Der Eingang der Silicon Valley Bank in Kalifornien (Bild: Imago)

Die Rolle der US-Zentralbank nach dem Crash der Silicon Valley Bank

Die US-Regierung hat ironischerweise auch Krypto- und Tech-Bros gerettet, die sonst staatliche Eingriffe in die Wirtschaft und das billige Geld der Zentralbanken kritisieren. Dabei ist eine andere Entscheidung der US-Zentralbank viel wichtiger, die eine Zeitenwende im Finanzsystem markiert, kommentiert Wirecard-Aufklärer Fabio De Masi.

Die Pleite der Silicon Valley Bank (SVB) und das Spektakel um die auf Kryptowerte spezialisierte Signature Bank haben die Finanzmärkte geschockt. Dabei überraschen weniger die Dramen um diese Banken, sondern vielmehr wie selbst erfahrene Beobachter des Finanzmarktes – darunter auch etliche deutsche Finanzjournalisten – das „Bigger Picture“ verpassen.

Hinter der Pleite der SVB steht nicht eine Bankenkrise, die nun zufällig auch Tech-Firmen trifft, sondern die SVB crasht wegen der Krise im Tech-Sektor, die mit der Geldpolitik der Zentralbanken eng zusammenhängt. Genau dies hatte ich vor einigen Monaten in meiner Kolumne für Finance Forward skizziert:

„In einem Boom, der durch billiges Geld befeuert wird, agieren Investoren immer risikofreudiger und spekulieren getrieben durch die allgemeine Euphorie auf hohe Kursgewinne. Nach dem Motto: „Fake it until you make it!“ Ob der Business-Case eines Unternehmens belastbar ist, ist in einer Hype-Phase nicht so wichtig, solange nur Investoren erwarten, dass die anderen Investoren weiter nachkaufen. Man spekuliert also nicht auf Unternehmen sondern Erwartungen. Wird das billige Geld aber entzogen, das bisher die Aktienkurse trieb, suchen Investoren die Sicherheit. Um das Verhalten der anderen Investoren einschätzen zu können, braucht es eine allgemeine Börsen-Story. Waren es zur Jahrtausendwende die schrillen Stars der New Economy, die plötzlich wie tote Vögel vom Himmel stürzten, und 2008 Banken und Immobilien, ist es jetzt Tech und Krypto.“

Der Deutschlandfunk hingegen berichtete zu dem SVB-Drama: „Die Pleite ist der größte Kollaps einer Bank seit der Weltfinanzkrise von 2008. Weil das Institut spezialisiert war auf die Finanzierung von Technologieunternehmen, stehen nun unter anderem auch Startup-Firmen unter Druck.“

Nach dieser Lesart war es jedoch die unseriöse SVB, die nun die Tech-Branche mit in den Abgrund zieht. Doch die Tech-Branche stand bereits vorher unter Druck. Für die Finanzkrise vor 15 Jahren war ja auch nicht der Zusammenbruch von Lehman Brothers verantwortlich. Die Lehman-Pleite brachte den Stein ins Rollen, aber die Probleme waren schon da. Ein Vulkanausbruch ist auch nicht für die Lava verantwortlich. Er ist das Symptom. Denn die Krise der SVB wurde unter anderem durch zwei Entwicklungen befördert.

Silicon Valley Bank hat ein Klumpenrisiko im Techsektor

Erstens: Tech-Unternehmen, die bei der SVP ihre Einlagen konzentrierten, haben diese Einlagen in den vergangenen Wochen abgezogen, da sie bereits unter Liquiditätsdruck standen. Zweitens: Die SVP hat in der Phase niedriger Zinsen in Langläufer wie US-Staatsanleihen investiert. Durch die Zinserhöhungen der Zentralbanken sind die Kurse der Anleihen jedoch unter Druck gekommen.

Denn Staatsanleihen haben einen festen nominalen Zins (Kupon). Wer der US-Regierung durch den Kauf eines Treasury Bonds 100 US-Dollar über zehn Jahre leiht, erhält dafür einen festen Zins von beispielsweise zwei US-Dollar. Wenn die Zentralbanken die Zinsen erhöhen und Investoren ihre Portfolios umschichten, sinken die Kurse der Anleihen. Denn potenzielle Käufer von Staatsanleihen werden zwei US-Dollar festen Kupon nur noch zu einem niedrigeren Anleihekurs akzeptieren. Doch somit schmilzt auch der Wert der Anleihen in den Bankbilanzen wie Eis im Sommer. Denn nach den US-Bilanzregeln sind die Anleihen nach Marktpreis zu bewerten was Finanzyklen verstärkt.

Diese Problematik des sinkenden Werts der Aktiva in der Bankbilanz betrifft jedoch etliche Banken. Sinkt der Wert der Aktiva und übersteigen die Verbindlichkeiten der Bank die Forderungen muss diese Lücke durch das begrenzte Eigenkapital der Banken geschlossen werden. Dieses stammt etwa von den Aktionären der Banken oder einbehaltenen Gewinnen. Im Boom ist es leicht zu bekommen, in einer systemischen Krise ist es aber nie genug. Der Abzug von Kundeneinlagen und der Wertverlust der Aktiva gefährden zudem die Liquidität einer Bank. Dies bedeutet, sie kann womöglich Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen und es kann zu Kettenreaktionen und Vertrauenskrisen im System kommen. So weit, so bekannt.

Die SVB ist jedoch unter Druck gekommen, weil sie ein Klumpenrisiko im Techsektor hatte – Tech-Startups und ihre Investoren sind ihre einzige Kundenbasis. Ihre Ertragsbasis schrumpfte. Die US-Regierung hat das systemische Risiko des derzeitigen wirtschaftlichen Umfeldes verstanden. Der Tech-Sektor ist keine Nische mehr sondern die Lokomotive der US-Wirtschaft. Washington will im derzeitigen geopolitischen Umfeld eine Panik verhindern. Daher hat die Regierung entgegen der ursprünglichen Ankündigung eine unbegrenzte Garantie auf Kundeneinlagen ausgesprochen. Damit werden Tech-Milliardäre und Krypto-Bros gerettet.

US-Regierung rettet auch die Brandstifter

Etliche Beobachter des Finanzmarktes ereifern sich über die Risiken des „Moral Hazard“. Natürlich ist es feine Ironie, dass nun ausgerechnet Jene eine staatliche Vollkasko-Versicherung erhalten, die wie der ultralibertäre Tech-Milliardär Peter Thiel und die Krypto-Bros, den Staat verachten.

Bedenkt man die Kritik der Krypto-Szene an Zentralbanken und billigen Fiat-Geld, hat der Finanzmarkt-Gott jede Menge schwarzen Humor bewiesen, da es nun ausgerechnet die Krise im Tech- und Kryptosektor ist, die eine Zeitenwende bzw. einen Stopp der fatalen Zinserhöhungen auslösen könnte. Dabei sind es genau diese Zinserhöhungen der vergangenen Monate, die den Krypto-Bros zu schaffen machten, da sie selbst am billigen Geld hängen, wie ich in meiner Kolumne für Finance Forward vor einiger Zeit ausführte.

Doch die US-Regierung gewichtet – zu Recht – das Risiko eines Flächenbrands höher, als das Risiko, mit der staatlichen Lösch-Aktion auch den Hausbrand von Leuten zu löschen, die das Feuer gelegt haben. Dabei wird in der herkömmlichen Presseberichterstattung aber ein ganz wesentlicher Punkt verpasst, auf den Daniela Garbor, Professorin für Volkswirtschaft und Expertin für Anleihemärkte und Schattenbanken, auf Twitter hinwies: Die eigentliche Zeitenwende am Finanzmarkt ist eine Entscheidung, die die Behandlung von US-Staatsanleihen und anderen notenbankfähigen Sicherheiten betrifft. In der letzten Finanzkrise haben Zentralbanken die Kurse von Staatsanleihen durch Käufe von Staatsanleihen gestützt. Der ehemalige EZB-Präsident Mario Draghi beendete mit der bloßen Ankündigung solcher Käufe die Eurokrise („whatever it takes“). Dies wurde von konservativen Ökonomen als ein Tabu kritisiert.

Nun wurde nun fast unbemerkt von der Öffentlichkeit eine weitere Revolution in der Geldpolitik vollzogen, die verdeutlicht, wie bedrohlich die Notenbanken die Lage empfinden: So sollen sich Banken in den USA zukünftig bei der Federal Reserve im Rahmen des „Bank Term Funding Program“ für ein Jahr Zentralbankgeld gegen Hinterlegung von Sicherheiten wie US-Staatsanleihen und anderen „qualifizierten Assets“ beschaffen können.

Das Beispiel Griechenland

Das Neue daran: Es wird keine Abschläge geben. Die Staatsanleihen werden also zu ihrem Ausgabe- und nicht zu ihrem Marktpreis von der Zentralbank angenommen. Dies ist ein gigantisches Rettungsprogramm für Banken, denn sie werden quasi auf diesem Wege rekapitalisiert.

Vor 150 Jahren wurde das Mantra der Notenbanken vom britischen Ökonomen Walter Bagehot in seinem Buch Lombard Street auf den Punkt gebracht: Kredite sollen demnach frei „gegen gute Sicherheiten zu einem Strafzins“ vergeben werden, um Liquidität zu sichern. Die US-Zentralbank hat dieses Prinzip mit einem Federstrich beerdigt. Aus gutem Grund: Man sollte sich daran erinnern, dass die Eurokrise in Griechenland etwa daher eskalierte, weil Investoren bezweifelten, dass die EZB wegen des politischen Widerstandes aus Deutschland griechische Staatsanleihen im Zweifel garantieren wird und Griechenland somit seinen Zahlungsverpflichtungen wegen hoher Auslandsverschuldung nachkommen kann.

Als in Griechenland eine linke Regierung an die Macht kam, die Kürzungsauflagen abmildern wollte, entzog die EZB griechischen Staatsanleihen den Status von notenbankfähigen Sicherheiten. Die Koryphäe der Bankenregulierung, der international renommierte Ökonom Martin Hellwig kritisierte dies als die „nukleare Option“.

Bis heute hält die EZB ein externes Gutachten zur Rechtmäßigkeit dieser politischen Entscheidung unter Verschluss. Ich scheiterte gemeinsam mit dem früheren griechischen Finanzminister Yannis Varoufakis mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof auf Veröffentlichung des Gutachtens. Die Krise in Athen beendeten dann nicht harte Kürzungspakte, die Griechenlands Lage eher verschlimmerten, wie auch der Internationale Währungsfonds später einräumte, sondern die Wende in der Geldpolitik.

Denn eine Notenbank kann im Zweifel bilanzieren, wie sie will. Sie kann in ihrer eigenen Währung nie pleite gehen und sogar negatives Eigenkapital verkraften wie die Schweizer Notenbank einmal klarstellte. Daher sollten Staatsanleihen auch nicht mit Riskoabschlägen bewertet werden wie es die Bundesbank und selbst der grüne Wirtschaftsstaatssekretär Sven Giegold immer wieder gefordert haben. Die US-Zentralbank zeigt ja gerade das Risiko von Staatsanleihen ist eine politische Entscheidung. Zumindest wenn sich ein Land in seiner eigenen Währung verschuldet.

Die Krise im Silicon Valley ist eine Nebenwirkung

Die spannende Frage wird allerdings sein, ob der neue Pragmatismus der Zentralbanken nicht vielmehr auf einen erneuten faulen Deal wie während der Finanzkrise hinausläuft, als Banken gerettet, aber ganze Länder mit Kürzungspaketen überzogen wurden. Der Ökonom Ricardo Reis etwa bemerkte, sollte die Federal Reserve mit Liquiditätshilfen Bank Runs verhindern und durch Anleihekäufe Panikverkäufe von Wertpapieren verhindern, könne die Inflation weiter durch Zinserhöhungen bekämpft werden.

Genau dies ist ein gefährlicher Cocktail. Denn im November schrieb ich bei Finance Forward: „Der Ukrainekrieg befeuert Energiepreise, Inflation und Zentralbanken, die versuchen über unkoordinierte Zinserhöhungen und somit Aufwertung ihrer Währung die Inflation ins Ausland zu exportieren. Es ist ein bisschen so, als würde man dem Nachbar den eigenen Müll vor die Haustür stellen. Eine harte Rezession, Firmenpleiten und Arbeitslosigkeit werden dabei in Kauf genommen, obwohl die gegenwärtige Inflation offensichtlich nichts mit einer überhitzten Nachfrage oder mächtigen Gewerkschaften mit hohen Lohnforderungen zu tun hat.“

Die Krise im Silicon Valley ist eine erste Nebenwirkung der fatalen Zinsrallye der Zentralbanken, die nicht an die Wurzel der Profit- und Angebotsinflation geht, die zumindest in Europa neben dem Ukraine-Krieg auch eine Nachwehe der Corona Pandemie und der Zerrüttung von Wertschöpfungsketten ist.

Der Ökonom Jens van ´t Klooster von der Universität Amsterdam bemerkte dazu mit Sorge, eine neue politische Ökonomie der Zinserhöhungen zeichne sich ab. Diese beinhalte hohe Gewinne für internationale Konzerne, reichlich Sicherheiten für Banken, jedoch Arbeitslosigkeit und Immobiliencrash für die Mittelschicht.

Es ist zu hoffen, dass er Unrecht behält. Peter Thiel und andere Tech-Milliardäre wiederum würde es wahrscheinlich freuen.