Remagine wurde von Julia Profeta Johansson (links) und Sebastian Dienst gegründet (Bild: PR)

Kehrtwende nach acht Monaten: Remagine arbeitet an einem grünen Geschäftskonto

Exklusiv: Ein kostenloses Geschäftskonto statt Finanzierungsplattform – das Berliner Fintech Remagine steht kurz vor dem Start eines Konto-Angebots mit der Solarisbank. Wie kam es zu der schnellen Neuausrichtung?

Voller Stolz verkündete Sebastian Dienst vor einer Woche auf dem Karrierenetzwerk LinkedIn, dass sein Startup einen Preis bei den Fintech Germany Awards abräumen konnte. Remagine, jetzt also die „Best Sustainable Finance Company“ des Landes, konnte im Januar eine erste Finanzierung über 20 Millionen Euro verkünden und mehrere N26-Mitarbeiter abwerben (Finance Forward berichtete). Das Geschäftsmodell: umsatz-basiertes Funding für Startups, die „eine nachhaltige Zukunft mitgestalten wollen“.

Doch zum Zeitpunkt der Preisverleihung hatte Remagine bereits seit mehreren Monaten keine Kredite mehr vergeben. Die Finanzierungsform, bekannt als Revenue-Based Financing, findet auf der Webseite auch keine Erwähnung mehr. Denn im Hintergrund arbeitet das Team bereits seit längerer Zeit an etwas Neuem: Fortan will Remagine eine grüne Business-Bank sein, wie der Webseite zwischenzeitlich zu entnehmen war. Eine Mischung aus Tomorrow und Penta.

Mehr als die Hälfte der hohen Startfinanzierung war explizit gedacht, um Firmenkunden zu finanzieren. Darauf hat Remagine ohne das Produkt zunächst keinen direkten Zugriff mehr. Für die Neuausrichtung befindet es sich nach Informationen von Finance Forward wieder auf Investorensuche. Warum kehrt es sich kurz nach Start wieder von seinem Geschäftsmodell ab – und was hat Remagine vor?

Mehr direkter Kundenkontakt

In Zukunft fokussiert sich Remagine offenbar darauf, als Finanzplattform häufiger mit seinen Kunden in Kontakt zu kommen. Statt der umsatz-basierten Finanzierungen, die es mit Raisin angeboten hatte, folgt nun ein Geschäftskonto mit der Solarisbank. Der Banking-as-a-Service-Anbieter kennt das Segment schon: Die grüne Neobank Tomorrow, ein Angebot für Endkunden, nutzt auch die Infrastruktur und Lizenz des Berliner Unicorns.

Mit dem neuen Angebot bekommt Remagine fortan Zugriff zu einer Datenquelle, die elementar für Anbieter von umsatz-basierten Finanzierungen ist: Einen Einblick auf die Geschäftszahlen und Entwicklungen seiner Kunden. Auf der Grundlage ist es auch der Plan, in Zukunft Revenue-Based Financing wieder in das Produktangebot aufzunehmen, sagt Sebastian Dienst. „Wir haben das Lending nur vorläufig pausiert.“

Besonders in den USA erlebt die Finanzierungsform einen Boom, bei der die Finanzierungsgeber für eine bestimmte Zeit einen Teil der Umsätze erhalten, bis sie einen bestimmten Wert zurückgezahlt haben. Der liegt häufig zwischen dem Drei- bis Fünffachen des ursprünglich investierten Betrags. Das Modell ist recht neu und in Europa noch ziemlich unbekannt, wird aber immer beliebter. TechCrunch nannte es in einem Report den „logischen nächsten Schritt“ für Frühphasen-Investments (auch Finance Forward berichtete über den Trend).

Die Startups müssen nicht profitabel arbeiten, allerdings ist es wichtig, dass sie bereits Umsätze erzielen. Der Vorteil der Finanzierungsform: Gründer müssen keine Unternehmensanteile an Wagniskapitalgeber abgeben. Einen normalen Bankkredit würden viele der jungen Firmen nicht erhalten.

Irgendwann gibt es wieder Revenue-Based Financing

Für Remagine ist der Plan, damit groß zu werden und schnell Einnahmen zu generieren, offenbar nicht aufgegangen. Nachdem sie zum Launch im Januar euphorisch mitgeteilt hatten, bereits im Stealth-mode 20 Startups finanziert zu haben, sind seither nur wenige hinzugekommen. Letztendlich hat Remagine „mehr als 30 Unternehmen“ finanziert, so Dienst. Vier Mitarbeiter, die auf den Bereich spezialisiert waren, habe Remagine entlassen, so Dienst.

Für die Finanzierungen wird es eine grundsätzliche Nachfrage gegeben haben, allerdings muss sich das Startup dabei genau überlegen, welchen Unternehmen es das Geld anvertrauen kann. Im Gegensatz zu Banken, die bereits über umfängliche historische Daten verfügen, muss Remagine bei jedem Antrag zum Start erstmal eine aufwendige Prüfung durchführen. Neugründungen ziehen außerdem üblicherweise Unternehmen an, die von anderen Anbietern keine Kredite erhalten haben, zum Beispiel, weil ihre Bonität nicht gut ist.

Zudem spielt das aktuelle Funding-Klima einer Neugründung in dem Bereich nicht in die Karten. Wer auf der Suche nach Kapital ist, wird dieser Tage schnell und zu guten Konditionen bei Geldgebern fündig. Das neue Bankkonto ist nun ein Weg, seine Unternehmenskunden besser zu verstehen und kennenzulernen. Bei künftigen Finanzierungen geht das Unternehmen weniger Risiko ein.

Die Planänderung wird den beiden Gründern derweil nicht schwer gefallen sein, denn der Plan B war bereits seit Beginn Teil der Langzeitstrategie: Neben Revenue-Based Financing hatte es bereits an einer Finanzplattform gebaut, über die Startups ihr Geschäft durch Bankkonten, eigene Teambankkarten und Analysetools organisieren können. Nun ändert es seine Start-Strategie.

Klassische Konkurrenten sind Anbieter wie Holvi, Fyrst oder Penta. Um sich von ihnen abzugrenzen, wirbt Remagine bereits seit seinem Start mit einem „kostenlosen Konten für Unternehmen mit nachhaltigem Geschäftsmodell“. Das Fintech ist offenbar überzeugt davon, dass die Nische dafür groß genug ist. Die meisten Player im Markt haben außerdem kürzlich das kostenlose Angebot eingestampft – ein Argument für Remagine.

Den Fintech-Preis darf die Firma offenbar auch nach dem Pivot behalten, heißt es vom Veranstalter, auch wenn die Jury nichts von der Neuausrichtung wusste. Der Schritt sei „ein Beleg für die Stärke von Startups, sich auf verändernde Marktbedingungen flexibel einzustellen“, sagt Michael Mellinghoff, Co-Vorsitzender der Jury.