Die Stimmung unter den Wirecard-Fans hat sich gedreht – mindestens 1.000 Anleger vor Klage
Wirecards große Fangemeinde stellte sich lange schützend vor den angeschossenen Dax-Konzern und teilte gegen Kritiker aus. Nun steckt der Zahlungsdienstleister in seiner schwersten Krise – und viele Kleinanleger machen ihrem Ärger Luft.
Irgendwann gegen Mittag überwand sich der Wirecard-Anleger und postete eine Entschuldigung. Sie war an zwei Journalisten gerichtet, an einen Redakteur des Handelsblatts und einen der FAZ, die von Fans des Zahlungsdienstleisters in den vergangenen Wochen für ihre Berichterstattung immer wieder kritisiert worden waren. „Den @FranzNestler habe auch ich blöd angemacht, wofür ich mich entschuldige. War ein Fehler“, schrieb der Twitter-Nutzer.
Selten hat sich eine euphorische Anlegergemeinde derart abrupt auf dem Boden der Tatsachen wieder gefunden. Noch Anfang der Woche berichtete Finance Forward über die loyale Gruppe von Wirecard-Fans, die auf den heutigen Donnerstag hinfieberte wie auf ein Endspiel. Eigentlich sollte der Konzern heute seinen testierten Jahresabschluss vorlegen, doch den Wirtschaftsprüfern von EY fehlten ausreichende Belege für knapp zwei Milliarden Euro in den Büchern des Unternehmens. (Ausführliche Details zum Wirtschaftskrimi sind hier zu lesen.)
Nun bröckelt das Vertrauen der treuen Unterstützer. Besonders vom schillernden CEO Markus Braun sind viele Anhänger enttäuscht. „Den Glauben an den Mann habe ich heute teuer bezahlt“, schreibt der Twitter-Nutzer nach seiner Entschuldigung. Er gehe aber nicht davon aus, dass der Wirecard-Chef ein Betrüger sei.
Andere gehen mit dem Unternehmenschef härter ins Gericht. Sie schreiben davon, dass Braun die Anleger „verarscht“ habe, weil er ihnen mit seinen öffentlichen Beteuerungen, alles sei in Ordnung, Hoffnungen gemacht habe. Und daher strebt wohl eine signifikante Zahl von Kleinanlegern Klagen gegen Wirecard an. „Wir sind heute überrollt worden mit Klageanfragen“, sagt Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer des Anlegerschutzverbands DSW. Die Anwaltskanzlei Tilp, die bereits vor einigen Wochen Klage gegen Wirecard eingereicht hatte, will das beantragte Musterverfahren gegen das Unternehmen erweitern. Am heutigen Tag hätten sich mehr als 1.000 Anleger registriert, um Informationen zu einer Klage zu bekommen, teilt das Unternehmen mit.
Finanziell dürfte es viele Anleger hart getroffen haben. Eine Umfrage in einer Facebook-Fangruppe von Wirecard-Fans zeigt, dass die meisten Teilnehmer mehr als 10.000 Euro verloren haben – die Aktie brach heute bis zu 70 Prozent ein.
Anfang der Woche schrieb ein Anleger in der Gruppe: „Ich werde am Donnerstag Abend eine Yacht kaufen. Momentan reicht es nur für einen neuen Fön.“ Heute antwortete ein anderes Gruppenmitglied: „Wer wollte heute eine Yacht kaufen? (…) Was passiert mit der Ferrari-Bestellung?“
Mitarbeit: Birgit Haas