaler Finanzplatz wird durch die internationalen Entwicklungen eher gestärkt“, sagt der Gründer der Beratungsgesellschaft Gaofeng. „Viele chinesische Unternehmen lassen sich derzeit an US-Börsen delisten und gehen stattdessen nach Hongkong. Andere machen ihren Börsengang lieber gleich in Hongkong.“

Bisher zumindest hat Tse Recht offenbar recht: Seit Wochen steigen nicht nur die westlichen Aktienmärkte. Auch in China investieren erstmals seit fünf Jahren wieder Millionen von Kleinanlegern in die Börse. Der letzte Boom endete 2015 mit einem Crash, der für viel Unmut in der Bevölkerung sorgte. In den vergangenen Tagen profitierte auch die Aktie des Mutterkonzerns: Alibaba stieg von knapp 200 Dollar Mitte Mai auf 250 Dollar – ein Allzeithoch.