Philipp Sandner (1980-2024): Gesicht der deutschen Blockchain-Szene
Der Frankfurter Wirtschaftswissenschaftler und Krypto-Pionier Philipp Sandner ist mit nur 43 Jahren gestorben. Seine Weggefährtin Katharina Gehra erinnert an Deutschlands „Blockchain-Professor“
Mit 43 Jahren hat Philipp Sandner mehr erreicht als viele andere in einem doppelt so langen Leben. Unermüdlich erklärte er schon vor dem ersten Krypto-Hype 2017 Zuhörergruppen Bitcoin und Blockchain – weit bevor der Bitcoin auf sein damaliges Allzeithoch von 20.000 Dollar stieg und zum ersten Mal ein breiteres mediales Publikum erreichte.
Im Gegensatz zur medialen Reduktion auf den Preis des Bitcoin sah Sandner das Potential der Blockchain als Grundlage für die Token-Ökonomie, mit seinem Professorentitel verlieh er der gesamten Disruption durch Distributed-Ledger-Technologie die nötige Gravitas und Bedeutungshoheit. Er war durch und durch Überzeugungstäter und blieb durch alle Hype-Zyklen der Krypto-Märkte und über alle Skandale hinweg eine Konstante.
An der Frankfurt School of Finance & Management rief er ein eigenes Institut für Blockchain ins Leben. Neben vielen Publikationen, unzähligen Beratungsprojekte, der Begleitung von Abschlussarbeiten und Vermittlung von Praktikanten etablierte er dort die in Deutschland zum Klassentreffen der Szene avancierte Crypto Assets Conference. Unzählige Podiumsdiskussionen moderierte er dort, wählte Gäste aus und setzte Themen: das Security-Token-Jahr, Decentralized Finance, Markets in Crypto Assets sowie tokenisierte traditionelle Wertpapiere wurden dort besprochen.
An Sandner war nicht vorbeizukommen
In einigen dieser Podiumsdiskussionen widmeten wir uns fragend und diskutierend den heißen Themen der Zeit und tauschten uns kritisch aus. Das haben Philipp Schulden, Philipp Sandner und ich zum Anlass genommen, 2019 den Podcast Block52 zu starten und die führenden Köpfe aus Industrie, Banken, Start-ups und Universitäten im Gespräch ihre Projekte vorstellen zu lassen. Folge 240 der Podcast-Serie, ein Gespräch mit Andreas Albrecht, wurde erst letzte Woche veröffentlicht.
Beide in Schwaben aufgewachsen, an den oberbayerischen Seen zur Ruhe kommend und landauf landab Blockchain erklärend, haben wir uns viele Male getroffen und ausgetauscht. Wir haben auf Bühnen die Vor- und Nachteile von Ethereum und Bitcoin diskutiert oder uns im mit Finanzminister Christian Lindner zur europäischen und nationalen Blockchainregulierung und Staking-Besteuerung ausgetauscht und unser Wissen zur Verfügung gestellt. Von Capital wurden wir beide in die „Top 40 unter 40“ aufgenommen. Wir haben uns öffentlich in Papieren zur Bedeutung von tokenisierten Bezahlmöglichkeiten geäußert und mit Nachdruck auf den notwendigen Blockchain-Bildungsausbau bei der EU-Kommission hingewiesen, um die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union zu sichern.
An Philipp Sandner war in der deutschen Blockchain-Szene nicht vorbeizukommen. Er hat ihr ein Gesicht gegeben und war durch das Initiieren von vielen Whatsapp-Gruppen ein wahrlicher Dreh- und Angelpunkt. Studierenden an der Frankfurt School of Finance & Management, Politik und Aufsicht haben ihn um Rat gefragt, Gremien ihn als Experten berufen und Medien live interviewt. Und trotz einer E-Mail-Inbox, die mehr Anfragen als mancher Dax-CEO erhalten haben dürfte, war seine Antwortzeit rekordverdächtig – und er, wie die Kryptomärkte, augenscheinlich 24 Stunden und sieben Tage die Woche online.
Kein Mangel an Ideen und Tatendrang
Jüngst hat er sich in dieser Funktion besonders auch zum Mammutprojekt eines digitalen Euro der Europäischen Zentralbank vor und hinter den Kulissen geäußert. Der ohnehin schon zu wenig öffentlich geführte Diskurs dazu wurde sowohl durch seine Bekanntheit, als auch durch seinen akademischen Grad wenigstens etwas öffentlicher und fundierter. Als überzeugter Anhänger des Bitcoin und der disruptiven Kraft der Blockchain als Technologie sah er viele Aspekte der geplanten digitalen Zentralbankwährung sehr kritisch und mitunter fehlgeleitet.
An Ideen hat es ihm nie gemangelt, an Tatendrang auch nicht. Er hatte eine besondere Gabe, Nägel mit Köpfen zu machen. Während eines Calls fing er direkt an, ein Google Doc aufzumachen, eine Einladung zum Beitragen zu schicken und zu tippen. So hat er auch Organisationen und Vereine wie die International Token Standardization Association ITSA ins Leben gerufen und damit der global bekannten Wertpapierkennnummer ISIN eine tokenbasierte Logik als Pendant gegenübergestellt.
Er war ein Beweger, ein Tausendsassa, mehr im Zug als an einem Ort und stets unterwegs zu Vorträgen und Konferenzen. Handelsstrategien wie Industrieanwendungen der Blockchain haben ihn gleichermaßen interessiert wie Venture-Investments und unterschiedliche Ansätze der Gesetzgebung in Liechtenstein oder der Regulierung in der Europäischen Union.
Er hinterlässt eine liebevolle Frau und zwei wunderbare Töchter, deren unvermittelter Schmerz mir die Luft zum Atmen nimmt. Mein Mitgefühl gilt seiner Familie und mein Appell geht an die Blockchain-Community – ihn in Ehren zu halten, indem wir uns um sein oberstes Anliegen kümmern: die Zurückhaltung, Rückwärtsgewandheit und pauschale Kritik gegen Krypto und Bitcoin in eine aufgeschlossene Offenheit zu verwandeln, mit Sachkompetenz und Verständnis für diese Jahrhundertchance, für die er so unermüdlich gekämpft hat.
Katharina Gehra ist Gründerin und CEO des Blockchain-Start-ups Immutable Insight