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Digitale Autoversicherungen: „Was mit den Daten passiert, ist völlig unklar“

Autos sind riesige Datenspeicher. Aber in welchem Umfang die Daten gespeichert werden und wer Zugriff darauf bekommt, ist nicht klar. Experte Andreas Krämer erklärt im Interview, wie Versicherungen vom Unwissen der Fahrzeugeigentümer profitieren.

Einer der wichtigsten Insurtech-Anwendungsfälle findet sich in der Autobranche: Versicherer bieten zunehmend sogenannte Telematik-Tarife an – der englische Ausdruck „Pay-how-you-drive“ erklärt das Prinzip besser: Autobesitzerinnen und Autobesitzer, die ihre Fahrdaten offenlegen, können bei der Versicherung für risikoarmes Fahren einen Betrag sparen. Der E-Autobauer Tesla hat beispielsweise eine eigene Versicherung eingeführt.

Das bedeutet jedoch gleichzeitig, dass der Versicherer möglicherweise sensible Daten genau erfasst. Andreas Krämer, Rechtsanwalt für Versicherungs-, Verkehrs- und Haftpflichtrecht, warnt vor dem Trend. Im Interview erklärt er seine Sorgen und welche politischen Maßnahmen er auf EU-Ebene fordert.

Herr Krämer, Sie kritisieren, dass moderne Fahrzeuge immer mehr Daten sammeln und die Fahrerinnen und Fahrer die Hoheit darüber verlieren. Was passt Ihnen daran nicht?

Andreas Krämer: Ich kritisiere vor allem, dass auf diese Weise sehr genaue Profile von Fahrzeugnutzern erstellt werden können und wahrscheinlich auch erstellt werden, ohne dass klar ist, wer alles Zugriff auf diese Daten bekommt. Die Frage, ob die Fahrer das wollen, wird dabei gar nicht gestellt.

Wie weit ist Fahrzeugbesitzern denn bewusst, dass Ihre Daten ausgelesen und gespeichert werden?

Mein Eindruck ist, dass es den meisten überhaupt nicht bewusst ist. Vor allem wissen viele nicht, was alles gespeichert wird. Das reicht vom Radiosender, den ich höre über wann und mit wem ich im Auto telefoniere bis zur Route, die ich nehme und wo ich normalerweise tanke. Da kann ein sehr detailliertes Bewegungs- und Persönlichkeitsprofil erstellt werden.

In welchem Umfang werden diese Daten gespeichert?

Das ist schwierig nachzuvollziehen. Wir wissen nur, dass bestimmte Daten gespeichert werden und die Frage ist, was dann mit diesen Daten passiert. Die Autohersteller erfassen zwar alles elektronisch, brauchen den Großteil aber gar nicht. Die interessiert nicht, welche CD ich höre. Ob die Hersteller die Daten dann löschen oder weiterverkaufen, ist völlig unklar.

Ist es denn zwingend schlecht, wenn meine Daten gespeichert werden?

Das kommt darauf an. Einmal können die Daten genutzt werden, um Serviceleistungen anzubieten, was sich erstmal gut anhört und dem Kunden durchaus etwas bringen kann. Aber hier wird verschleiert, wie diese Angebote zustande gekommen sind. Die Kunden wurden oft gar nicht um ihre Einwilligung gebeten. Und dann gibt es noch sogenannte Telematik-Tarife, wo mir Versicherer eine individuelle Prämie ausrechnen.

Wie funktioniert ein Telematik-Tarif genau?

Da stecke ich einen Übertragungsstick in mein Auto und habe mit dem Kauf der Versicherung zugestimmt, dass mein Fahrverhalten weitergemeldet wird. Die Versicherung kann dann feststellen, ob ich eher defensiv fahre oder selten in den Nachtstunden und mir eventuell eine wesentlich günstigere Prämie berechnen. Gerade für Jüngere ist das attraktiv, weil die Versicherung für Fahranfänger besonders teuer ist.

Das klingt doch erstmal gut, zumindest für defensive Fahrerinnen und Fahrer.

Einerseits ja, weil ich die Daten zu einem bestimmten Zweck freiwillig abgebe. Andererseits weiß ich nicht, was sonst noch gespeichert wird und das ist problematisch. Der Eigentümer und der Fahrer des Autos können sich ja zum Beispiel unterscheiden. Meines Erachtens muss es so sein, dass die Daten demjenigen gehören, der sie produziert und dass derjenige sie auch zur Verwendung freigeben muss. Das Bundesverfassungsgericht hat das informationelle Selbstbestimmung genannt.

Wenn wir das mit der Telematik abschaffen, unterbinden wir dann nicht auch Möglichkeiten für Innovation im Versicherungssektor? Viele Insurtech-Modelle bauen darauf auf…

Telematik-Tarife können in der Preisgestaltung für den Kunden durchaus innovativ sein. Mir muss nur im Gegenzug klar sein, dass ich für eine günstigere Prämie letztlich meine Daten verkaufe und auch ein Stück meiner informationellen Selbstbestimmung preisgebe.

Nehmen wir den konkreten Fall an, ich bin mit meinem Auto in einen Unfall verwickelt und zu schnell gefahren. Kann ich eine Mitschuld zugewiesen bekommen, wenn das bei der Auslesung meiner Daten herauskommt?

Wenn ein Gutachter sagt, dass der Unfall bei Einhaltung der Richtgeschwindigkeit in dieser Form nicht passiert wäre, ja.

Und wer liest die Daten in so einem Fall aus?

Erstmal kann die Staatsanwaltschaft kann das Fahrzeug beschlagnahmen und die Daten auslesen. Die Polizei beschlagnahmt bei schweren Verkehrsunfällen auch oft das Handy. Selbst wenn Sie ein Auto ohne Elektronik haben, kann über die Handy-Daten zum Beispiel das GPS ausgelesen oder die Geschwindigkeit ermittelt werden. Der Unterschied ist, dass Sie alle Daten kennen, die auf Ihrem Handy sind und die Sie damit der Polizei übergeben. Beim Auto ist das nicht so.

Wie kommen die Daten dann zur Versicherung?

Versicherer können über einen Anwalt die Ermittlungsakten einsehen und das tun sie in fast hundert Prozent der Fälle. Daran haben sie ein berechtigtes Interesse. Sie sehen dann aber nicht nur Daten, die konkret mit dem Unfall zu tun haben, sondern es kann Zufallsfunde geben. Sie könnten zum Beispiel mitkriegen, dass jemand gefahren ist, der gar nicht im Versicherungsvertrag steht. Und da steht natürlich die Frage im Raum, was geht einen Dritten das an?

Wie können Versicherungen solche Daten für sich nutzen?

Sie können vor allem die Schadenersatzquote geringer halten. Wenn durch eine erhöhte Geschwindigkeit die Quote der Mithaftung gebildet wird, muss der Versicherer weniger zahlen. Oder er findet vielleicht Fahrzeugdaten heraus, die zeigen, dass der Unfall vorsätzlich verursacht wurde und muss gar nichts zahlen. Wenn der Versicherer, wie bei Telematik-Tarifen, sogar Fahrerprofile erstellen kann, entstehen daraus auch wirtschaftliche Vorteile.

Können sich die Kunden auch wieder gegen so einen Tarif entscheiden?

Diese Tarifvereinbarung können Sie klassisch kündigen, wenn der Vertrag ausläuft und sich wieder zu den ganz normalen Preisen versichern. Meine Befürchtung ist nur, dass wir irgendwann fast nur noch diese Tarife haben werden. Wer dem dann nicht zustimmt, muss einen unendlich teuren Tarif zahlen oder kann es sich nicht mehr leisten. Das dürfte dann auch ältere Menschen betreffen, die mit Datensammlungen ohnehin ein Problem haben. Es ist außerdem absehbar, dass Versicherungen sich eigene Datenspeicher und Weitergabemodule in das Auto wünschen.

Sie erwarten also, dass Telematik-Tarife und damit die Datenweitergabe an Versicherungen in Zukunft üblich werden?

Ja, ich gehe davon aus. Allein die Tatsache, dass die Versicherer von sich aus solche Tarife anbieten, bedeutet, sie wollen an die Fahrzeugdaten ran. Und nach einem Unfall Akteneinsicht zu nehmen, haben Versicherungen sowieso schon immer gemacht.

Wie kann man dem entgegenwirken?

In Deutschland alleine kann man wenig tun. Das muss auf EU-Ebene passieren, weil die Produkte europaweit verkauft werden. Das Ziel kann hier nur sein, dass Daten nur dann für dritte Zwecke verwendet werden dürfen, wenn die Eigentümer dem ausdrücklich zugestimmt haben.