So sieht das neue Feature aus (Bild: PR).

Klarna will durch eine Live-Shopping-Funktion Kunden an Läden vermitteln

Klarna ist als Zahlungsabwickler zu Europas wertvollstem Startup aufgestiegen. Nun will das schwedische Unternehmen sein Angebot um Funktionen zum Live-Shopping erweitern. Kunden sollen sich ab sofort mit Mitarbeitern aus stationären Geschäften über Produkte austauschen können – per Chat oder Videocall. Wie funktioniert das?

2021 hat Klarna das britische Startup Hero übernommen – nun wird das Ergebnis sichtbar: Das schwedische Fintech erweitert sein Angebot um eine Live-Shopping-Funktion. Kunden können sich ab sofort beim Online-Shopping mit Mitarbeitern aus stationären Geschäften per Videocall oder Messenger verbinden lassen. Klarna arbeitet dafür bereits mit mehr als 300 Marken wie dem Jeans-Hersteller Levi’s oder dem Modehersteller Hugo Boss zusammen. Diese integrieren die Live-Shopping-Option von Klarna in ihre Online-Shops, über die Kunden sie dann aufrufen können. Von Turnschuhen über Anzüge bis hin zu Sofas können Kunden Produkte virtuell anschauen und kaufen – ohne je einen Fuß in das jeweilige Geschäft gesetzt zu haben. Nun wird das Angebot anderen Einzelhändlern, die mit Klarna kooperieren, zugänglich gemacht.

„Aktuell ist man als Kunde beim Online-Shopping immer noch sehr einsam“, sagt Klarnas Marketingchef David Sandström im Gespräch mit OMR und Finance Forward: „Es fehlen die Elemente, die Offline-Shopping für viele Menschen immer noch so interessant machen – zum Beispiel Beratung und der persönliche Kontakt.“ Dabei gebe es viele Produktkategorien, in denen diese immer noch wichtig seien, etwa bei Elektrogeräten, Beauty-Produkten oder auch Mode. Mit seiner virtuellen Shopping-Funktion will Klarna nun die Vorzüge von Online- und Offline-Einkauf verknüpfen.

Deutschland ist für Klarna der wichtigste Markt

Es ist der nächste Schritt in einer Entwicklung, die vor einigen Jahren begonnen hat. Klarna, das mit einer Bewertung von 45,6 Milliarden Dollar als wertvollstes Startup Europas gilt, wandelt sich vom reinen Bezahldienst zu einer Art Super-App, bei der die Zahlungsabwicklung nur noch ein Angebot von vielen ist. „Die Zahl der Anwendungen beziehungsweise digitalen Lösungen und Services, die man nutzt, ist begrenzt“, sagt David Sandström: „Umgekehrt sehen wir in China, dass viele Kunden Super-Apps nutzen. Wir gehen davon aus, dass diese Entwicklung auch bei uns stattfinden wird.“

Klarna ist 2005 von Sebastian Siemiatkowski in Stockholm gegründet worden. In der Anfangszeit konzentriert sich das Startup auf die Abwicklung von Online-Zahlungen und ermöglicht dabei unter anderem den gerade in Deutschland beliebten Kauf auf Rechnung. Schnell wirkt es, als würde in Schweden eine Art europäischer Paypal-Konkurrent entstehen – denn Klarna expandiert auch durch Übernahmen wie die von Sofortüberweisung aus Deutschland rasant. Damit stößt man auch bei den großen Wagniskapitalgebern auf großes Interesse. Zu den Kapitalgebern zählen inzwischen die Schwergewichte der Branche wie Silver Lake, Sequoia Capital, Atomico, oder Permira. Inzwischen ist das Startup in rund 45 Märkten weltweit aktiv und hat mehr als 147 Millionen Kunden. Deutschland ist dabei der wichtigste Markt.

Klarna macht künftig Instagram oder Zalando Konkurrenz

Doch schon 2017 zeigt sich, dass die Grenzen zwischen dem Payment-Anbieter und dem Handel immer mehr verschwimmen. Damals beteiligt sich die Bestseller Group an den Schweden. Zu dem Textil-Unternehmen gehören unter anderem Marken wie Jack & Jones und Vero Moda, außerdem sind die Dänen an den deutschen Online-Modehändlern Zalando und About You beteiligt. Anfangs sieht es so aus, als würde Bestseller-Chef Anders Holch Povlsen damit seinen Fokus auf den Online-Modehandel lediglich um eine Bezahl-Komponente erweitern. Doch dann wurde daraus eine größere Vision. Das bestätigt auch Klarna-Marketingchef David Sandström, der im Jahr von Povlsens Einstieg bei Klarna angeheuert hat. „Als ich bei Klarna angefangen habe, waren wir ein Payment-Unternehmen. Jetzt wollen wir eine Consumer-Marke werden“, sagt Sandström (wir hatten bereits im vergangengen November berichtet, wie Klarna sich auf diesem Wege auch als Werbeplattform etablieren will).

Klarna macht damit Handels-Plattformen wie Zalando oder Amazon, aber auch sozialen Netzwerken wie Instagram, das im Bereich Shopping und Live-Shopping wachsen will, direkte Konkurrenz. Gleichzeitig verbreitert man dadurch das eigene Geschäftsmodell und sorgt – wenn das Modell Erfolg hat – für zusätzliche Einnahmen. Denn die sind nötig, um das von Firmengründer Siemiatkowski angekündigte Ziel, in ein bis zwei Jahren schwarze Zahlen zu schreiben, zu erreichen. 2021 lag der Verlust noch bei umgerechnet 668 Millionen Euro. Für die Verluste sorgten unter anderem Ausfälle von Krediten bei Ratenkäufen („Buy now, pay later“). Klarna ist in diesem Bereich einer der Vorreiter, bekommt aber inzwischen immer mehr Konkurrenz. So bietet beispielsweise auch Amazon in Kooperation mit dem Anbieter Affirm inzwischen die „Buy now, pay later“-Möglichkeit an.

Online-Live-Shopping interessiert auch ohne Pandemie

„All diese Unternehmen und wir sind schon jetzt Frenemys“, sagt Klarna-Manager David Sandström: „Wir sehen gerade, dass Unternehmen aus verschiedenen Richtungen kommen, aber in den selben Bereichen aktiv werden.“ Amazon werde vom Händler zum Logistiker, Instagram biete Shopping-Möglichkeiten und Payment-Optionen an und Klarna erweitere seine Payment-Optionen um ein Shopping-Angebot. „All diese Unternehmen versuchen einfach, ein möglichst großes Stück vom Kuchen zu bekommen“, sagt Sandström. Aus der Vogelperspektive betrachtet, hätten viele Unternehmen die gleichen Ambitionen. Der Traum von der Super-App – er lebt aktuell auch in vielen Konzernzentralen.

Die Live-Shopping-Option soll Klarna weiteres Wachstum bringen. Dass man den idealen Zeitpunkt für die Einführung der Option angesichts weitgehender Lockerungen der Corona-Maßnahmen eigentlich verpasst hat, bestreitet Adam Levene. Er hat das von Klarna übernommene Startup Hero gegründet und verantwortet bei den Schweden nun den Shopping-Bereich. „Wir glauben nicht, dass diese Technologie nur während einer Pandemie interessant ist“, sagt Levene. Und auch Sandström widerspricht. Die Live-Shopping-Funktion über die Online-Shops der Händler ist aus seiner Sicht vielmehr eine Möglichkeit, vorhandene Ressourcen besser auszunutzen: „Die Mitarbeiter sind bereits in den Geschäften und werden dort bezahlt. Warum sollten sie nicht in dieser Zeit auch Online-Kunden beraten?“

Hilft das Shopping-Angebot Klarna bei seinen Börsenplänen?

Adam Levene glaubt, dass sich sogar für Offline-Kunden und die Mitarbeiter der Geschäfte weitere Vorteile ergeben könnten. Denn viele Kunden bestellen oft abends auf der Couch bei Online-Shops – und haben auch dann den Beratungsbedarf. Levene sagt: „In vielen Fällen könnten die Geschäfte beispielsweise länger offen bleiben, wovon dann auch stationäre Kunden profitieren würden. Umgekehrt könnten Mitarbeiter Kunden auch von Zuhause aus beraten und sogar aus verschiedenen Zeitzonen bedienen.“ Ob es am Ende wirklich so weit kommt, bleibt abzuwarten. Möglich ist auch, dass sich ein weiteres Konzept noch stärker durchsetzt, dass man so ähnlich auch bei Lieferdienst-Plattformen wie Lieferando beobachten konnte. Dort entstanden nach einiger Zeit so genannte Ghost Kitchens, also virtuelle Restaurants mit einer Küche, aber ohne Gästebereich, bei denen ausschließlich für die Online-Kundschaft gekocht wurde. David Sandström sagt, man sehe schon, dass viele Händler eigene Dark Stores errichteten.

Klarna dürfte mit beiden Varianten gut leben können. Für das Unternehmen geht es schließlich darum, die Wachstumsgeschichte der vergangenen Jahre weiter fortzuschreiben. Zuletzt hatte das relative Wachstumstempo gegenüber dem Jahr 2020 (dem ersten Corona-Jahr) etwas nachgelassen, berichtete kürzlich das Handelsblatt. Und auch David Sandström räumt ein, dass der Online-Handel in Klarnas wichtigstem Markt Deutschland langsam ein Plateau erreicht. Die Live-Shopping-Option soll das ändern – und könnte auch bei Investoren als Wachstumsgeschichte gut funktionieren. Denn immer wieder kommt die Frage auf, wann Klarna den Sprung an die Börse wagt. Spricht man David Sanström darauf an, lacht er und verweist auf das aktuell schwierige Marktumfeld für Tech-Unternehmen: „Ich hoffe natürlich, dass die Märkte unsere Vision attraktiv finden – aber dennoch ist es aktuell nicht besonders klug, über einen Börsengang zu sprechen.“