Wirecard hat seinen Hauptsitz in Aschheim (Bild: imago images/Sven Simon)

Wirecards nächste Baustelle

Der Bilanzskandal bei Wirecard untergräbt das Vertrauen seiner Kreditgeber. Kündigen sie ihre Darlehen, kann dies für den Dax-Konzern brenzlig werden – allerdings längst nicht nur für den Zahlungsdienstleister.

Die deutsche Pressestelle der international tätigen Bank klingt sichtbar erleichtert: „Nein, wir haben mit den Krediten an Wirecard nichts zu tun, wir haben genug andere Baustellen.“ Natürlich möchte das Haus namentlich nicht genannt werden. Schließlich kann es bei den Krediten an Wirecard schon am Freitag zum Showdown kommen, wie das Unternehmen selbst einräumt. Werden die Darlehen gekündigt, so drohen dem Zahlungsabwickler möglicherweise erhebliche Probleme.

Capital hat bei zehn wichtigen deutschen und internationalen Banken nach Wirecard-Krediten gefragt. Laut Refinitiv-Daten zählen zu den größten Kreditgebern unter anderem die Commerzbank und die LBBW, die sich beide auf Anfrage nicht äußern wollten. Insgesamt sind die Verbindlichkeiten des Unternehmens dem Vernehmen nach allerdings auf sehr viele Häuser verteilt. Im vergangenen Jahr hatte Wirecard einen syndizierten Kredit über 1,75 Milliarden Euro aufgenommen. Auch die anderen befragten Häuser, darunter Deutsche Bank, und ING Deutschland, wollten sich zum Fall Wirecard nicht öffentlich äußern.

Die Unruhe wegen der Kredite war von Wirecard am Donnerstag selbst ausgelöst worden. Mit der erneut verschobenen Vorlage des Jahresabschlusses für 2019 erklärte das Unternehmen nämlich auch, dass Banken Kreditlinien im Umfang von 2 Milliarden Euro kündigen könnten, wenn bis zum 19. Juni kein testierter Jahresabschluss vorliege – also heute. 2 Milliarden Euro entsprechen in etwa der Summe, deren Herkunft und Existenz in der Wirecard-Bilanz nach Firmenangaben nicht klar ist. Als erste Konsequenz aus dem Skandal stellte Wirecard am Donnerstag Abend den Compliance-Vorstand Jan Marsalek mit sofortiger Wirkung frei und bestellte James Freis zu seinem Nachfolger.

„Man muss sich das alles erst einmal anschauen“

Neben der Aufklärung, was mit den 1,9 Milliarden Euro auf Treuhandkonten bei asiatischen Banken ist, zählt die Sicherung der Kreditlinien zu den brenzligsten Aufgaben bei Wirecard. Die Aussage zu den Krediten deutet darauf hin, dass die Darlehen mit so genannten Kreditklauseln (Covenants genannt) versehen sein könnten. Solche Regeln sehen vor, dass Kredite oder auch Anleihen vorzeitig fällig werden, wenn bestimmte Finanzkennzahlen gerissen oder nicht-finanzielle Vorgaben nicht eingehalten werden. Das Testat des Abschlussprüfers könnte solch ein solcher Covenant sein. „Bei Krediten von solch einer Größe wie bei Wirecard sollte es Covenats geben“, hieß es gestern bei einer Bank.

Allerdings wäre das fehlende Testat des Abschlussprüfers möglicherweise kein Automatismus für die Kündigung. „Es ist noch viel zu früh zu sagen, ob die Kredite gekündigt werden müssen“, erklärt eine weitere Bank. „Man muss sich das alles erst einmal anschauen.“ Wirecard selbst bezeichnet sich selbst als Opfer eines Betrugs, so dass möglicherweise erst eine gerichtliche Klärung darüber nötig wäre, ob Kreditlinien gekündigt werden dürfen. Da dies wohl eine Aufarbeitung des gesamten Wirecard-Komplexes bedeuten würde, ginge wohl viel Zeit ins Land.

Während die Staatsanwaltschaft München eine Ausweitung ihrer Ermittlungen ankündigte, drohen Zivilklagen. Die Fondsgesellschaft DWS, zeitweilig einer der größten Anteilseigner von Wirecard, droht mit Klage. Sie teilte mit: „Aktuell halten wir keine materiellen Positionen in aktiv gemanagten Fonds mehr. Nach der heutigen Nachrichtenlage kommen wir unserer treuhänderischen Verpflichtung unverändert nach. In diesem Zusammenhang analysieren wir die Faktenlage und prüfen die Einleitung rechtlicher Schritte.“

Wirecard droht Kreditklemme

Welche Konsequenzen die Verpflichtung zur Rückzahlung von zwei Mrd. Euro an die kreditgebenden Banken für Wirecard hätte, ist aktuell schwer einzuschätzen. Die letzten verfügbaren Geschäftszahlen des Unternehmens stammen aus dem dritten Quartal 2019 mit dem Stichtag 30. September. Nimmt man diese fast neun Monate alten Zahlen zur Grundlage, könnte eine Rückzahlungsverpflichtung allerdings Risiken bergen.

Die Zahlen im Einzelnen: Die Bilanz zum 30. September 2019 weist Cash und Cash Äquivalente von 3,3 Milliarden Euro aus, hinzu kommen 551,6 Millionen Euro an Wertpapieren mit Zinsertrag, also vermutlich Anleihen. Macht zusammen 3,85 Milliarden Euro. Dem stünde eine fällige Tilgung von 2 Milliarden Euro gegenüber, so dass 1,85 Milliarden Euro übrig blieben. Dies würde immer noch in etwa reichen, um das Loch zu decken, das aus welchen Gründen auch immer in der Bilanz klafft. Doch damit nicht genug, schließlich waren zum Stichtag 30. September 2019 Kundeneinlagen im Bankgeschäft von 1,7 Milliarden Euro bilanziert. Mit anderen Worten: Angenommen die Verhältnisse liegen aktuell noch in etwa so wie vor einem dreiviertel Jahr, so könnte eine Flucht von Einlagen Wirecard doch in ernste Bedrängnis bringen.

Ohnehin müssten die Kredite in irgendeiner Form aus den Rücklagen getilgt werden. Eine Refinanzierung am Kapitalmarkt dürfte aktuell ausgeschlossen sein. Denn unter den Anleihegläubigern, die Wirecard 500 Millionen Euro geliehen haben, geht bereits die Angst um. Der am 11. September 2024 fällig werdende Bond handelt aktuell nur mit der Hälfte seines Nennwertes, Anleger stellen sich also auf hohe Verluste ein. Und operativ ist das Geld kaum reinzuholen. In den ersten neun Monaten 2019 lag der operative Cash flow bei 486,8 Millionen Euro, in diesem Zeitraum verdiente Wirecard nach Steuern 386,7 Millionen Euro.

Die Zeit, dass Wirecard endlich seine aktuellen und testierten finanziellen Verhältnisse offenlegt, drängt also wirklich.

Dieser Artikel ist zuerst auf Capital.de erschienen.