Blockchain-Interessenkonflikt: Die grenzwertige Doppelrolle eines „SZ“-Autors
In der „Süddeutschen Zeitung“ darf ein Autor ausführlich über die Blockchain-Technologie berichten, obwohl er selbst Krypto-Unternehmer ist. Eine Grenzüberschreitung?
Das Medienecho auf die groß angekündigte Blockchain-Studie W3Now des Hamburger Vereins Hanseatic Blockchain Institute war verhalten – mit einer Ausnahme: Exklusiv berichtete die „Süddeutsche Zeitung“ vorab und räumte dafür in ihrem Wirtschaftsteil eine halbe Zeitungsseite frei. „Die kleine Blockchain-Hochburg“ stand über dem Text, der einige Ergebnisse der Studie umriss, Zitate von Krypto-Experten und -befürwortern enthielt und zum Schluss mit einem Ausflug auf die US-Branchenkonferenz ETHDenver aufwartete. Und der recht meinungsstark bilanzierte: Die Eroberung eines Massenmarkts bleibe der Blockchain „durch strenge Regulierung versperrt“.
Was jedoch weder in noch unter dem Artikel (und auch nicht in der Online-Version) Erwähnung fand: Der Autor des Textes, Roman Keßler, ist selbst als Unternehmer in der Blockchain-Branche tätig und dort vor allem als PR-Berater bekannt. Im vergangenen Jahr rief er unter anderem selbst zur Teilnahme an der W3Now-Studie auf.
„Keinerlei Interessenkonflikte“
Gegenüber Capital und Finance Forward erklärt die „SZ“-Chefredaktion dazu auf Anfrage, der Autor habe „den Artikel zu Blockchains als freier Journalist angeboten“. Außerdem habe er „auf Nachfrage vor der Veröffentlichung“ versichert, „nicht mehr in der PR für Blockchain-Firmen aktiv zu sein, seit 1.1. ausschließlich journalistisch zu arbeiten und dass es keinerlei Interessenkonflikte in Bezug auf das Thema des Artikels gebe“. Er sei „nach eigenen Angaben in keiner Weise in die Studie involviert, er habe lediglich vor einem Jahr einen als Meinung beziehungsweise Kolumne gekennzeichneten Text darüber verfasst“.
Das klingt zum einen so, als ob Keßler sich vollständig auf seine journalistische Tätigkeit verlegt hätte – Interessenkonflikt also aus Prinzip ausgeschlossen. Und zum anderen wird suggeriert, der nahtlose Wechsel vom Feld der PR in das der journalistischen Berichterstattung zum gleichen Thema sei vollkommen unproblematisch. Das mag man so sehen – mindestens aber hätte es Lesern und Leserinnen geholfen, den bisherigen Hintergrund des Autors zu kennen, etwa mithilfe eines Transparenzhinweises. Den aber gab es nicht.
Zumal Keßler noch immer als Geschäftsführer und alleiniger Gesellschafter eines Blockchain-Unternehmens amtiert: Die in Fulda angemeldete Make Europe GmbH ist laut Website auf Web3-Eventtechnologie, Online-Marketing, B2B-Consulting und Non-Fungible-Tokens spezialisiert; die Firma erbringe „Medien- und Veranstaltungsdienstleistungen“, heißt es im Handelsregister etwas nüchterner.
PR für Krypto-Start-up Bitwala
Auch nach dem 1. Januar 2024 stellte sich Keßler im Netz als „Web3-Entwickler bei der Make Europe GmbH in Frankfurt“ vor: „Im Herzen Europas baut der Fintech-Profi international prämierte Internetanwendungen rund um Bitcoin, Ethereum und den Digitalen Euro.“
Als PR-Berater war Keßler außerdem noch mindestens in der zweiten Jahreshälfte 2023 tätig, so verschickte er für das Krypto-Unternehmen Bitwala im September, November und sogar noch am 19. Dezember Themenpitches an Journalisten und Blogger. Auf einen Fragenkatalog von Capital und Finance Forward sowie Bitten um Stellungnahme reagierte Keßler nicht.
Über ein Themengebiet, in dem man unternehmerisch tätig ist, parallel als Journalist zu schreiben – das verbietet sich eigentlich. Es untergräbt das Vertrauen der Leser und Leserinnen in eine unabhängige Berichterstattung. Im Pressekodex des Deutschen Presserats heißt es dazu: „Übt ein Journalist oder Verleger neben seiner publizistischen Tätigkeit eine Funktion, beispielsweise in einer Regierung, einer Behörde oder in einem Wirtschaftsunternehmen aus, müssen alle Beteiligten auf strikte Trennung dieser Funktionen achten. Gleiches gilt im umgekehrten Fall.“
Aufruf zur Studienteilnahme
Zur Vereinbarkeit von PR- und journalistischer Arbeit heißt es bei Freischreiber, dem Verband freier Journalisten: Wer neben seiner Tätigkeit als freier Journalist auch PR-Aufträge annehme, habe „diese streng voneinander getrennt“ zu halten. Freischreiber-Mitglieder, so heißt es in den Leitlinien, „legen Abhängigkeiten und Interessenverflechtungen, wenn sie gegeben sind, gegenüber ihrem Auftraggeber offen. Sie lancieren keine als Journalismus getarnten PR-Beiträge. Sie lassen sich nicht von zwei Seiten bezahlen.“
Im konkreten Fall geht es aber nicht nur um die potenziell kritische Mehrfachrolle als Unternehmer, Ex-PRler und Journalist. Offenbar war Keßler mit seiner Firma auch bei dem Studienprojekt involviert, über das er nun in der „SZ“ berichtete. In einem Text für das Portal Finanzen.net aus dem April 2023 rief Keßler zur Teilnahme an der Blockchain-Studie auf: Unternehmen seien „eingeladen, Teil der deutschlandweiten W3now-Studie zu werden“. Und weiter: „Die Make Europe GmbH, eine der führenden europäischen Web3-Softwareschmiede in der Wirtschaftsregion Frankfurt-Rhein-Main, ist dabei. Wir hoffen auf rege Beteiligung aus der Region, die zwischen Mainz und Karlsruhe bereits brummt.“
Die Branchenkonferenz in Denver, von der Keßler im „SZ“-Artikel auch berichtet, besuchte der Autor offenbar nicht nur als Berichterstatter, ausweislich seiner Linkedin-Seite nahm er mit seinem Team auch an einem Programmierwettbewerb der Konferenz teil: „Bin froh bekanntzugeben, dass mein Team zum zweiten Mal in der Top 30 des weltweit größten Web3-Hackathons gelandet ist!“ Eine ergiebige Reise für den Journalist/Unternehmer – aber auch das: eigentlich eine Grenzüberschreitung. Wenn man es denn so sieht.