Mercedes verkauft Anteil an Plattform Heycar – Deutschland rückt aus dem Fokus
Exklusiv: Die Autobauer VW und Mercedes wollten mit der Gebrauchtwagen-Plattform Heycar einen Konkurrenten zu Mobile.de und Autoscout24 aufbauen. Die Volkswagen Bank finanzierte den Aufbau mit. Klammheimlich hat nun der eine Partner seine Anteile verkauft, der andere einen Großteil des Firmenwertes abgeschrieben. Was ist bei dem Corporate-Startup los?
In einem Büro in der Nähe des Berliner Alexanderplatzes entstand der große Plan. 2017 heckten die Berater des Digital-Labors von BCG eine Startup-Idee aus – für sehr prominente Konzernkunden. Volkswagen sollte sich mit Daimler verbünden und eine Gebrauchtwagen-Plattform ins Internet bringen – als Konkurrenz zu Anbietern wie Mobile.de, Autoscout24 und Autohero.
Selbst sonst kritische Beobachter wie Ferdinand Dudenhöffer gaben dem Projekt gute Chancen. „Allein [die Marken] dürfte[n] viele Nutzer überzeugen, denn das können andere Plattformen nicht bieten“, sagte er 2018 in einem Interview mit der Wirtschaftswoche. Das Projekt solle eine „Art Google für hochwertige Gebrauchtwagen“ werden.
Aussichtsreiches Konzernprojekt
Es ist das vorläufige Ende eines Hoffnungsträgers. Denn die Startvorausetzungen waren gut: Abgesehen von VW und Mercedes gelang es, neue prominente Verbündete an Bord zu holen: Der französische Autobauer Renault, die Versicherung Allianz und „Volkswagen Financial Services“ kamen hinzu. Die VW-Finanztochter ist mittlerweile zum größten Anteilseigner aufgestiegen – ihr gehören mehr als ein Drittel der Firma. Die Finanzierung- und Versicherung sollen bei Heycar eine große Rolle spielen.
Eine Marketingoffensive brachte Heycar zum Start ins Fernsehen, die Firma expandierte in andere Märkte wie Großbritannien und Spanien. Das Team wuchs auf zeitweise fast 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an. In der Berliner Startup-Szene galt das Corporate-Startup als attraktiver Arbeitgeber – und eines der wenigen aussichtsreichen digitalen Konzernprojekte.
Probleme zeichnen sich ab
Doch schon in den Geschäftszahlen für Deutschland zeichnete sich ab, dass die Plattform mit Problemen zu kämpfen hat. Erst gelang der Start nur langsam, während die Kosten weiter stiegen. 2019 lag das Rohergebnis bei 1,5 Millionen Euro, während 30 Millionen Euro hauptsächlich in Werbung flossen, dabei waren die Personalkosten noch gar nicht eingerechnet. „Im Rohergebnis konnten die gesetzten Erwartungen (…) nicht erfüllt werden“, hieß es im Bericht.
2020 stieg der Ertrag für das Unternehmen immerhin auf 7,8 Millionen Euro, doch fiel im folgenden Jahr wieder leicht. Ein schnellwachsendes Unternehmen sieht anders aus. Gründe seien Chipkrise und gestiegenen Preise bei den Autos, notierte das Unternehmen in seinem Jahresabschluss. Zumindest drückte das Unternehmen beim Marketing auf die Bremse und reduzierte der Wert auf 17 Millionen Euro.
Viel Geld ist in das Unternehmen geflossen
Die Aufbauphase ließen sich die prominenten Gesellschafter viel kosten. Mindestens 300 Millionen Euro dürften in das junge Unternehmen mit den niedrigen Umsätzen geflossen sein. Die Allianz bewertet ihren Anteil Ende 2021 noch so, dass sich ein Firmenwert von einer halben Milliarde ergibt. Wenn man die Standards der Startup-Szene anlegt, gehört das Unterfangen zu einem der kostspieligsten Projekte der vergangenen Jahre.
Im vergangenen Jahr hat das Management umgesteuert. Ein Teil der Belegschaft musste das Unternehmen verlassen. Mehr als 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter flogen raus, in einer zweiten Runde kamen nun noch einmal 120 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hinzu, wie es aus dem Firmenumfeld gegenüber Finance Forward und Capital heißt. Das Branchenportal Autohaus hatte über die Restrukturierung berichtet. Aus Spanien zog sich das Unternehmen zurück.
Zudem formierte sich Widerstand bei den angeschlossenen Partnern. VW-Vertragshändler kündigten an, auch mit der Plattform Autoscout24 zusammenzuarbeiten. In einem Geschäftsbericht zu einer Volkswagen-Tochter ist ersichtlich, dass das Unternehmen 200 Millionen Euro an Investment 2022 komplett abgeschrieben hat. Eine herber Rückschlag für das Corporate-Startup.
Strategischer Wechsel bei Mercedes
Im Mai diesen Jahres verkaufte dann Mercedes-Benz seinen Anteil an die VW-Finanztochter, ohne großes Aufsehen. Eine Sprecherin teilt mit, die Firma habe die Beteiligung aus „strategischen Gründen“ verkauft. Das Unternehmen wolle sich künftig auf den eigenen Online-Shop konzentrieren – auch dort lassen Gebrauchtwagen handeln. Für Heycar soll der Fokus künftig stärker auf Großbritannien liegen, in dem der Markt weiter sei, heißt es aus dem Firmenumfeld. Der deutsche Markt wird dagegen keine wichtige Rolle mehr spielen. Heycar und Volkswagen wollten sich kurzfristig nicht äußern.
Nicht gut sieht am Ende auch BCG Digital Ventures aus, die nach dem Roller-Startup Coup nun die nächste Niederlage erleiden. Im Finanzbereich kümmerten sie sich um den Robo-Advisor von Vanguard, der in Deutschland gestartet ist. Die große Wette ist weiterhin noch offen.