Liegt bei euch ein Bitcoin unter dem Weihnachtsbaum? (Bild: Hert Niks/Unsplash)

Bitcoin unter dem Weihnachtsbaum – was nun?

Wie ist mit Bitcoin und Co. umzugehen, wenn die Kurse wieder steigen? Unser Kolumnist Fabio De Masi meint, dass Bitcoin von Unsicherheit und Wirtschaftskrieg profitiert. Der Wert von Bitcoin sei indes spekulativ wie bei Kunstwerken. Der Wirecard-Aufklärer sagt: Nur solange genug Leute es für Kunst halten, geht die Wette auf.

Pünktlich zur Weihnachtszeit erreicht der Bitcoin wieder Rekordwerte  – und wird in wenigen Monaten sogar nochmal verknappt. Das könnte die Kurse des spekulativen Krypto-Assets weiter treiben – was also, wenn unter eurem Weihnachtsbaum der Private-Key für ein Krypto-Asset liegt?

Um uns darauf vorzubereiten, sollten wir grundsätzlicher über Geld und die Krypto-Technologie nachdenken. Keine Sorge: Ich werde nicht über Bitcoin lästern, Weihnachten ist ja das Fest der Liebe.

In den Debatten über die Krypto-Technologie gibt es zwei Extreme: Entweder, Krypto sei digitales Gold, da es knapp und aufwendig herzustellen sei. Oder: Es sei ein einziges Betrugssystem („Scam“). Beide Aussagen sind falsch und zeugen von einem mangelnden Verständnis unseres Geldsystems.

Geld macht der Staat

Ob Zahlen auf unserem Konto, gedruckte Geldscheine und geprägte Münzen oder Krypto-Tokens – nichts davon hat einen fundamentalen Wert, der es zum Zahlungsmittel befähigt. Unser normales Fiat-Geld wird durch ein staatliches Dekret geschaffen. Es hat keinen inneren Wert wie die Materialeigenschaft des Warengeldes (Gold oder Silber), sondern bezieht den Wert aus dem staatlichen Zahlungsversprechen.

Der Materialwert und die Frage, ob zur Herstellung von Geld viel oder wenig Energie aufgewendet wurde, ist für die Akzeptanz als Zahlungsmittel unerheblich. Ich könnte auch viel Energie und Lungenvolumen verausgaben, um den ganzen Tag Luftballons aufblasen. Deswegen werden sie nicht zum akzeptierten Zahlungsmittel.

Der Grund, warum wir die Zahlen auf unseren Konten trauen und ihnen einen Wert beimessen, ist, dass der Staat unsere Währung per Dekret als Zahlungsmittel festgelegt hat. Daher werden Preise in dieser vom Staat erzwungenen Recheneinheit ausgedrückt und alle akzeptieren die Annahme an sich „wertloser“ Zahlen.

Wenn wir eine Uhr wollen und nur einen Tisch bieten können, der Uhrmacher aber keinen Tisch braucht, käme es nicht zum Tausch. Durch Geld können wir miteinander Geschäfte treiben, ohne Waren tauschen zu müssen. Der Uhrmacher bekommt unser Geld und kann sich einen Stuhl kaufen statt eines Tisches.

Bricht das Vertrauen in den Wertanker einer staatlichen Währung zusammen, etablieren sich hingegen Parallelwährungen. Das sind zum Beispiel Fremdwährungen oder gar Zigaretten, Schokolade oder andere Güter, die sich in kleinere Einheiten unterteilen lassen und nicht schnell verderben.

Das Kreditsystem

Die zentrale Innovation des modernen Fiat-Geldsystems ist es, dass Banken per Knopfdruck Zahlen auf unseren Konten schaffen und Kredite vergeben, um so etwa zukünftige Produktion zu finanzieren. Wichtig ist dabei, dass niemand sein Geld verleihen und zuerst auf Konsum verzichten muss, damit jemand anderes einen Kredit erhält. Denn Banken schaffen Kredit, also Geld, per Knopfdruck aus dem Nichts. Sie müssen nur davon überzeugt sein, dass der Kreditnehmer über genug Sicherheiten verfügt.

Wie viel Geld geschaffen wird, hängt im Wesentlichen von der Kreditnachfrage und somit den wirtschaftlichen Erwartungen sowie der Kreditpolitik der Banken und nicht den physisch begrenzten Goldvorkommen ab. Positive Erwartungen regen die Kredit- und Geldschöpfung an und ermöglichen mehr Investitionen und umgekehrt. Werden die Erwartungen nicht erfüllt oder kommt es zu spekulativen Übertreibungen, kann dies in Finanzkrisen münden. Grundsätzlich ist der Mechanismus aber sinnvoll. Es ist wie Ein- und Ausatmen. Ein künstlich limitiertes Zahlungsmittel wird dieser Anpassung an das Wirtschaftsleben nicht gerecht.

Eine extreme Inflation kann das Vertrauen in den Wertanker allerdings beschädigen und Flucht in Alternativ-Währungen wie Schokolade oder Zigaretten begünstigen. Daher versuchen Notenbanken – etwa via der Zinshöhe – Einfluss auf die Kreditschöpfung der Banken zu nehmen und die wirtschaftlichen Erwartungen zu stabilisieren.

Wenn Zentralbanken Wertpapiere von Geschäftsbanken abkaufen und den Geschäftsbanken Guthaben auf ihre Konten buchen, erzeugen sie mehr Zentralbankgeld. Doch Zentralbankgeld ist kein Banken-Geld, das in der Wirtschaft zirkuliert und unmittelbaren Einfluss auf das Wirtschaftsleben hat. Es dient der Zahlungsabwicklung zwischen Banken und soll die Liquidität von Banken absichern. Denn nur Banken haben bisher Konten bei der Zentralbank.

Sind Krypto-Assets „Scam“?

Kommen wir zum Bitcoin unter dem Weihnachtsbaum. Wie lässt sich der mit unserem Geld vergleichen? Es ist das zentrale „Problem“ limitierter Krypto-Assets wie Bitcoin, dass sie gerade keine Alternative zum Geld sind, da sie künstlich knapp gehalten werden. Dies kann sie zwar zum begehrten „Sammlerobjekt“ oder Weihnachtsgeschenk machen, verhindert aber die zentrale Funktion und Innovation des Kreditsystems: durch Geld mehr Produktion oder Einkommen – und somit noch mehr Geld zu schaffen.

Krypto-Assets können natürlich wie ein Kunstwerk ein Wertspeicher sein und womöglich an Wert gewinnen. Sie werfen zwar keine Rendite wie eine Immobilie ab und sind auch kein glänzendes Edelmetall wie Gold, dass von Notenbanken zum Umtausch in die Landeswährung akzeptiert wird. Aber wie fast alles kann auch ein Krypto-Asset über Wert verfügen, wenn viele Menschen oder wenige Menschen mit viel Kaufkraft einer Kryptowährung Wert beimessen.

Nur dies macht Bitcoin aufgrund des hohen Energiebedarfs, der für die Schöpfung des Bitcoin über dezentrale Rechner erforderlich ist, keineswegs zum effizienten Zahlungsmittel. Im Gegenteil: Wenn man an den zukünftigen Wert von Bitcoin glaubt, will man das Asset halten und irgendwann wieder zu Fiat-Geld machen, statt es im Alltag für den täglichen Konsum zu nutzen. Wer würde schon mit einem Picasso unter dem Arm Brötchen kaufen?

Die aktuelle Kursrallye beim Bitcoin hat auch viel damit zu tun, dass wir in unsicheren Zeiten leben. Schon durch die Russland-Sanktionen ist anzunehmen, dass Krypto-Assets wie Bitcoin genutzt werden, um das Bankensystem zu umgehen. Es ist etwa kein Zufall, dass Bitcoin zeitweise offizielles Zahlungsmittel in der Zentralafrikanischen Republik war. Die meisten Menschen verfügen dort nicht mal über Strom und nutzen Bitcoin genauso wenig wie in El Salvador, wo Bitcoin durch den Präsidenten angepriesen wird. In der Zentralafrikanischen Republik gab es aber eine hohe Präsenz der russischen Wagner-Truppen und in El Salvador viel Drogengeld. Dies bedeutet nicht, dass die Nutzung von Bitcoin deshalb immer illegitim sein muss. Visa und Mastercard drehten etwa die Enthüllungsplattform Wikileaks unter Druck der US-Regierung von ihrem Zahlungssystem ab, also wich die Plattform auf Bitcoin aus.

Deswegen sind Krypto-Assets noch kein „Scam“. Denn wie zuvor dargestellt ist auch unser Geld zunächst „wertlos“. Und ist nicht auch jeder Kredit eine Wette auf die Zukunft und somit „Spekulation“?

Der tote Hai

Ihren „Wert“ beziehen Krypto-Assets aus der Nachfrage und dem Glauben, dass andere auch daran glauben. Dies wird von keinem Staat erzwungen. Es ist im Kern wie an der Börse oder einem Schönheitswettbewerb in der Zeitung, wo wir etwas gewinnen, wenn wir korrekt vorhersagen, welche Person der Durchschnitt der Leserschaft (nicht wir selbst) am schönsten findet. Der Wert von Krypto-Assets ist daher auch eine Wette auf den Glauben anderer Leute. Daher ist die Krypto-Community zuweilen aggressiv. Denn sie müssen die anderen „Beauty-Queens“ hässlich darstellen, um Nachfrage nach dem eigenen Asset zu erzeugen. Sie versuchen mit komplizierten Begriffen aus der Welt der Computertechnologie einen Mythos um das eigene Asset zu generieren.

Es gibt viele Krypto-Projekte, die aufgrund der Goldgräberstimmung ein „Scam“ sind. Das ist wie in jedem Goldrausch normal. Der Zusammenbruch der Krypto-Börse FTX und die Anklage gegen den Gründer Sam Bankman-Fried, der zunächst mit Krypto-Arbitrage sein Geld machte, ist eine Mahnung. Aber eine Aussage wie „Krypto ist Scam“ hilft konkret auch wenig weiter. Denn demnach wären auch viele Assets wie teure Kunstwerke Scam. So erzielte etwa der tote Hai des Künstlers Damien Hirst, der später anfing zu verrotten, 2005 einen Verkaufserlös von zwölf Millionen Dollar. Währenddessen hatte der Ladenbesitzer Eddie Saunders viele Jahre einen toten Hai in seinem Elektrogeschäft hängen. Er erzielte nur einen Verkaufserlös von 1,5 Millionen Dollar. Am „Materialwert“ kann es nicht liegen.

Ob es nun dem Malen eines Gemäldes, dem Ausstopfen eines Hais oder dem Erzeugen von Zahlen in Datenbanken mit hohem Stromverbrauch Wert beigemessen wird, liegt im Auge des Betrachters. Entscheidend ist, ob es einen Markt oder eine Nachfrage gibt. Über einen Bitcoin als Weihnachtsgeschenk könnt ihr euch also genauso freuen wie über ein wertvolles Kunstwerk. Oder einen toten Hai – das ist Geschmackssache.