Das Eröffnen eines Bankkontos per Smartphone soll einfacher werden. Bild: dpa

Das Ende des verhassten Video-Ident-Verfahren? Neue Verordnung mit drastischen Folgen

Anders als in vielen Ländern Europas müssen sich Bankkunden in Deutschland noch umständlich per Videotelefonie ausweisen, wenn sie ein Konto per Smartphone eröffnen wollen. Das soll sich nun ändern – mit womöglich gravierenden Folgen für zwei etablierte Fintechs.

Wer in den letzten Jahren mal ein Bankkonto eröffnet hat, kennt das Prozedere. Nach Eingabe einiger Daten auf der Website heißt es: Smartphone zücken, Ausweis bereithalten – ein Videotelefonat steht an. So stellen Banken sicher, dass es sich bei dem Kunden um eine echte Person handelt. Geldwäsche und Betrug sollen zudem verhindert werden. So schreiben die Regeln es bislang vor.

Ein Verfahren mit Tücken: Nicht immer ist die Videoqualität gut, manchmal sind Mitarbeiter im Callcenter schwer zu verstehen oder Dokumente im schwachem Licht kaum lesbar. Viele Kunden brechen das Gespräch entnervt ab – zum Ärger der Banken, die einen womöglich teuer geworbenen Neukunden rasch wieder verlieren.

Für digitale Player wie die Neobank N26 oder die Neobroker Trade Republic und Scalable Capital war dies in der Vergangenheit auch ein Wachstumshemmnis. Im Hintergrund beschwerten sich wichtige Fintech-Player über einen Nachteil gegenüber ihren europäischen Konkurrenten – in der Branche galt die Regel als antiquiert.

Aufregung um Pläne von Finanzministerium

Das soll sich nun ändern. Vor kurzem hat das Bundesfinanzministerium einen Referentenentwurf vorgelegt, er könnte die Identitätsprüfung grundlegend vereinfachen. Es geht darum, das Verfahren – wie in anderen Ländern längst üblich – weitestgehend zu automatisieren. Auch die Kosten für Unternehmen sollen deutlich sinken.

In der Branche wird das Papier viel diskutiert. Auf Linkedin kursieren aufgeregte Beiträge dazu, welche Folgen die geplante Verordnung besonders für Fintechs in dem Bereich haben könnte. Wer profitiert? Und wen erwartet ein harter Umbruch? In einer Sache scheint man sich hinter vorgehaltener Hand bereits einig: Die etablierten Ident-Anbieter Idnow und Webid werden sich nicht nur auf neue Konkurrenz einstellen müssen. Ihnen droht womöglich kurzfristig ein Umsatzeinbruch.

Um die Brisanz zu verstehen, muss man in die Details der geplanten Verordnung schauen. Sie sieht vor, dass neben der reinen Videoprüfung künftig auch teilautomatisierte Verfahren zugelassen sind. Dabei erfassen Nutzer ihre Identität selbst, beispielsweise durch das Hochladen eines Fotos vom Personalausweis und ihrem Gesicht. Ein Mitarbeiter prüft die Aufnahmen anschließend im Hintergrund auf Plausibilität. Nutzer bekommen davon nichts mit. Der Prozess ist also kürzer und weniger fehleranfällig.

Vollautomatisierte Verfahren vor dem Durchbruch?

Für beide Verfahren ist laut Entwurf der Einsatz der Online-Ausweisfunktion (eID) vorgeschrieben. Nicht unproblematisch, wie Beteiligte berichten. Die eID wird von Bürgern in Deutschland – auch 13 Jahre nach ihrer Einführung – kaum genutzt. Gerade mal 14 Prozent sollen sich bislang digital mit ihrem Perso ausgewiesen haben, ermittelte kürzlich eine Studie. Dies hänge unter anderem damit zusammen, dass vielen Bürgern die Funktion oder die dafür notwendige Pin unbekannt ist. „Es ist also nicht davon auszugehen, dass sich das teilautomatisierte Verfahren rasch durchsetzt“, glaubt ein Insider.

Anders könnte dies bei vollautomatisierten Verfahren aussehen. In diesem Fall entfällt eine menschliche Nachkontrolle komplett, die Identität wird ausschließlich mithilfe KI-gestützter Bild- und Textanalysen überprüft. Für die Technik sieht das Finanzministerium nicht nur zweijährige Erprobungsphase vor – es verlangt auch keine Online-Ausweisfunktion.

Es ist das entscheidende Detail, das den hiesigen Markt für Identitätsprüfungen nach Ansicht von Branchenbeobachtern langfristig umgestalten könnte. Unter anderem aufgrund der erheblich geringeren Kosten für solche Verfahren. Marktteilnehmer gehen übereinstimmend davon aus, dass Unternehmen künftig nicht mehr als zwei Euro pro Vorgang an einen Ident-Anbieter zahlen müssen. Zum Vergleich: Für ein Videoverfahren fallen bislang zwischen sieben und acht Euro an. „Banken und Unternehmen dürften sich jetzt also gut überlegen, ob sie weiter auf die bisherigen Verfahren setzen wollen oder es lieber direkt mit vollautomatischen Techniken probieren“, fasst ein Beteiligter die Situation zusammen.

Fintechs bringen sich in Stellung

Mehrere Fintech-Anbieter bringen sich jedenfalls schon in Stellung. Dazu zählt beispielsweise das Hamburger Ident-Startup Nect, das bislang vor allem den Versicherungsmarkt bediente. Die geplante Verordnung könnte dem Unternehmen nun den Zugang in die Finanzbranche eröffnen. Aus Unternehmenskreisen ist zu hören, dass intern bereits mit zehnfach höheren Umsätzen kalkuliert werde.

Ähnlich sieht es beim norwegischen Wettbewerber Signicat aus. Das Fintech baute seine Präsenz in Deutschland erst zu Jahresbeginn aus, vor wenigen Tagen wurden zudem neue Angebote rundum automatisierte Ident-Verfahren gestartet. Die Erwartungen an die Pläne des Finanzministeriums sind groß: Man rechne mit einer hohen Nachfrage aus dem Bankenbereich, heißt es. Die Umsätze könnten rasch „in die Millionen“ gehen.

Bei den etablierten Anbietern wie Idnow oder Webid, die hierzulande bislang den Großteil der Identitätsprüfungen für Unternehmen abwickeln, könnte die Euphorie geringer ausfallen. Zwar bieten beide Unternehmen bereits teil- und vollautomatisierte Prüfverfahren an, vor allem im Ausland. Einen größeren Teil des Umsatzes dürfte aber noch das klassische Video-Ident-Verfahren einbringen. Branchenkenner sprechen von einem Anteil zwischen 70 und 80 Prozent. Die Unternehmen wollen dazu keine genau Angaben machen.

Marktführer zeigen sich unbeeindruckt

Sollten vollautomatische Verfahren also tatsächlich durchsetzen, so hätte dies für beide Unternehmen ernste Folgen. Allerdings muss der Entwurf erst noch so durchkommen. Für den Fall wären die Video-Ident-Angebote weniger gefragt. Andererseits könnten sie für automatisierte Verfahren nur noch einen Bruchteil der Gebühren abrechnen. Dies würde – zumindest vorübergehend – hohe finanzielle Einbußen bedeuten. Die Anbieter könnten 40 bis 50 Prozent ihres Umsatzes verlieren, schätzt ein Branchenkenner. Das Münchener Fintech Idnow soll 2022 rund 70 Millionen Euro umgesetzt haben. Bei Webid waren es rund 33 Millionen Euro.

Auf Nachfragen von Finance Forward zeigen sich beide Unternehmen indes unbeeindruckt. Man begrüße die Pläne des Finanzministeriums, heißt es unisono. Beide Anbieter widersprechen zudem der Darstellung, das Video-Ident-Verfahren mache den überwiegenden Teil ihrer Umsätze aus. Man sehe sich gut aufgestellt – und rechne damit, dass sich der Online-Ausweis gerade wegen der geplanten Verordnung weiter verbreite.

Webid spricht jedoch von „einigen Anpassungen“ im Entwurf, die „erforderlich“ seien. Welche, kommentierte das Unternehmen nicht.  Es ist zudem davon auszugehen, dass die Anbieter nicht mehr auf große Teams in Call-Centern angewiesen sind – Entlassungswellen könnten die Folge sein. Dafür dürfte das Geschäft künftig profitabeler werden.

Wer letztlich recht behält, wird sich spätestens zum Jahresende zeigen. Bis dahin soll die geplante Verordnung zu Video-Ident-Verfahren beschlossen sein. Bei Fintech-Startups wie Banking- und Trading-Anbietern dürfte die geplante Änderungen zu großer Euphorie führen.