100 Millionen Kunden in wenigen Jahren? Welche Chancen der N26-Angriff von Wirecard hat
Mit einem eigenen Smartphone-Konto will Wirecard in nur sechs Jahren zu einer der größten Endkundenbanken der Welt aufsteigen. Die Konkurrenz nimmt zu: Auch Google plant ein eigenes Girokonto. Analyse eines zunehmend umkämpften Markts.
Die Interviews, die Markus Braun derzeit gibt, sind eher schwierige Prüfungen für den Wirecard-Chef. Denn sein Unternehmen steht seit Wochen unter Beschuss: Die Financial Times hatte zahlreiche kritische Berichte veröffentlicht und wirft dem deutschen Dax-Aufsteiger etwa vor, seine Bilanzen frisiert zu haben. Braun bestreitet das vehement, der Börsenkurs des Payment-Unternehmens schwankte dennoch stark.
In den vergangenen Jahren sind schon zahlreiche andere Fintechs, etablierte Finanzhäuser sowie branchenfremde Unternehmen in den Kampf um die Bankkunden eingestiegen. Mit schicken Apps versuchen sie, eine junge digitale Zielgruppe mit Bankkonten zu locken, die sich über das Smartphone besonders einfach bedienen lassen, vergleichbar mit anderen populären Anwendungen wie zum Beispiel der Streaming-App Spotify. Bis auf Banking-Startups wie N26 und Revolut ist jedoch keinem Anbieter der Durchbruch gelungen. Um den Angreifer der Sparkassen, Yomo, ist es still geworden; und auch die App O2-Banking von Telefonica kann kein schnelles Kundenwachstum vorweisen.
Boon Planet hat dagegen gar keine schlechten Chancen, groß zu werden: Wirecard ist ein Tech-Unternehmen und kann gleichzeitig viel Geld in die Produktentwicklung und den Markenaufbau stecken. Doch wie funktioniert die App? Und wer sind die wichtigsten Konkurrenten? Wir haben uns das Vorhaben genau angeschaut.
Wie gut ist die App?
Die größte Hürde ist bei allen Bank-Apps die Anmeldung. Im Fall von Boon dauert es im Selbstversuch etwa drei Minuten, um sich anzumelden, sowie weitere vier Minuten für die Video-Identifikation mithilfe des Drittanbieters IDNow. Das ist im Vergleich zu anderen Apps gut. Über eine Scan-Funktion der Kreditkarte lässt sich auch schnell Geld auf das Konto bringen – und eine virtuelle Kreditkarte ist sofort bei Apple Pay hinterlegt. Das Konto ist zudem gebührenfrei.
Für die Ausgaben bietet die App Kategorien wie Freizeit oder Lebenshaltung. Zwischen Boon-Nutzern kann man Geld in Echtzeit hin und her schicken. Wer Geld am Automaten abheben will, muss allerdings zwei Euro zahlen. Das ist etwa bei N26 ein paar Mal pro Monat gebührenfrei.
Welche Funktionen sind geplant?
Neue Zusatzfeatures sollen schon bald kommen. „Viele weitere Offerten wie zum Beispiel Fahrdienste und Tickets für U-Bahn, Oper oder Fußballstadion“ seien geplant, sagte Braun im Interview mit dem Handelsblatt. Damit würde sich die App von den bisherigen Banking-Apps abheben. N26 hat vor einiger Zeit angefangen, Rabattaktionen mit Partnern wie dem Scooter-Verleiher Lime oder der Hotelplattform Booking zu starten. Eine Integration mit Tickets gibt es allerdings nicht.
Wirecard orientiert sich dabei an chinesischen Apps wie Alipay, dort lässt sich aus dem Payment-Angebot heraus auch ein Ticket fürs Kino buchen oder ein Taxi rufen. Sollte es dem Unternehmen gelingen, alle Buchungsfunktionen in der App zu ermöglichen, wäre das ein starkes Feature, um sich von anderen Apps abzuheben.
Wer sind die wichtigsten Konkurrenten?
Fast im Wochentakt verkünden neue Unternehmen, in den Banking-Markt einsteigen zu wollen. Gerade erst hat Google bekanntgegeben, dass es zusammen mit Citibank Girokonten anbieten will. Facebook testet zurzeit in den USA einen Dienst, mit dem Nutzer Geld per Messenger hin und her schicken können. Ist der erfolgreich, könnte das soziale Netzwerk daraus auch ein Banking-Produkt entwickeln.
Auch Apple ist kürzlich mit einer Kreditkarte gestartet, zusammen mit der Investmentbank Goldman Sachs. Ein Angebot, das auch nach Deutschland kommen soll. Und das Payment-Unternehmen Klarna bietet seit einigen Monaten eine Kreditkarte an – inklusive schicker App. Die Fintechs N26 und Revolut haben allerdings in Deutschland bereits eine größere Nutzerbasis gewonnen und können viel Geld von Wagniskapitalgebern in die Expansion stecken.
Woher sollen die Boon-Kunden kommen?
Wirecard-Chef Markus Braun setzt nicht nur darauf, die Endkunden direkt zu gewinnen. „Wir (…) bieten das Konzept auch anderen Partnern an, großen Versicherungen zum Beispiel oder anderen Banken, die den Service unter ihrer eigenen Marke nutzen können.“ Auf dieser Basis will er auch „Hunderte Millionen Bankkunden“ gewinnen. Es muss sich zeigen, welche Unternehmen sich darauf einlassen. Am Ende muss auch ein Partner irgendwie Kunden anlocken.
Wer kann sich durchsetzen?
Schon die hohen Neukundenprämien (teilweise um die 150 Euro) der Banken zeigen, wie schwer und teuer das Kundenwachstum sein kann. Beim Banking-Startup N26, das mit viel Mühe eine Marke aufgebaut hat, soll der Preis bei 30 bis 40 Euro pro Kunde liegen. Es wird auf die wichtige Frage hinauslaufen, wer es schafft, mit vergleichsweise geringen Kundenakquisitionskosten zu wachsen. Das wird vor allem über eine starke Marke funktionieren. Davon kann beispielsweise Apple stark profitieren, das immer noch eine große Fangemeinde hat. N26 hat dies im deutschen Markt ebenfalls gut geschafft, wenn auch auf einem anderen Niveau natürlich.
Ansonsten wird es schwierig, bei steigenden Marketingkosten gute Wege zu finden, um die Kunden anzulocken. Daran hängt alles. Für Wirecard ist der erste Versuch, eine Marke im Endkundenbereich groß zu machen. Findet das Unternehmen starke Partner, könnten diese für schnelles Wachstum sorgen. Ansonsten wird es schwer – zumindest in sechs Jahren – global zu so einem mächtigen Player aufzusteigen. Das etwa Banken und Versicherungen bei der Skalierung helfen, wie von Braun in dem Interview angesprochen, ist schwer vorstellbar. Denn die Unternehmen haben jetzt schon Schwierigkeiten, im Netz neue Kunden zu gewinnen.