Lemonade-Mitarbeiter mit T-Shirts des bösen Gegners (Bild: Unternehmen)

Wie das US-Insurtech Lemonade die Telekom trollt – und der Konzern andere Startups verfolgt

Den Streit um die Farbe Magenta mit der Deutschen Telekom nutzt die US-Versicherung Lemonade geschickt, um neue Fans für sich zu gewinnen. Dass der Bonner Konzern so vorgeht, ist längst kein Einzelfall.

David gegen Goliath: Diese Rollenverteilung gefällt den meisten Startups. Wer sich als Underdog im Kampf gegen bösartige und übermächtige Konkurrenten präsentieren kann, darf auf die Sympathien des Publikums – sprich: der Kunden – hoffen.

Als das US-amerikanische Versicherungs-Startup Lemonade im Juni kurz nach seinem Deutschlandstart Post von Anwälten der Deutschen Telekom bekam, wussten die Gründer Daniel Schreiber und Shai Wininger genau, was zu tun war. Der deutsche Telekommunikationsriese hatte ihnen (wie schon einer ganzen Reihe anderer Firmen) vorgeworfen, seine Rechte an der Farbmarke Magenta zu verletzen. Tatsächlich nutzt Lemonade seit dem Start 2015 intensiv die Farbe pink für sein Branding – sie ähnelt dem Telekom-Magenta, aber es ist eben nicht die identische Farbe.

Mithilfe der eigenen Anwälte gingen Schreiber und Wininger juristisch gegen das Anliegen der Telekom vor: Sie beantragten etwa beim EU-Amt für geistiges Eigentum, die Magenta-Marke für ungültig erklären zu lassen. Vor allem aber machten sie den Vorgang öffentlich und münzten ihn zu einer regelrechten Marketingkampagne zu ihren Gunsten um.

Sie forderten ihre Kunden auf, unter dem Hashtag #freethepink Stellung zu beziehen. Loyale Lemonade-Nutzer überschwemmen soziale Medien seither mit Beiträgen, in denen die Telekom aufgefordert wird, die Farbe Magenta freizugeben. Lemonade-Mitarbeiter kauften T-Mobile-T-Shirts mit der Aufschrift „Life is for sharing“ und fotografierten sich damit (siehe oben). Und CEO Daniel Schreiber nutzte jede Gelegenheit, der Telekom unter die Nase zu reiben, dass ihr Vorgehen ziemlich unpopulär sei. „Es hat schon seinen Grund, warum [man] euch Trademark-Troll nennt“, schrieb er auf LinkedIn.

„Vernünftige Menschen mögen unterschiedliche Ansichten darüber haben, ob es gesetzlich erlaubt sein sollte, dass ein Unternehmen überhaupt eine Farbe besitzen dürfen sollte“, erklärt Schreiber gegenüber Finance Forward. „Aber es kann niemand glauben, es wäre vernünftig, solch ein Gesetz als Waffe einzusetzen, um Nicht-Wettbewerber aus anderen Branchen und Ländern einzuschüchtern und zu verlangen, die Farbe pink aufzugeben!“ Die Telekom würde ihrer Marke und dem Markenversprechen „Life is for sharing“ viel mehr nützen, „wenn sie diese Werte auch leben würden, anstatt eine Grundfarbe zu monopolisieren!“

Die Telekom, so sagt ein Unternehmenssprecher auf Anfrage, werde „über die Farbe Magenta deutlich erkannt und erinnert“. Die Marken der Telekom würden „in einem signifikanten Maß zum Erreichen des Unternehmenserfolges“ beitragen, zudem hätten sie „die Aufgabe, Konsumenten Orientierung zu geben und vor Irreführung zu schützen“. Die Telekom, so heißt es, „respektiert die Markenrechte aller, erwartet aber von anderen, dass sie dies auch tun“.

Tatsächlich scheut sich der Konzern nicht, die 1995 eingetragene Farbmarke mit allen Mitteln gegen Wettbewerber und vermeintliche Konkurrenten zu verteidigen. Bekannt sind etwa die Auseinandersetzungen mit den Kontrahenten Mobilcom 2003 und Telia 2008 sowie die Streitfälle mit vollkommen branchenfremden Unternehmen wie dem Tech-Blog Engagdet 2008, einem Smartwatch-Hersteller 2015 und der britischen Tech-Firma Datajar 2018. Manchmal obsiegt der deutsche Konzern, manchmal behalten die beklagten Unternehmen die Oberhand. In Deutschland können Farben seit etwas über zwanzig Jahren markenrechtlich eingetragen werden – wie weit der Schutz geht, beurteilen Gerichte unterschiedlich.

Finance Forward hat drei weitere Fälle aus der jüngeren Vergangenheit ausgegraben, die bislang nicht bekannt waren:

  • Vor etwa drei Jahren soll die Telekom dem 2015 gegründeten Grover gedroht haben. Das Berliner Startup vermietet Tech-Produkte wie Smartphones oder Laptops monatsweise. Ursprünglich nutzte Grover Rosa als Hauptfarbe seiner Markenpräsenz, um einer Klage zuvorzukommen, ersetzte das Startup Rosa durch einen Rosa-Lila-Farbverlauf. Offiziell wollte sich das Berliner Unternehmen nicht zu dem Fall äußern.
  • 2018 traf es Tiloli, einen französischen Händler von Smartphone- und Tablet-Accessoires. „Als ich den Brief bekam, dachte ich, ich träume“, erzählt Yanis Cottard, President der Mutterfirma Altyor. Cottard ließ über einen Anwalt ausrichten, „dass sie kein Recht haben, von uns zu verlangen, unsere Logofarbe zu ändern“. Die Telekom ließ es dabei bewenden. Cottard hat auch den aktuellen Lemonade-Fall beobachtet. „Das ganze ist außer Kontrolle geraten“, ärgert er sich. „Wer kann im 21. Jahrhundert vorgeben, eine Farbe zu besitzen?“
  • Ebenfalls vergangenes Jahr nahmen sich Anwälte der Telekom einen kleinen IT-Dienstleister vor, der seine Geschäfte überwiegend in französischen Überseegebieten macht. Die Firma wurde aufgefordert, den Antrag auf Eintragung ihrer Marke zurückzuziehen und einen neuen Antrag „ohne Magenta“ zu stellen; außerdem „schriftlich zuzusichern, niemals die Farbe Magenta oder eine ähnliche Farbe für Produkte oder Dienstleistungen […] einzureichen, einzutragen oder zu benutzen“, die Produkte oder Dienstleistungen beträfen, die denen der Telekom auch nur ähnelten. Man habe sich, so ein Firmenvertreter gegenüber Finance Forward, nicht einschüchtern lassen, sondern über einen Anwalt geantwortet, dass man den Wünschen des Telekommunikationskonzerns nicht nachkommen werde. Im Juni schrieben die Telekom-Anwälte erneut: Der Konzern ziehe den Antrag zurück. Trotz dieses Siegs zieht das Management des IT-Dienstleisters es vor, dass der Name der Firma hier nicht genannt wird – aus Angst, die Telekom könnte erneut klagen.

Ob Lemonade seinen Widerstand gegen die Telekom aufrecht erhalten kann, wird man sehen – bis die EU-Behörde eine Entscheidung fällt, werden voraussichtlich Monate vergehen. In jedem Fall dürfte das Theater dem Insurtech neue Fans beschert haben.

Mitarbeit: Caspar Tobias Schlenk