Die Wirecard-Zentrale in Aschheim (Bild: imago images/Lackovic)

Worauf Wirecard-Anleger jetzt noch hoffen können

Wirecard tritt den Weg in die Insolvenz an, Aktionäre und Anleger haben viel Geld verloren. Capital erklärt, wo jetzt noch was zu holen ist.

Die Verhandlungen mit den Banken liefen noch, doch irgendwann in den letzten Stunden muss den neuen Vorstandschef James Freis der gute Glaube verlassen haben. „Der Vorstand ist zu der Auffassung gelangt, dass eine positive Fortführungsprognose in der Kürze der Zeit nicht möglich ist“, teilte das Unternehmen am frühen Nachmittag mit, rund vier Stunden nach dem Insolvenzantrag. Rund 1,3 Milliarden Euro hätte Wirecard in den nächsten Tagen auftreiben müssen, um auslaufende Kredite zu bedienen. Dazu sah sich Freis nicht in der Lage.

Mit einer Mischung aus Entsetzen und ungläubigem Staunen schauen Investoren, Anleihegläubiger, Kunden, die beteiligten Banken und natürlich auch die rund 5.000 Mitarbeiter von Wirecard an diesem Tag auf die Vorgänge in Aschheim. So schnell ist noch kein Dax-Konzern praktisch implodiert. Und viele fragen sich heute: Was wird aus dem Geld, das sie einst in Aktien, Anleihen oder Derivate gesteckt oder bei Wirecard Bank angelegt haben?

Letzteres ist noch verhältnismäßig leicht zu klären: Die Wirecard Bank AG ist zwar eine Tochter der Wirecard AG, doch vorerst nicht selbst vom Insolvenzantrag betroffen. Ein Sonderbeauftragter der Finanzaufsicht Bafin wacht inzwischen darüber, dass keine Kundeneinlagen der Bank – zuletzt war die Rede von rund 1,7 Milliarden Euro – an die Konzernmutter abfließen und die Geschäfte weiterlaufen können. Die Wirecard Bank verwaltet nicht nur Girokonten, sondern ist in Kooperation mit Visa und Mastercard auch im Kreditkartengeschäft tätig. Kein Geld dürfe die Bank ohne Grund verlassen, heißt es aus Aufsichtskreisen. Die Wirecard AG hat deshalb alle Freigabeprozesse von der Konzern- auf die Bankebene verlagern müssen. Darüber hinaus sind die Einlagen der Kunden über den Sicherungsfonds privater Banken in Deutschland bis zu einer Summe von 100.000 Euro pro Kunde geschützt.

Aktionäre gehen wahrscheinlich leer aus

Ebenfalls verhältnismäßig leicht zu klären ist die Lage für Aktionäre: Ihre Investitionen in das Unternehmen sind im Falle einer Insolvenz meist weg. Die Aktie notierte heute den ganzen Tagen zwischen 3 und 4 Euro, viele Aktienanleger, die nicht vor dem Donnerstag vergangener Woche ausgestiegen sind, dürften also wirklich sehr schmerzhafte Verluste erlitten haben. Ob und wie sich der Kurs je wieder erholen kann, etwa durch den Verkauf einzelner Unternehmensteile, ist völlig offen. Wahrscheinlicher jedoch ist, dass sich Aktionäre mit einem Totalverlust abfinden müssen.

Denn Aktionäre stehen in der Insolvenzverwaltung ganz am Ende der Kette. Als erstes erhält der Fiskus seine Steuer aus der Insolvenzmasse, dann werden die Sozialversicherungen bedient, dann die ausstehenden Bankkredite, dann werden ausstehende Rechnungen von Lieferanten bezahlt – und dann erst die Ansprüche der Eigner. Allein die Bankkredite beliefen sich zuletzt auf rund 1,6 Milliarden Euro; hinzu kommen jene Investoren, die sich an der Wirecard-Anleihe beteiligt hatten. Der Bond mit einem Volumen von 500 Millionen Euro war erst im September letzten Jahres mit einem Top-Rating ausgegeben worden und läuft theoretisch noch bis ins Jahr 2024.

Insgesamt soll sich die Summe der Verbindlichkeiten auf 3,5 Milliarden Euro belaufen. Dem gegenüber steht derzeit eine Bilanz, die man eigentlich nur als Black Box bezeichnen kann, und aus der mindestens 1,9 Milliarden Euro verschwunden sind. Ein Großteil der für 2019 im Februar vorläufig verkündeten Umsätze von 2,8 Milliarden Euro dürften nur auf dem Papier existiert haben, heißt es aus Unternehmenskreisen – verbunden mit einem vernichtenden Urteil. „Es gibt keinen Weg, diese Schulden aus dem gesunden Kerngeschäft zurückzuzahlen.“

Hedgefonds kommen als Käufer infrage

Der einzige Weg für die Gläubiger, jetzt noch an ihr Geld zu kommen, dürfte ein Verkauf von Unternehmensteilen sein. Und tatsächlich attestieren Branchenkenner Wirecard, mit seinen Dienstleistungen – der Abwicklung von Finanztransaktionen vor allem im Online-Handel – ganz weit vorne mitgespielt zu haben. Zwar gibt es auch hier andere Anbieter, doch technisch sollen die Wirecard-Leistungen immer überzeugt haben. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass sich für diesen technischen Kern des Unternehmens Käufer finden lassen. Dies wird Aufgabe eines Insolvenzverwalters sein, der Prozess kann sich lange hinziehen – insbesondere, wenn es um die Ausschüttung möglicher Verkaufserlöse und die Berechnung der Quoten für die Gläubiger geht.

Ebenfalls eine Chance besteht möglicherweise für die ausfallgefährdeten Kredite und Anleihen. Auf dieses Geschäft haben sich Hedgefonds spezialisiert, die solche Papiere aufkaufen und anschließend, auch über Schadensersatzprozesse versuchen, für sich höhere Quoten herauszuschlagen. Gut möglich, dass die auf Sanierungsfälle spezialisierte Investmentbank Houlihan Lokey, die Wirecard erst letzte Woche angeheuert hatte, nach genau solchen Käufern bereits Ausschau hält.

„Es ist unwahrscheinlich, dass im Zuge des Insolvenzverfahrens etwas übrigbleibt“, lautet die Einschätzung eines mit der Sache betrauten Rechtsanwalts. Selbst wenn über den Verkauf von Beteiligungen der Wirecard AG – wie etwa der Wirecard Technologies AG mit einem ausgewiesenen Jahresergebnis in 2018 von rund 130 Millionen Euro oder der Bank mit einem Ergebnis von 1,3 Millionen Euro – Geld in die Wirecard-Kasse fließt, ist es unwahrscheinlich, dass diese Summe reicht, um die Ansprüche der Gläubiger auch nur ansatzweise zu decken.

Anleger können sich Klagen anschließen

Dennoch sollten Anleger ihre Ansprüche anmelden und sich Klagen anschließen. Das gilt auch für Aktionäre. Mehrere große Anwaltskanzleien wie der renommierte Anlegerspezialist Tilp aus Tübingen trommeln bereits für große Schadensersatzklagen. Da beim Unternehmen selbst wenig zu holen sein wird, werden sie eher Wirtschaftsprüfer, Aufseher sowie Vorstand und Aufsichtsrat ins Visier nehmen. Und auch Vorstände und Aufsichtsräte haften bei bilanzrechtlichen und kapitalmarktrechtlichen Verstößen mit ihrem persönlichen Vermögen.

Dieser Artikel ist zuerst bei Capital.de erschienen.