Smartbroker-Chef Thomas Soltau. Bild: PR

Altersvorsorgedepot: „Neobrokern steht ein Corona-Boom 2.0 bevor”

Nach monatelangen Vorbereitungen hat das Bundesfinanzministerium seine Pläne für ein privates Altersvorsorgedepot vorgelegt. Thomas Soltau, Chef des Neobrokers Smartbroker, hat den Prozess eng verfolgt. Vom Entwurf ist er positiv überrascht – und erklärt, wie das Depot künftig aussehen könnte.

Als Thomas Soltau am Mittwoch einen Linkedin-Post absetzt, spart er darin nicht an Superlativen. „Jetzt wird es ernst! Jetzt kommt der Gamechanger für Deutschland!“, schrieb der Chef des Online-Brokers Smartbroker. Soltau informierte seine Follower über den Gesetzesentwurf für das staatlich geförderte Altersvorsorgedepot, den das Bundesfinanzministerium zu Beginn dieser Woche veröffentlichte. Für Soltau ein „Meilenstein“: Er habe „niemals gedacht, dass 113 Seiten voller Paragraphen mal so spannend sein werden“, schrieb der Manager weiter.

Soltau hat die monatelangen Vorbereitungen des Finanzministeriums eng begleitet. Er war oft früh informiert, und plauderte in Gesprächen mit Finanz-Youtubern bereits vor Monaten über Fortschritte. Er ist auch Mitglied im Beratungsgremium Digital Finance Forum des Bundesfinanzministeriums. Im Interview mit Finance Forward spricht Soltau über die aus seiner Sicht entscheidenden Details des Entwurfs und verrät, wie das Altersvorsorgedepot zum geplanten Start im Januar 2026 konkret aussehen wird.

Herr Soltau, Sie haben geschrieben, dass Sie niemals gedacht hätten, „dass 113 Seiten voller Paragraphen mal so spannend sein werden!“ Was war an dem Gesetzesentwurf für das Altersvorsorgedepot so spannend? 

So ein Entwurf ist immer mit viel Rätselraten verbunden. Was bleibt von einer guten Idee wirklich übrig, wenn sich Politiker und Vertreter der Industrie über Monate zusammensetzen? Meistens nicht so viel. Über das staatlich geförderte Altersvorsorgedepot hat die sogenannte Fokusgruppe seit November vergangenen Jahres diskutiert. Deswegen war es sehr spannend zu sehen, was letztlich umgesetzt wurde. Nachdem ich den Entwurf nun gelesen habe, muss ich sagen: Ich bin wirklich positiv überrascht.

Machen Sie es doch mal konkret mit einem Beispiel.

Eine Sorge war, dass das Altersvorsorgedepot zu wenig Angebotsvielfalt bietet. Beispiel: Es dürfen nur grüne und nachhaltige Finanzprodukte bespart werden oder Aktien von Unternehmen, die ihren Sitz in Deutschland haben. Beides ist zum Glück nicht der Fall. Verbraucher werden frei zwischen vielen verschiedenen Anlageprodukten wählen können  – vom breit gestreuten ETF über Staatsanleihen bis hin zur Einzelaktie eines US-Techkonzerns. Dazu sind die Förderregeln recht klar formuliert.

Sie meinen den Höchstbetrag von 3.000 Euro, den Verbraucher jährlich vom Staat gefördert anlegen können?

Genau. Für jeden Euro, den ein Bürger selbst einzahlt, wird der Staat 20 Cent oben drauflegen – eben bis zu einem jährlichen Eigenbetrag von maximal 3.000 Euro. Somit gibt der Staat maximal 600 Euro dazu. Ab 2030 dürfen dann 3.500 Euro pro Jahr eingezahlt werden. Für uns Anbieter ist diese Grenze zwar ein Pferdefuß, denn somit werden die Altersvorsorgedepots anfänglich nur sehr kleinteilig sein. Das erhöht den Kostenaufwand relativ. Für Verbraucher sind die Regeln aber gut und verständlich – das wird helfen, das Projekt zum Erfolg zu machen.

Wie wird das Altersvorsorge-Depot bei Brokern wie Ihnen konkret aussehen?

Es muss ein eigenständiges Depot sein. Das heißt, Verbraucher können ihre bestehenden Sparpläne nicht einfach mit staatlicher Förderung weiterlaufen lassen. Sie müssen das Altersvorsorgedepot bei ihrem Broker separat neu einrichten und parallel zu ihrem bisherigen Depot besparen. Bei uns wird beides dann in einer gemeinsamen Übersicht angezeigt.

Und was, wenn ich schon ein anderes Vorsorgeprodukt habe? Zum Beispiel einen Riestervertrag?

Den werden Verbraucher weiter besparen können. Alternativ können Sie das bereits angesparte Kapital in ein Vorsorgeprodukt ihrer Wahl übertragen, also auch ein Altersvorsorgedepot. Ein Depotübertrag ist üblicherweise kostenlos, aber bei einem solchen Produkt wird die Höchstgrenze laut Gesetzentwurf bei 150 Euro liegen, wenn man in den ersten fünf Jahren wechselt. Danach ist es kostenfrei. Damit sollen ständige Depotwechsel vermieden werden, was den Anbietern ja auch schadet.

Als Neobroker werden Sie sicher trotzdem gezielt auf Riester-Sparer zugehen.

Es gibt derzeit rund 15 Millionen Riester-Verträge in Deutschland, das ist unbestritten eine spannende Zielgruppe. Grundsätzlich sollte man im Marketing allerdings nicht andere Finanzprodukte kaputt reden. Sicher war die Riester-Rente jetzt nicht der erhoffte große Wurf, es gibt aber durchaus Verträge, die gute Renditen gebracht haben. Glauben wir trotzdem, dass das Altersvorsorgedepot die bessere Wahl ist? Bestimmt. Werden Vorsorgeprodukte mit Garantien komplett verschwinden? Das glaube ich nicht.

Sie sprachen die Kosten an. Bleibt das Altersvorsorgedepot denn kostenlos?

Die Kosten werden nicht viel anders sein als die, die wir heute schon haben. Vor allem Sparpläne werden durch das Vorsorgedepot noch einmal einen Push bekommen. Wir versuchen sicherzustellen, dass diese größtenteils kostenfrei bleiben. Es hängt aber nicht nur an uns. Sollte beispielsweise Payment-for-Order-Flow wirklich verboten werden und auch für ETF-Sparpläne gelten, könnten wir gezwungen sein, kleinere Gebühren zu erheben. Dies würde Wettbewerber wie Trade Republic oder Scalable Capital aber genauso treffen.

Verbraucherschützer bemängeln, es könne jetzt jeder staatlich gefördert mit Einzelaktien spekulieren. Dies werde die Szene dubioser Finanzinfluencer und Strukturvertriebler nur noch vergrößern.

Wenn man sich in Erinnerung ruft, was mit Einführung der Riester-Rente alles falsch gelaufen ist, ist die Kritik nicht unberechtigt. Für die Versicherer waren die vergangenen 20 Jahre mit der Riester-Rente eine Goldgrube, gerade was den Umgang mit Kosten angeht. Auch künftig wird es Verbraucher geben, die Beratung brauchen und dafür bezahlen werden. Schwarze Schafe werden sich da nicht ganz vermeiden lassen. Insgesamt aber wird das Altersvorsorgedepot den Markt voranbringen. Es wird eine starke Verschiebung von Strukturvertrieben hin zu Neobrokern geben, was die Transparenz erhöht. Dazu plant das Finanzministerium eine Vergleichsplattform, bei der alle Anbieter ihr Angebot nach Kosten listen müssen.

Trotzdem haben viele Verbraucher das Telekom-Trauma bis heute nicht überwunden. Ist es sinnvoll, den Kauf von Einzelaktien staatlich zu fördern?

Den Kauf von Einzelaktien aus Angst vor Verlusten zu verbieten, halte ich erst recht für den falschen Weg. Natürlich wird das ein Thema sein, das wir als Anbieter kommunikativ werden auffangen müssen. Da geht es auch viel um Angebote rundum Finanzbildung. Wir müssen dem Verbraucher deutlich machen, dass ein Portfolio aus mehreren Aktien, beziehungsweise ETFs langfristig der beste Baustein für eine stabile Vorsorge ist. Übrigens hat die Bundesregierung dieses Problem bereits erkannt. Es wird sogenannte Referenzdepots geben, also vordefinierte Mischdepots etwa von Vermögensverwaltern, die ahnungslose Anleger auf Wunsch besparen können.

Bislang besitzen nur rund 18 Prozent der Bundesbürger Aktien oder Fonds. Rechnen Sie mit Einführung des Altersvorsorgedepots mit einem neuem Boom?

Ich schrieb es ja schon: Das Altersvorsorgedepot wird ein Gamechanger werden. Das liegt einerseits an den attraktiven Zulagen vom Staat, andererseits werden viele Millionen Menschen früher oder später mit den Angeboten konfrontiert werden. Schon beim Start der Riester-Rente gab es einen Riesenschwung, durch Social Media und Influencer wird es nun noch mal größer werden. Den Neobrokern steht sozusagen ein Corona-Boom 2.0 bevor. Ich gehe davon aus, dass sich die Aktienquote durch das Vorsorgedepot über die nächsten Jahre verdoppeln kann.