Mit Worldcoin erhält eine einzelne Organisation zu viel Macht, kommentiert Fabio De Masi (Bild: Worldcoin / Collage: FFWD)

Kritik an Worldcoin: German Angst oder eine Technologie, die sich nicht aufhalten lässt?

Auch in deutschen Städten stehen neuartige Geräte, mit denen Menschen ihre Iris scannen lassen können. Im Gegenzug sind sie mit Worldcoin in der Lage, sich im Netz als Mensch auszuweisen – und erhalten Kryptowährungen auf ein Konto. Ist die Kritik nur wieder German Angst? Nein, eine einzelne Organisation erhält zu viel Macht – wieder einmal, kommentiert der frühere Abgeordnete und Wirecard-Aufklärer Fabio De Masi.

Es ist nicht das erste Mal, dass Unternehmen Lösungen für Problemen anpreisen, die ihre Technologien selbst mit verursacht haben. Man denke an die Dating-App Tinder, die auch eine Reaktion auf die digitale Vereinzelung der Menschen durch das Internet darstellt. Oder nach der Erfindung des Fernsehers folgte der Frühsport im TV. Und weil viele Menschen immer mehr Zeit vor Bildschirmen und am Schreibtisch verbringen, wird uns täglich Werbung für Apps mit Übungen gegen Rückenprobleme auf die Geräte gespielt. Für gestresste Großstädter gibt es Yoga-Kurse, Achtsamkeitsseminare und Urlaube im Schweigekloster. Der Katalysator und die Elektromobilität sind Reaktionen auf die Umweltbelastung durch den Individualverkehr. Dies entspricht schlicht der Logik technologischer Umbrüche und auch dem menschlichen Schöpfergeist sowie dem Gewinnstreben.

Das Projekt Worldcoin, das von der Gesellschaft „Tools for Humanity“ mit Sitz in San Francisco und Berlin betrieben wird, steht wieder für so einen Umbruch. Denn ausgerechnet der Gründer von OpenAI, Sam Altman, will mit Worldcoin der Manipulation von Identitäten durch Künstlichen Intelligenz begegnen. Altman will die Augen der Menschen scannen und sieht die Zukunft in einem bedingungslosen Grundeinkommen Seine These: Viele Jobs könnten durch Künstliche Intelligenz wegfallen und das Netz werde mit Bots geflutet. An der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz, die nun Worldcoin nötig mache, war Altman mit OpenAI zumindest nicht ganz unbeteiligt.

Der deutsche Mitgründer Alex Blania beschrieb die Manipulation der Wirklichkeit im Finance-Forward-Podcast als negativen Teil der technologischen Entwicklungen– neben den vielen Durchbrüchen. Die Nutzer sollen sich über einen Irisscan des Auges wie bei einem Fingerabdruck mit einer unverwechselbaren digitalen Identität (World ID) als Mensch ausweisen können. Altman verspricht gleich einer religiösen Erlöserbewegung nicht weniger als die Bekämpfung der Ungleichheit durch Technologie.

Fallen bei einem Projekt so viele gehypte Begriffe wie „Bedingungsloses Grundeinkommen“ oder „digitale Identität“ – und ist das Ganze noch mit einer Kryptowährung verknüpft, macht mich das hellhörig. Kaum ein Projekt wird zurzeit so heiß diskutiert wie der Iris-Scanner. Und so sagte der Gründer selbst ganz treffend: „Die einen hassen Worldcoin, die anderen feiern es.“

Das dystopische Potenzial von Worldcoin

Das dystopische Potenzial rief nun im Falle von Worldcoin auch Behörden auf den Plan. Das Innenministerium warnte vor Worldcoin und erklärte: „Als lebenslanges Identifizierungsmerkmal sind Retina oder Iris des Auges nicht zielführend, weil sie durch Unfall oder Erkrankung als Authentisierungsmittel unbrauchbar werden können“, Risiken bestünden durch die Weitergabe eines „biometrischen Faktors“, der „im Falle eines Datenleaks nicht mehr als sicher angesehen werden“ könne. In Kenia gab es wegen des von Altman offerierten „Begrüßungsgelds“ einen Ansturm auf die Registrierungsstellen. Die kenianische Regierung stoppte daher das Projekt aus Datenschutzgründen vorerst. Auch die deutsche Finanzaufsicht Bafin ermittelt.

Die federführende Behörde in der EU für die Prüfung des Datenschutzes bei Worldcoin sei das bayerische Landesamt für Datenschutzaufsicht (LDA), heißt es vom Unternehmen selbst. Das erinnert ein wenig an die putzigen Umstände im Wirecard-Skandal, wo die Zuständigkeit für die Geldwäscheaufsicht über den einstigen Dax-Konzern beim Regierungsbezirk Niederbayern lag. Dort kümmerte man sich sonst um Autohändler und Juweliere.

Lässt sich Technologie aufhalten?

Nun ließe sich ketzerisch fragen, ob sich Technologie denn aufhalten lässt. Ist es nicht wie bei der Einführung des Fingerabdrucks, dem DNA-Test oder der Passkontrolle via Gesichtsscan nur logisch, dass wir die zweifelsfreie Identifizierung von Personen über körperliche Merkmale anstreben?

Dazu sind vier Dinge anzumerken:

Erstens ist es ein Unterschied, ob eine hoheitliche und idealerweise demokratisch kontrollierte Behörde bestimmte Daten erhebt oder eine Gesellschaft, die trotz aller Open-Source-Rhetorik und Plänen für einen dezentralen Aufbau am Ende privatwirtschaftlichen Interessen dient. Auch OpenAI wurde unter anderem von Microsoft und Tech-Milliardär Elon Musk angeschoben (Musk baut nun mit xAI einen Konkurrenten). Es ist wie bei einem „kostenlosen“ Facebook-Konto üblich, eine Technologie zunächst möglichst weit verbreiten zu wollen, um die Nutzer „einzuzäunen“. Und wenn sie auf die Technologie nicht mehr verzichten können, weil sie von so vielen anderen Menschen genutzt wird, neue Geschäftsmodelle zu generieren und die Daten zu monetisieren. Ich bin daher skeptisch, wenn Tech-Milliardäre (legitime) Profitinteressen mit zu viel karitativem Vokabular vernebeln.

Zweitens ist es ein Unterschied, über wie viele Daten ein Unternehmen verfügt, Behörden verfügen womöglich über unseren Fingerabdruck. Aber würden wir deswegen derselben Behörde auch ohne Verdacht auf eine Straftat unser komplettes Bezahlverhalten offenlegen? Es macht daher einen Unterschied, wie viele (unterschiedliche) Daten in einer Organsiation gebündelt werden.

Drittens verdeutlicht Worldcoin einen weiteren Aspekt der Plattform-Ökonomie. Coca-Cola mag den Markt mit Getränken dominieren. Und Energiekonzerne den Rohstoffmarkt. Aber Tech-Konzerne und Plattformen sind nicht auf einen Kernmarkt oder auch nur verwandte Märkte beschränkt. Denn Daten können in jeden Bereich des modernen Lebens vordringen. Der Finanzmarkt ist dabei immer die Königsdisziplin, da wir fast nirgends so viele Datenpunkte hinterlassen wie beim Bezahlen und dabei unsere täglichen Gewohnheiten sowie unseren sozialen Status offenbaren. Die Datenspur des Geldes ist die DNA des modernen Finanzkapitalismus. Und wenn Konzerne ihre Datenmacht in verschiedenen Märkten ausspielen und Daten verknüpfen können, birgt dies immer enorme Gefahren.

Viertens bauen die neuen Tech-Pioniere nicht einfach an neuen digitalen Innovationen, die natürlich immer auch privates Schöpfertum erfordern. Die Plattform-Ökonomie zeichnet sich dadurch aus, dass private Akteure hoheitliche Infrastruktur kontrollieren. Es geht daher, um im Beispiel des Finanzmarktes zu bleiben, nicht einfach darum, ob eine zweite Deutsche Bank entsteht, sondern ob Datenmacht und Finanzinnovationen in einer neuen „internationalen Zentralbank“ mündet, die ein neues Zahlungsmittel etabliert, aber dabei Profit-Motive verfolgt. Und würden wir der Zentralbank sowohl unsere biometrischen Daten und unsere Kontobewegungen überlassen wollen?

Die Europäische Zentralbank (EZB) verfügt über beides bisher nicht. Denn wir haben Konten bei Geschäftsbanken und diese unterhalten wiederum Konten bei der EZB. Die Episode um Worldcoin verdeutlicht jedoch, warum wir dringend auch öffentliche Alternativen für das digitale Bezahlen wie digitales Zentralbankgeld als Ergänzung des physischen Geldes brauchen. Auch hier ist die entscheidende Frage aber, wie viel unsere digitale Identität wir einer Institution preisgeben und ob unser physisches Geld dabei verdrängt wird. So wie Facebook kein Ersatz für das reale Leben ist, sollten wir nie nur auf einem digitalen Bein stehen.

Zweifel am Technologie-Versprechen

Auch an dem Versprechen von Altman, dass Technologie die Ungleichheit bekämpfe oder menschliche Arbeit überflüssig mache, sind Zweifel angebracht. Wir konnten in den vergangenen Jahren eher gegenteilige Tendenzen beobachten: Die Spaltung des Arbeitsmarktes in qualifizierte Hightech-Jobs und ein neues „Uber-Proletariat“, das haushaltsnahe Diensten erbringt. Als Menschen wird es uns nie an Aufgaben oder dem Drang fehlen, etwas in unserer Lebenszeit zu erschaffen. Vielmehr geht es darum, wie und was wir zu welchem Zweck schaffen und produzieren und ob diese Entscheidung nur dem Markt, der Gewinnerzielung oder auch demokratischen Prozessen unterworfen ist.

Technologie hat daher zuweilen das Potenzial, unser Leben besser zu machen. Aber die Schlüsselfragen des 21. Jahrhunderts lauten: Nutzen wir höhere Einkommen oder höhere Produktivität, um etwa unser Energiesystem effizienter zu machen, Krankheiten zu bekämpfen, sinnvolle Technologien zum Bezahlen zu entwickeln? Oder geht es nur darum, jedes Jahr eine neue iPhone-Generation zu bauen und mehr unserer Lebenszeit im digitalen Universum zu verbringen? Vor dieser Frage lässt sich im Unterschied zu Worldcoin nicht die Augen verschließen.