Polizeieinsatz und renitente Kunden – der Ärger für N26 hört nicht auf
Die Digitalbank N26 hat immer wieder Probleme mit verärgerten Nutzern. Weil er keine Hilfe vom Kundenservice bekam, tauchte ein Israeli in den N26-Büros auf. Die Reaktion des Unternehmens? Es rief die Polizei
Unter den vielen Ausländern, die in der Berliner Digitalszene beschäftigt sind, ist ein Bankkonto bei N26 eine beliebte Wahl. Der Kundenservice beherrscht Englisch, die App ist modern und hübsch, die Bedienung intuitiv. Und nicht zuletzt ist N26 selbst ein gehyptes Start-up aus dem Berliner Digitalkosmos, 2013 gegründet, heute 1.300 Mitarbeiter stark, 3,5 Millionen Kunden, 3,5 Mrd. US-Dollar Bewertung.
Auch als der Software-Entwickler Elad C. (Name der Redaktion bekannt) 2018 von Israel nach Berlin zieht, eröffnet er bei N26 ein Konto, für Gehalt, Miete und Versicherungen. Eine Wahl, mit der er ein gutes Jahr lang vollkommen zufrieden ist – bis zum 19. August 2019. Seit diesem Tag kann C. nicht mehr auf sein Konto zugreifen, Abbuchungen scheitern, der Kundenservice ist nicht greifbar. Für C. beginnt ein kafkaesker Albtraum, der neun Tage später in einem Polizeieinsatz gipfelt. Und noch immer nicht zu Ende ist.
Es ist am Mittwoch kurz nach Mittag, als die Berliner Polizei von einem Security-Mitarbeiter des Start-ups in die N26-Büros an der Berliner Klosterstraße gerufen wird. Mehr als ein halbes Dutzend Einsatzkräfte tauchen auf, sie sollen einen renitenten Besucher hinausbegleiten, der den Vorraum im vierten Obergeschoss partout nicht verlassen will. Die Beamten, so berichtet es eine Polizeisprecherin später, hätten auf den Herrn eingeredet und ihn schließlich zum Verlassen des Gebäudes bringen können. Auf die Stellung einer Anzeige habe die Inhaberin des Hausrechts – N26 – verzichtet.
Der Herr ist C. Er habe sich, so berichtet er es gegenüber Capital.de, nicht anders zu helfen gewusst, als N26 persönlich aufzusuchen. Und ja, er habe sich geweigert zu gehen, solange sich nicht ein Mitarbeiter glaubhaft seines Problems annehmen würde. Stattdessen habe N26 die Polizei gerufen.
Das Unternehmen bestätigt den Vorfall. N26 verfüge als Onlinebank über „keinen Besucherbereich für Kunden“, sagt Deutschlandchef Georg Hauer. Als Kreditinstitut unterliege man selbst beim Zutritt der eigenen Mitarbeiter „erhöhten Sicherheitsrichtlinien“. Es sei daher „nicht möglich, unbefugten Zugang zu unseren Büros zu gewähren, auch nicht, wenn sie insistieren und Kunden sind“.
Zum Hintergrund, dem konkreten Problem von C., dazu will N26 aus Datenschutzgründen nichts sagen. Doch die Schilderungen von C. sind glaubhaft, er kann sie mit mehreren Dokumenten belegen.
Es ist Punkt 20 Uhr am Montag, den 19. August, als N26 C. per Mail auffordert, seine Identität erneut nachzuweisen. „Als lizensierte Bank ist N26 gesetzlich verpflichtet, unsere Kunden in regelmäßigen Abständen zu überprüfen“, schreibt die Bank. „Sei versichert, dass dies eine routinemäßige Prozedur ist, die für alle Banken gilt. Der Prozess wird nur ein paar Minuten dauern.“ Während des Vorgangs sei es allerdings nicht möglich, auf die N26-App und -Website zuzugreifen.
Wie bei der Kontoeröffnung ein Jahr zuvor will C. seine Identität mit seinem rumänischen EU-Pass und dem Video-Identifizierungsverfahren, für das N26 mit einem Drittanbieter zusammenarbeitet, nachweisen. Das ist erfolgreich, nach wenigen Minuten erklärt ihm ein Mitarbeiter des Anbieters, er könne nun zurück in die App wechseln. Doch da passiert nichts. Er wird immer noch aufgefordert, seine Identität nachzuweisen. C. kontaktiert den Kundenservice, was bei N26 per Chat funktioniert. Man werde sein Problem weiterleiten, heißt es da.
Doch auch nach einem Tag ist nicht passiert. Und C. wird unruhig. Auf seinem N26-Konto liegen seine Ersparnisse, gar nicht mal so wenig, er hat vor, in Berlin eine Wohnung zu kaufen. Ist das alles noch da? Er hat keine Möglichkeit, das zu erfahren.
Die große Frage ist, ob man mit diesem Konzept, mit dem Fokus auf Technologie anstatt auf Menschen, zunehmend wachsame Aufseher und eine ständig wachsende Zahl von Kunden zufriedenstellen kann.
Das Start-up N26 gibt sich gern als Angreifer und neue Kraft der Finanzbranche, dabei ist die Firma im Kern einer traditionellen Bank gar nicht so unähnlich. Sie verdient ihr Geld mit Premiumkonten und Provisionen, wenn ihr Geschäftsmodell einmal tragfähig sein soll, geht das nur, wenn auf der Kostenseite strukturell etwas anders läuft als bei der etablierten Konkurrenz. Die wird schier erdrückt von all den Kosten für Regulierung, Personal, alter IT – insbesondere im Zeitalter mickriger Zinseinnahmen. Mit moderner Software und allen möglichen Automatisierungstricks werde N26 vermeiden, jemals in diese Kostenfalle zu laufen, verspricht das Startup.
Die große Frage ist, ob man mit diesem Konzept, mit dem Fokus auf Technologie anstatt auf Menschen, zunehmend wachsame Aufseher und eine ständig wachsende Zahl von Kunden zufriedenstellen kann. Im Mai mahnte die Bafin N26 schon einmal, für die Geldwäscheprävention professionellere Strukturen aufzuziehen – ein bemerkenswerter Vorgang, der zeigte, dass die Geduld der Aufseher offenbar aufgebraucht war. Unter anderem trug die Behörde N26 auf, eine nicht genannte Zahl von Bestandskunden neu zu identifizieren.
Und immer wieder werden Fälle von Kunden öffentlich, die am Service des Fintechs verzweifeln. Als Kriminelle im Februar das Konto des Unternehmers Axel Seitz leerräumten, dauerte es mehrere Wochen, bis der Kundenservice ihm endlich helfen konnte. 80.000 Euro waren verschwunden, für Seitz ging es um die Existenz. Vor wenigen Tagen ging ein empörter Beitrag von Thomas Antonioli, dem CFO des Berliner Start-ups Grover, auf LinkedIn viral, in dem er N26 des Diebstahls bezichtigte und von einer „inakzeptablen Behandlung“ sprach. In den sozialen Netzwerken finden sich Dutzende Berichte von unzufriedenen Kunden.
Wer mit N26 Kontakt aufnehmen will, der muss einen Chat mit einem Servicemitarbeiter starten. Für Beschwerden gibt es noch eine Email-Adresse. N26-Gründer Valentin Stalf hatte im Frühjahr zwar eine Telefonnummer für Notfälle angekündigt, doch die gibt es immer noch nicht. C. durchläuft fünf Mal die Video-Identifizierung und landet immer wieder auf einer Seite, die ihn auffordert, wieder von vorne zu beginnen; er startet Dutzende Chats und beschwert sich per Mail, aber eine Lösung für sein Problem oder wenigstens eine Erklärung für seinen Fall bekommt er nicht. Auf einen Rückruf wartet er vergeblich.
Dann reicht es ihm. Am Montag, den 26. August schreibt er an Stalfs Adresse eine Email: „Ich war Dein bester Marketing-Mitarbeiter, ohne für N26 gearbeitet zu haben. Ich habe all meine Freunde und Familienmitglieder überzeugt, ein Konto zu eröffnen und N26 zu benutzen. Jetzt hat sich das ins genaue Gegenteil gekehrt!“
Inzwischen hat C.s Autoversicherung erfolglos versucht, seinen Monatsbeitrag abzubuchen. Er hat seinen Vermieter gerade noch vorwarnen können. Er hat bei der Deutschen Bank ein zweites Konto eröffnet und seinen Arbeitgeber gebeten, das Gehalt hierhin zu überweisen.
Bei LinkedIn findet er den bei N26 für Kundenbeschwerden zuständigen Teamleiter. Am Mittwoch macht er sich auf den Weg in die Klosterstraße und behauptet gegenüber der Empfangsfrau, er habe einen Termin mit dem Mitarbeiter. Der taucht auf, C. erklärt sein Problem. Der N26-Mitarbeiter habe, so erzählt es C., zugesagt, sich darum zu kümmern, er werde eine Email erhalten. Aber C. müsse die Büros verlassen. C. weigert sich, er will erst gehen, wenn er die Email bekommen hat. Ein Security-Mitarbeiter fordert ihn auf, zu gehen. C. weigert sich immer noch. Die Polizei wird gerufen, C. sagt, die Beamten hätten sich bedrohlich genähert, da habe er eingewilligt, zu gehen.
Wenige Minuten später bekommt er tatsächlich eine Email, in der ihn N26 auffordert, ein anderes Bankkonto zu benennen, das auf seinen Namen laute, „für die Überweisung des Restbetrages“. Es klingt, als ob die Bank ihm das Konto kündigen würde, um das Kapitel C. schnell schließen zu können. Darum gebeten habe er nie, sagt C. Aber ihm wäre jetzt alles recht, Hauptsache, dieser Albtraum hört auf. Er schreibt zurück und nennt sein neues Konto bei der Deutschen Bank. Und dann? Hört er nichts mehr. Bis jetzt.
Dieser Text erschien zuerst auf Capital.de