Die Vormachtstellung des Dollars wird in Frage gestellt
Die internationale Geldpolitik ist im Umbruch. Kryptowährungen wie Facebooks Libra oder ein E-Euro könnten ein Vakuum füllen.
Bretton Woods, ein kleiner, idyllischer Ort an der Ostküste der USA, steht für die Neuordnung der Geldpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg, mit dem Dollar als Ankerwährung. Das entsprach der politischen und wirtschaftlichen Vormachtstellung der USA. Von 1944 bis 1973 brachte dieses Währungssystem in der westlichen Welt ausreichend Stabilität und Wachstum. Der „Nixon-Schock“ von 1971 läutete durch die Loslösung des Dollars von Gold eine neue Ära ein, innerhalb von zwei Jahren wurden substanzielle Teile des internationalen Währungssystems umgebaut.
Als Spiegelbild der geopolitischen Machtverhältnisse sind Währungen immer nur Regime auf Zeit. So kann es eigentlich im Jahr 2019 nicht verwundern, dass mit einem geschwächten Multilateralismus, einem kontinuierlich aufholenden China und einem eigensinnigen Russland die uneingeschränkte Vormachtstellung des Dollars auch in den Währungssystemen in Frage gestellt wird.
Durch neue Technologien und einen weltweit wachsenden, bilateral gestärktem Handel ist sowohl die Notwendigkeit als auch die wirtschaftliche Vorteilhaftigkeit des Dollars als Leitwährung von Transaktionen verringert. Blockchain-Technologie bietet eine kostengünstige, technologisch sichere und global skalier- und nutzbare Alternative für den Transfer von Werten. Ob Werte aus Muscheln, Münzen oder hypothetischen Verrechnungseinheiten bestehen ist so lange gleichgültig, wie beide Vertragsparteien dieses Tauschmittel akzeptieren.
Internationaler Zahlungsverkehr wurde bis vor wenigen Jahren beinahe ausschließlich über Banken oder Dienstleister wie WesternUnion oder Moneygram gegen hohe Gebühren durchgeführt. Inzwischen gewinnen neue Wettbewerber wie PayPal, WeChat oder Revolut durch schnellere und günstigere Angebote deutliche Marktanteile. Weil dort immer noch gut verdient wird, hat im Sommer dieses Jahres auch Facebook als Anführer eines größtenteils amerikanischem Konsortiums sich ein neues Produkt für diesen Markt überlegt: Libra.
Selbst angesichts des Ausstiegs mehrerer wichtiger Mitglieder dürfte das Projekt in dieser oder einer abgeänderten Art fortbestehen – denn es ist zu lukrativ und zu entscheidend für die Monetarisierung von Facebook im Vergleich zur chinesischen Konkurrenz.
Als Stablecoin verspricht Libra beispielsweise Menschen, die kein Bankkonto, aber ein Smartphone besitzen, zu schnellen und vergleichsweise günstigen Transaktionsgebühren eine Möglichkeit ähnlich schnell und einfach wie mit WeChat jegliche Zahlungen vorzunehmen.
Währungen sind ein Machtinstrument. Sie sind aber auch ein Geschäftsmodell für Staaten. Unter den über 150 nationalstaatlichen Währungen gibt es eine deutliche Führungsgruppe. Ein Dutzend davon sind relativ sicher, sie genießen breites Vertrauen am Kapitalmarkt und bei den Nutzern. Für den Großteil der nationalstaatlichen Angebote trifft das aber nicht zu. Politisch gewollt oder wirtschaftlich getrieben – viele Argentinier, Venezolaner, Chinesen, Russen und Inder suchen, wenn sie denn können, Alternativen zur eigenen Währung. Für gewöhnlich sind die Wechselkurse in Dollar für Bargeld und Gold auf dem Schwarzmarkt wenig vorteilhaft, die sichere Aufbewahrung ist kaum möglich oder teuer.
Auf den ersten Blick muss Deutschland darauf nur mit Achselzucken reagieren. Der Euro scheint zwar weniger sicher als die D-Mark, aber das Exportland Deutschland hat von der Bewertung des Euro auf dem Devisenmarkt profitiert. Euro in Dollar zu tauschen ist kaum mehr mit Kosten behaftet – insofern scheint kein besonders relevantes Kosteneinsparungspotenzial zu bestehen. Für die berühmten mittelständischen Weltmarktführer in Nischen oder die großen Exporteure könnten womöglich noch Potenziale bestehen, bei Absicherungsgeschäften für Währungsrisiken, Gebühren im internationalen Zahlungsverkehr, Tauschgebühren zwischen multiplen Währungen oder Zwischenfinanzierungen für die Dauer der Zahlung.
Auf den zweiten Blick kann es in Zeiten eines erweiterten Verantwortungsverständnisses aber auch andere Fragestellungen geben, die relevant sind: Was ist mit kleineren Produzenten von beispielsweise Lebensmitteln? Was ist mit Mitarbeitern mit Migrationshintergrund, die Teile ihres Einkommens an ihre Familien in den Heimatländern schicken? Es geht aber auch um die Frage, welchen Beitrag deutsche Politiker und Unternehmer bei der Neuordnung der internationalen Währungspolitik leisten könnten. Könnte ein Euro auf der Blockchain dafür eingesetzt werden, um die Vorteile der Technologie mit den Stärken einer stabilen Währung international zu nutzen? Was ist mit unserer Kompetenz, Normen zu setzen und einen multilateralen Ansatz für eine überdachte Währungs- und Handelspolitik zu entwickeln? Das könnte die Krönung der außenpolitischen Stärke und Kompetenz von Angela Merkel sein – und womöglich das größte Friedensprojekt seit Bretton Woods in 1944.
Dieser Text erschien zuerst auf Capital.de