Deutsches Gründer-Trio landet erneut im Y Combinator
Mit Anfang 20 zogen sie aus Deutschland ins Silicon Valley – mit nicht viel mehr als einer Idee. Der erste Erfolg kam schnell und ihr Fintech-Startup Blair wurde in die namhafte Startup-Schmiede Y Combinator aufgenommen, 100 Millionen Dollar standen zur Verfügung. Doch es lief nicht wie geplant. Im Gespräch erzählt Gründer Mike Mahlkow, wie er und das Team die Finanzplattform Blair verkaufte, über eine Klagewelle – und was sie nun mit ihrer nächsten Gründung vorhaben.
Viel könne nicht schiefgehen, sagte sich Mike Mahlkow, als er nach dem Studium in Deutschland ins Silicon Valley ging, um ein Fintech-Startup zu gründen. Er wollte in der „Champions-League“ der Startup-Welt spielen. Im schlimmsten Fall würden er und das Team das Unternehmen „gegen die Wand fahren“ – und schlauer nach Deutschland zurückkehren, um hierzulande durchzustarten, sagte der Gründer einmal.
Zwei Jahre ist das her. Ihr Unternehmen Blair, das Studienfinanzierungen vergeben hat, war 2021 auf einem guten Weg. Sie waren in die Startup-Schmiede Y Combinator eingezogen, prominente Investoren wie Tiger Global hatten auf das Team der drei deutschen Gründer Mike Mahlkow, David Nordhausen und Constantin Schreiber gewettet, mehr als 100 Millionen Dollar sollten an die Studentinnen und Studenten fließen.
Eine neue Art der Studienfinanzierung
Sie waren 2019 angetreten, um ein großes Problem zu lösen: In den USA häufen sich Studienkredite an, die sich meist nur schwer zurückzahlen lassen – manche sprechen bereits von der nächsten Schuldenblase. Das wollte Blair ändern und Studierenden eine bessere Möglichkeit bieten, ihr Studium zu finanzieren. Über eine Plattform boten die Gründer eine alternative Finanzierungslösung an. Studierende verpflichteten sich dabei, einen festgelegten Prozentsatz ihres späteren Einkommens als Tilgung zurückzuzahlen.
Dazu verkaufte Blair Software an Bildungseinrichtungen, mit der sie ihr eigenes Kreditangebot organisieren konnten. Außerdem setzten sie einen Debt-Capital-Fund auf, um Bildungsprogramme ihrer Partner zu finanzieren. Ihr Plan: Diese Art der Studienfinanzierung endlich massentauglich machen.
Kritik an Income-Share-Agreements
Zunächst lief das Geschäft gut an. „Im Mai 2021 hatten wir noch neues Kapital eingesammelt, über das nächste halbe Jahr lief dann eigentlich alles nach Plan“, sagt Mahlkow im Gespräch. „Doch dann gab es regulatorische Änderungen auf dem Markt, die uns zu schaffen machten.“ Die sogenannten Income Share Agreements (kurz: ISA) – ein Modell, das in Deutschland beispielsweise an Privatuniversitäten wie der WHU angeboten wird – waren ein Novum auf dem US-amerikanischen Markt. Schnell gab es Kritik. Studierende würden vorab zu wenig über ihre späteren Zahlungen aufgeklärt und müssten unter Umständen sogar höhere Zinsen zahlen als bei traditionellen Studienkrediten. Die verschiedenen Angebote seien oft intransparent und ihre Kosten schwer zu prognostizieren, hieß es.
Bei Blair sei das anders gewesen, sagen die Gründer. Man habe eigene Höchstgrenzen für Zinsen gesetzt und viel Wert auf Transparenz gegenüber Studierenden gelegt. Doch neben konstruktiver Kritik habe das Team auch politische Machtkämpfe und Lobbying wahrgenommen. „Wir hatten den Eindruck, dass bestimmte Gruppierungen mit ihrer Kritik politisches Kapital schlagen wollten“, sagt Mike Mahlkow. „Zudem hat die Student-Loan-Lobby einiges an Geld in das Lobbying gegen ISAs gesteckt, weil sie ihre sehr profitreiche Marktposition verteidigen wollten.“ In den USA sind traditionelle Studienkredite nach wie vor das vorherrschende Finanzierungsmodell für Studierende. ISAs bieten eine Alternative dazu und machen den etablierten Playern Konkurrenz.
Es folgte ein Versuch der Politik, ein nationales Gesetz zur Regulierung von ISAs zu verabschieden. „Wir waren sehr große Befürworter von nationalen Gesetzen für den ISA-Space“, sagt Mahlkow. „Schon im Vorhinein haben wir alle Regeln der Gesetzesvorschläge befolgt.“ Doch der Gesetzesentwurf scheiterte. Einzelne Staaten versuchten anschließend, das Finanzierungsmodell mit ihren existierenden Gesetzen selbst zu regulieren.
Der Kampf im US-Rechtssystem
Es kam zu einer Klagewelle im ISA-Markt. Sowohl Bildungseinrichtungen als auch Finanzierungsanbieter waren betroffen – darunter auch Blair. „Wir wurden nie wegen eigener Praktiken verklagt, sondern immer in Bezug auf Bildungseinrichtungen, mit denen wir gearbeitet haben“, sagt Mahlkow dazu. Offenbar gab es Bildungseinrichtungen, die unlautere Praktiken anwendeten, Studenten etwa täuschten. Laut Mahlkow wurde Blair dadurch zum „Kollateralschaden“. Das Team habe die Klagen zwar erfolgreich abwehren können, doch die Belastung sei trotzdem groß gewesen. „Auch ein Prozess, den man gewinnt, kostet schnell sechsstellig“, sagt er.
Tatsächlich gibt es in den USA im Gegensatz zu Deutschland keine Gebührenordnung für Anwaltshonorare. Außerdem trägt jede Partei dort ihre Anwaltskosten selbst, was entsprechend schnell kostspielig werden kann. Die erste Gründung hatte sich das junge Team sicher anders vorgestellt. Die USA sind bekannt für ihr unberechenbares Rechtssystem, doch selten sehen sich Gründer mit einem solchen Gegenwind konfrontiert. Laut Mahlkow gab es Klagen, die in der deutschen Justiz unmöglich wären. Das Team stand unter hohem Druck. „Es war definitiv eine anstrengende Zeit“, sagt er. „Trotzdem mussten wir versuchen, so gut es geht damit umzugehen und das Unternehmen in die bestmögliche Position zu bringen.“
Diese Position hieß offenbar ein Unternehmensverkauf: Das Wachstum sei durch die Umstände zu stark verlangsamt und die laufenden Rechtskosten zunehmend zum Problem geworden. Das Team entschied sich, ihr Geschäft zu verkaufen. „Die meisten Wettbewerber, die noch im Markt sind, leiden unter den neuen Marktbedingungen oder haben zu spät reagiert und sind dann zu schlechten Konditionen ausgestiegen“, sagt Mahlkow. Bei Blair dürfte es etwas besser gelaufen sein. Genaue Zahlen könne er dazu aber nicht teilen, auch den Namen der Käufer nennt er nicht. Ein Wermutstropfen über das gescheiterte Vorhaben bleibt wahrscheinlich trotzdem: Mahlkow sei nach wie vor überzeugt, dass die richtige Einführung von der neuen Finanzierungsform einen Teil der Studien-Schuldenkrise in den USA lösen könne.
Neustart mit Backend-Software
Durch den Verkauf konnte sich das Gründerteam immerhin schneller einem neuen Thema widmen – und hat dadurch sicherlich auch ein Startkapital zur Neu-Gründung erhalten. Mit ihrem neuen Tool namens Fastgen bewegen sie sich nun im Software-Markt. „Wir haben uns nach Blair ganz bewusst für einen weniger regulierten Markt entschieden, um die externen Faktoren wieder mehr unter Kontrolle zu haben“, sagt Mahlkow.
Fastgen bietet eine Software, mit der Unternehmen ohne viel Code auch komplexe Backend-Prozesse abbilden sollen. Das Ziel sei es, Kunden eine schnellere Entwicklung jeglicher Softwareprodukte zu ermöglichen – und das weitestgehend per Drag-and-Drop. „Unsere Vision ist es, eine Art Webflow für das Backend zu bauen“, heißt es. Webflow ist eine Software, mit der man ohne Vorkenntnisse oder Coding Websites designen und veröffentlichen kann – hierbei liegt der Fokus auf dem so genannten Frontend. „Damit kehren wir zu unseren beiden Kern-Stärken zurück: Software entwickeln und vertreiben“, sagt Mahlkow. Im Juni soll die öffentliche Beta-Phase starten.
Die neuen Freiheiten des wenig regulierten Software-Marktes zeigen sich offenbar schnell: Im Gegensatz zu Finanzprodukten lässt sich die Software sofort in verschiedenen Ländern anbieten. In ihrer aktuellen Private-Beta-Phase arbeitet Fastgen laut eigenen Angaben bereits mit 20 Unternehmen zusammen – darunter sollen auch einige aus Berlin und München vertreten sein. „Wir haben neulich sogar ein Startup aus Nigeria als Kunden gewonnen“, sagt Mahlkow. Bis Ende dieses Jahres wollen sie 100 Kunden akquirieren. Dabei sollen die USA ihr Kernmarkt bleiben, doch auch Europa habe das Team im Blick.
Zum zweiten Mal im Y Combinator
Die erneute Teilnahme am Y Combinator dürfte das Wachstum sicher beschleunigen. Der Accelerator sei ein super Hebel für die Kundenakquise, insbesondere für Tech-Produkte. Auch für das Fundraising helfe das Netzwerk enorm. Im schwierigen Auswahlprozess habe das Team positives Feedback zur schnellen Produktentwicklung erhalten. „Wir haben unser Beta-Produkt in Rekordzeit gebaut“, sagt er. „Product Velocity“ – also die Fähigkeit, Produkte und Features schnell zu entwickeln und herauszubringen – sei eine der zentralen Frühindikatoren, die sich der namhafte Accelerator ansehe.
Außerdem lege der Y Combinator extrem viel Wert auf starke Teams, dabei sei der zwischenmenschliche Faktor entscheidend. Schon im damaligen Podcast erzählten die Gründer, wie eng sie verbunden sind. „Wir kamen zu dritt nach San Francisco, hatten noch nichts – teilten uns die Wohnung und sogar teilweise das Bett“, sagten sie damals. Der Umgang innerhalb des Teams habe den Partnern im Y Combinator gefallen. Die erste Bewährungsprobe ist geschafft, Klagewelle und Krise haben die drei Gründer nicht auseinander gebracht. Sie starten wieder zusammen.