Was wurde aus dem Vier-Milliarden-Dollar-ICO von EOS?
Block.One stemmte 2018 den größten ICO aller Zeiten – vier Milliarden Dollar kamen zusammen. Nun will die Firma endlich mit einem richtig großen Use Case live gehen. An den Erfolgsaussichten gibt es aber bereits Zweifel.
Brendan Blumer muss liefern. Er hat schließlich mehr als vier Milliarden Dollar eingesammelt, ohne dafür ein konkretes Produkt zu präsentieren. Der ICO seines Unternehmens Block.One war 2018 der größte aller Zeiten und er ist es bis heute geblieben. In der Krypto-Rauschstimmung von 2017 und 2018 war es zwar normal, dass Anleger fast nichts über die Krypto-Projekte wussten, deren Token sie kauften. Aber Block.One war besonders geheimniskrämerisch – und besonders erfolgreich.
Was bekannt war: Block.One wollte mit seinen EOS-Token und der zugehörigen Blockchain eine Plattform schaffen, auf der Use Cases außerhalb der Finanzbranche möglich sein sollten. Wer das übernehmen würde und welche Anwendungen es geben sollte, blieb unklar. Seither hat sich einiges getan, einige hundert externe Projekte gingen auf der Blockchain live, eher durchschnittlich erfolgreich. Doch Anleger warten noch immer auf das große Ding – das EOS-Projekt, das einen Vier-Milliarden-ICO rechtfertigt.
Ein Use Case mit großen Zielen
Im Sommer 2019 verkündete Blumer erstmals seinen großen Plan, die Welt der sozialen Medien zu revolutionieren. Er beruht auf zwei Versprechen. Das erste: Auf Voice werden echte Menschen mit echten Menschen verbunden. Nutzer können sich nur unter ihrem echten Namen anmelden, Pseudonyme sind nicht erlaubt. Jeder wird verifiziert, es gibt keine Bots. Voice soll ein Angriff auf Facebook, Instagram und Twitter sein, am ehesten orientiert sich das Netzwerk aber an Twitter.
Das zweite Versprechen: Keine großen Unternehmen sollen an den Inhalten verdienen, sondern die Nutzer. Sie sollen für Qualitätscontent belohnt werden, dabei soll die Integration einer Kryptowährung und einer Blockchain helfen. Es klingt, als könnte die Technologie endlich das liefern, was ihre größten Fans seit Jahren von ihr erwarten – die Demokratisierung des Internets.
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Voice-Nutzer werden am Erfolg der eigenen Inhalte direkt beteiligt. Sie sollen für Inhalte, Likes und Kommentare Token erhalten, die sie entweder einsetzen können, um sich selbst mehr Reichweite zu verschaffen, oder sie können sie an Werbetreibende verkaufen. Der Preis dieser Token soll mit Relevanz und Reichweite steigen. 10.000 Nutzer werden zum Beta-Launch zugelassen, bevor es im Sommer richtig los gehen soll.
Philipp Sandner vom Blockchain Center der Frankfurt School of Finance findet den Ansatz spannend. „Da Voice in den Bereich der Datenmonetarisierung fällt, passt es sehr gut, das mit einer Blockchain anzugehen“, sagt er. Diese würde Daten und Bezahlung in ein Ökosystem vereinen – ein Schritt, der Sinn ergebe. Er sehe allerdings auch die Schwierigkeit, signifikant Marktanteile zu gewinnen.
Angermayer und die 100 Influencer
Fast drei Milliarden Menschen nutzen weltweit soziale Medien – wie sollen die zu einem Wechsel überredet werden? Einer der prominentesten Unterstützer des Projekts, der deutsche Risikokapitalgeber Christian Angermayer, hat dafür einen Plan. „Es gibt einige Hundert Nutzer bei Twitter, die den größten Einfluss haben“, sagt er im Gespräch mit Finance Forward. „Wenn man sie von Voice überzeugt, dann kommt der Rest von ganz alleine.“ Er denke dabei an US-Präsident Donald Trump oder Tesla-Boss Elon Musk. Bei Musk versuchte Block.One-Gründer Blumer bereits sein Glück: Am Dienstag twitterte er ihn an, bekam aber keine Reaktion.
Angermayer hat im Dezember 2017 in Block.One investiert, inzwischen ist er seinen Angaben zufolge nach den Gründern der größte institutionelle Anteilseigner. Er sieht in Voice großes Potenzial. „Bislang waren die Nutzer das Produkt. Sie haben Inhalte produziert, ohne dafür eine Leistung zu erhalten.“ Stattdessen hätten Konzerne daran verdient. Voice werde das ändern.
Die Frage nach der Adaption bleibt aber eine der größten Baustellen für Voice. Jüngere Nutzer seien zwar generell schneller für eine neue Plattform zu begeistern, sagt Verhaltensforscher Maxi Heitmayer von der London School of Economics. „Ob sie bei Voice bleiben, wird aber davon abhängen, wie gut das Medium ihnen ermöglicht, miteinander zu kommunizieren und sich auszuleben.“
Bei älteren Nutzern sei das anders – sie seien weniger wechselwillig, weil sie schon seit langem auf anderen Plattformen seien und etwa ihr Facebook-Profil über Jahre aufgebaut hätten. Heitmayer sagt dennoch, Voice stehe für eine „spannende gesamtgesellschaftliche Entwicklung“. Viele Follower zu haben sei eine Art soziales Kapital, das sich indirekt in finanzielles Kapital übersetzen lasse – das, was Influencer in den vergangenen Jahren mit Werbung bereits vorgemacht hätten.
„Sollte Voice wirklich Fuß fassen, wird dieser direkte Umtausch von Aufmerksamkeit in Kaufkraft einen spannenden Einfluss haben“, sagt Heitmayer. „Vielleicht verdienen dann immer mehr Menschen ihren Unterhalt durch die Inhalte und vor allem die Narrative, die sie um ihre öffentliche Persönlichkeit aufbauen.“
Voice ohne EOS – verliert das Projekt sein Alleinstellungsmerkmal?
Brendan Blumers Block.One hat kurz vor dem Start von Voice jedoch auch andere große Probleme. Kürzlich musste Blumer einräumen, dass Voice zunächst nicht auf der öffentlichen EOS-Blockchain laufen werde, sondern auf einer zweckgebundenen privaten Blockchain. In den erst kürzlich erstellten FAQ auf der Webseite wird zwar in Aussicht gestellt, dass Voice zu gegebener Zeit auf die EOS-Blockchain wechseln könnte, doch festlegen will sich das Unternehmen nicht. Dabei hieß es noch in der ersten Ankündigung von Voice, dass die Plattform definitiv auf EOS laufen werde.
Das ist schon bemerkenswert – schließlich ist EOS Block.Ones Flaggschiffprodukt, hierfür hat es die vier Milliarden Dollar aufgenommen. Ein unabhängiger EOS-Entwickler aus Irland, Sharif Bouktila, sagte gegenüber Coindesk: „Mir liegt zwar noch keine endgültige Entscheidung vor, aber wenn Block.One die EOS-Blockchain für die eigenen Applikationen selbst nicht nutzen muss, wirft das ernste Fragen auf, zunächst, warum das so ist und wer denn dann die Blockchain nutzen sollte.“
Vom Unternehmen selbst heißt es dazu: „In der Beta-Phase befindet sich Voice in einem stark iterativen Zustand“, daher werde es auf einer „speziell angefertigten EOS.IO-Blockchain ausgeführt, um schnelle Tests und Iterationen zu ermöglichen“, so eine Sprecherin. „Nach einiger Zeit möchten wir dann, dass Voice die EOS-Blockchain wirksam einsetzen kann.“
Das, sagt Analystin Meltem Demirors von Coinshares, sei auch notwendig, denn auf der speziellen Blockchain dürfte es bald zu Problemen kommen. Diese werde „nicht in der Lage sein, die Kapazität bereitzustellen, die zur Unterstützung einer groß angelegten Social-Media-Plattform in ihrem derzeitigen Zustand erforderlich ist“, sagt sie zu Finance Forward. Es werde „interessant sein zu sehen, ob Voice in das öffentliche Netz von EOS migriert wird.“ Schließlich soll die Blockchain einmal ein breites Spektrum von Anwendungsfällen bedienen. „Bisher waren die beliebtesten Projekte bei EOS jedoch – wie bei vielen anderen Blockchainprojekten auch – spekulative Trading- und Glücksspielprodukte“, kritisiert Demirors.
Investoren halten an EOS fest, Kritiker an ihrer Kritik
Ran Neuner von Onchain Capital ist sich hingegen sicher, dass Voice nach der Testphase auf EOS laufen wird. „Man darf die Komplexität von Voice nicht vergessen, es muss mehreren verschiedenen Regulierungen gerecht werden und beinhaltet eine Kryptowährung – es muss also verantwortungsvoll gelauncht werden“, sagt er zu Finance Forward. Er hat selbst in EOS investiert und glaubt nach wie vor stark an das Projekt. Für ihn sei Voice der „ultimative Use Case“ für die Blockchain.
In der Szene gibt es aber auch eine große Schar an Block.One-Kritikern. Sie halten das Projekt für überfinanziert und zu wenig produktorientiert. „Block.One hätte den ICO bei 100 Millionen beenden sollen“, bemängelte etwa der Entwickler Richard Burton 2018 bei einem Panel zu EOS. „Mangel an Kapital schränkt Software nicht ein.“ Hat er seine Meinung inzwischen geändert, nun, da das erste Block.One-Produkt vor der Tür steht?
„Nein, es ist immer noch ein Desaster“, sagt er im Gespräch mit Finance Forward. „Sie suchen immer noch nach Relevanz.“