Ist der Stablecoin eine Luftnummer? (Bild: IMAGO / agefotostock}

Krypto-Rätsel: Steckt hinter Tether ein Riesenbetrug?

Für die Kapriolen des Bitcoin-Kurses ist auch eine obskure Kryptowährung verantwortlich: Tether. Es gibt einen ungeheuerlichen Verdacht: Stecken dahinter nur Luftbuchungen? Die Geschichte eines möglichen Riesenbetrugs.

Wann genau erstmals die Alarmglocken läuteten, weiß Cas Piancey nicht mehr. Er hatte sich schon eine Weile mit Kryptowährungen beschäftigt und war im Sommer 2017 auf ein seltsames Unternehmen namens Tether gestoßen. Tether bot eine eigene Kryptowährung an, deren Wert sich nicht änderte. „Ich wunderte mich schon damals, im Herbst 2017, wie es sein kann, dass so ein Coin immer genau 1 Dollar wert ist. Ich las alles über historische Betrugsfälle und Schneeballsysteme, und je mehr ich über Tether wusste, desto mehr war ich der Meinung: Das kann der größte Betrug der Finanzgeschichte sein.“

Bennett Tomlin, 25, der hauptberuflich als Datenforscher Betrügereien in der Pharmabranche aufdeckt, sieht das ähnlich: „Wenn ich die Geschichte einem Fünfjährigen erklären müsste, dann vielleicht so: Stell dir vor, du gehst in ein Casino, und jemand gibt dir Chips für deine Dollar. Er verspricht dir, sie jederzeit wieder in Dollar umzutauschen. Wenn du das aber wirklich tun willst, stellt sich raus: Derjenige hat gar keine Dollar mehr.“

Tomlin und Piancey sind Tether-Jäger, zwei Männer auf der Suche nach der Wahrheit hinter einer der blendendsten Krypto-Erfolgsgeschichten. Stimmt ihr Verdacht, fliegt demnächst ein 62-Milliarden-Dollar-Skandal auf, der nicht nur die irren Bitcoin-Kurse der letzten Jahre implodieren lassen, sondern bis in die althergebrachte Finanzbranche durchschlagen könnte.

Die Behörden sind alarmiert

Das US-Justizministerium ermittelt gegen Tether, Ende Juli wurden mehrere Führungskräfte des Bankbetrugs beschuldigt, US-Notenbanker und Finanzministerin Janet Yellen zeigten sich alarmiert. An Tether dürfte auch US-Börsenaufsichtschef Gary Gensler gedacht haben, als er kürzlich eine Regulierung des Wildwest-Kryptomarkts forderte.

Die Sorgen der Behörden kreisen um die Währung, die Tether ausgibt: den US-Dollar-Tether (USDT). Dabei handelt es sich um sogenannte Stablecoins, die anders als etwa Bitcoins das Gegenteil eines Spekulationsobjekts sind – oder sein sollen. Der Kurs eines Stablecoins ist immer stabil, ein USDT etwa ist stets 1 Dollar wert. Das funktioniert, weil das Unternehmen immer genauso viele Coins ausgibt, wie es Dollar von Kunden bekommt. Tether verdient nur an den Transaktionsgebühren – in der Theorie.

Wofür aber brauchen Investoren überhaupt einen Coin, der im Wert stabil bleibt? Das Kryptouniversum zieht Menschen schließlich an, weil sie auf fantastische Gewinne hoffen. Tatsächlich sind Stablecoins ein Zahlungsmittel auf dem Weg dorthin, eine Art Schmieröl, das die Riesenmaschinen der Kryptowährungen am Laufe hält. Bitcoin in herkömmliche Währungen zu tauschen kann – je nach Land und Höhe des Betrags – kompliziert und zeitraubend sein, selbst an bekannten Kryptobörsen wie Binance wird es bei großen Summen durchaus schwierig.

Stablecoins wirken wie ein sicherer Hafen

Bitcoin aber in USDT umzutauschen ist eine Sache von Sekunden. Außerdem lassen sich Tether-Coins rasch zu Börsen in anderen Ländern transferieren, was Arbitrage-Geschäfte möglich macht. Eine Zeit lang zum Beispiel waren Bitcoins in Südkorea immer etwas teurer als in den USA. Händler verdienten gut daran, diese Differenzen zu nutzen.

Vor allem aber wirken die Stablecoins wie ein sicherer Hafen. Derzeit sind knapp 62 Milliarden USDT im Umlauf, und das Versprechen, das Tether gibt – liquide, überall einsetzbar und wertstabil –, ist auf einem anderen Versprechen gebaut: dass eben jeder USDT mit 1 Dollar besichert ist, der bei Tether in den Büchern steht. Jederzeit also kann er wieder herausgegeben werden.

Bloß: Was ist eigentlich, wenn das gar nicht stimmt? Was, wenn es diese 62 Milliarden Dollar gar nicht gibt?

„Elegant, schön und Smart“

Der Erste, der darauf hinwies, dass bei Tether möglicherweise etwas nicht stimmte, war im April 2017 ein anonymer Twitter-Account mit Namen „Bitfinex’ed“, der heute gemeinsam mit Piancey und Tomlin das Trio der Tether-Jäger komplettiert. Der Mensch hinter Bitfinex’ed will anonym bleiben, genau wie Piancey, der in Wirklichkeit anders heißt. Sprechen kann man Bitfinex’ed trotzdem, am Telefon. Der Stimme nach dürfte er etwa 40 Jahre alt sein, der Aussprache nach Amerikaner.

Bitfinex’ed hatte früh Erfahrung mit Bitcoin gesammelt. „Ich bin eigentlich Programmierer und kam mit Bitcoin erstmals 2009 in Kontakt. Ich war fasziniert von dem Code – elegant, schön und smart. 2011 investierte ich etwas.“ Schon bald aber fielen ihm eigenartige Handelsmuster auf, die er als Marktmanipulation deutete.

2017 dann las er zum ersten Mal das Kleingedruckte bei Tether und wunderte sich, erzählt er, dass dort nirgendwo gestanden habe, wie und wo man Tether-Coins eigentlich zurück in Dollar tauschen könne. Merkwürdig. Doch außer ihm schien das niemanden zu stören: Denn solange die Kurse der Kryptowährungen so atemberaubend stiegen, hatte ohnehin keiner Interesse, das Casino zu verlassen und die Chips in Dollar zurückzutauschen. Das USDT-Volumen wuchs so stetig an.

Dann kam der 31. März 2017 – und für Bitfinex’ed der ultimative Beweis, dass etwas nicht stimmen könne. Kryptobörsen und -anbieter nämlich brauchen Banken, um ihre Zahlungen abzuwickeln. Irgendwo muss es schließlich noch eine Verbindung zur alten Welt geben, wenn Kryptos gegen Dollar oder Euro getauscht werden sollen. Genau diese Verbindung verlor Tether im Frühjahr 2017. Die US-Bank Wells Fargo, die bis dahin Tethers Geldflüsse managte, kündigte die Zusammenarbeit auf. In den kommenden fünf Monaten war das Unternehmen ohne ausführende Bank. Ergo konnte niemand Geld überweisen, damit Tether im Gegenzug USDT ausgab. „Trotzdem stiegen die zirkulierenden Tether-Coins in diesem Zeitraum von 80 Millionen auf 450 Millionen“, sagt Tomlin. Der BitcoinKurs kletterte derweil von 1 000 auf 4 000 Dollar.

Für Bitfinex’ed, Cas Piancey und Bennett Tomlin ist das zwar das offensichtlichste, aber längst nicht einzige Indiz, dass mit Tether etwas faul sein dürfte.

Die ganze Geschichte über Tether und die Ungereimtheiten könnt ihr bei Capital () lesen.