Wie Klarna das heißeste Fintech der westlichen Welt wurde
Der schwedische Payment-Anbieter verkündete kürzlich ein nächstes Riesen-Funding, Klarna wird aktuell mit 46 Milliarden Dollar bewertet. Gerade in den vergangenen Monaten boomte das Geschäft – vor allem auf dem wichtigen US-Markt. Wie gelang dieser Aufstieg?
Es ist noch nicht lange her, da spielte Klarna noch in der gleichen Liga wie die Neobanken N26 und Revolut – für wenige Monate hatte das Berliner Fintech den Payment-Anbieter mit seiner Bewertung sogar überflügelt. Doch in den vergangenen 18 Monaten ist viel passiert. Vor allem bei Klarna: Während Konkurrenten wie Paypal ihren Wert im Zuge der Pandemie in etwa verdoppelt haben, hat sich die Taxierung von Klarna auf 46 Milliarden Dollar grob verachtfacht.
1. Klarna ist das europäische Paypal …
So imposant die neue Bewertung anmutet – verglichen mit den großen amerikanischen Payment-Konzernen ist Klarna immer noch eine kleine Nummer. Jedenfalls auf den ersten Blick. So kommt Visa auf einen Börsenwert von 513 Milliarden Dollar, bei Mastercard sind es 361 Milliarden Dollar, die Marktkapitalisierung von Paypal beläuft sich auf 321 Milliarden Dollar.
Gleichwohl: Nicht nur Visa und Mastercard sind bedeutend älter als Klarna (gegründet 2005), auch auf Paypal (gegründet 1998) trifft dies zu. Oder anders gesagt, Klarna ist jetzt ziemlich exakt so viel wert, wie es Paypal bei seinem Börsengang 2015 war – ungefähr in dem gleichen Alter, in dem Klarna heute ist. Vergleicht man die Schweden mit dem größten der jüngeren amerikanischen Payment-Spezialisten, nämlich mit Stripe (zuletzt von seinen Investoren mit 95 Milliarden Dollar taxiert), dann ist der Abstand gar nicht mehr so groß.
2. … und das Zoom der globalen Payment-Branche
Als Klarna im August 2019 eine Finanzierungsrunde im Umfang von 460 Millionen Dollar verkündete, da lag die Bewertung bei – rückblickend betrachtet – fast schon bescheidenen 5,5 Milliarden Dollar. Sprich: Gerade mal 1/9 der heutigen Taxierung entstammten aus den ersten 14 Jahren nach der Gründung, die übrigen 8/9 aus den zurückliegenden knapp 24 Monaten. Während Paypal seinen Wert in den vergangenen knapp zwei Jahren gut verdoppelt und Stripe seine Taxierung knapp verdreifacht hat, konnte Klarna im gleichen Zeitraum seine Bewertung verachtfachen; nicht mal Adyen, der ebenfalls hochgewettete Zahlungsdienstleister aus den Niederlanden, kann da annähernd mithalten.
Zugegeben, Klarna kam von einem niedrigeren Ausgangsniveau. Und doch bleibt zu konstatieren: Kein anderer namhafter westlicher Zahlungsdienstleister hat im Zuge der Pandemie einen derartigen Aufschwung erlebt.
3. Klarna hat eine neue Bezahlart „erfunden“
Die Erklärung, warum ausgerechnet Klarna derart boomt, lässt sich vereinfacht in vier Buchstaben zusammenfassen: BNPL.
„BNPL“? Das ist das Kürzel für „Buy now, pay later“.
Und „Buy now, pay later“? Das ist, wenn man so will, der Trend im Trend.
Konkret: Immer mehr Menschen erledigen ihre Einkäufe online beziehungsweise per Smartphone; also wird auch immer häufiger online bezahlt. Davon profitieren naturgemäß alle gängigen E-Commerce-Bezahlarten; wobei „Buy now, pay later“ besonders stark zu profitieren scheint. Konkret: Die Wachstumsraten sollen weltweit bei rund 30 Prozent pro Jahr liegen, in den USA sogar bei mehr als 40 Prozent.
Der größte Profiteur dieser Entwicklung ist Klarna. 2020 wickelten die Schweden Zahlungstransaktionen im Umfang von 53 Milliarden Dollar ab. Die beiden bekanntesten westlichen „BNPL“-Spezialisten abgesehen von Klarna, nämlich Afterpay und Affirm, kamen lediglich auf 11 Milliarden Dollar beziehungsweise 6 Milliarden Dollar.
Nun hat Klarna zwar „BNPL“ nicht im Wortsinne erfunden. Im Gegenteil, unter die „BNPL“-Definition fallen ja auch klassische Bezahlarten wie der Rechnungs- oder Ratenkauf. Allerdings: Mit Schumpeter gesprochen, ist Klarna sozusagen der große Innovator, der „BNPL“ im E-Commerce zum feststehenden Begriff gemacht hat und nun der größte Nutznießer dieses selbst gesetzten Trends zu werden scheint.
4. Klarna hat eine realistische Chance, auch in den USA richtig groß zu werden
Rechnungs- und Ratenkauf sind klassische europäische Bezahlarten. Die Amerikaner hingegen bezahlten jahrzehntelang im Zweifel lieber per Kreditkarte. Inzwischen allerdings zeichnet sich bei vielen US-Verbrauchern ein Umdenken ab, „Debit“ statt „Credit“. Und kaum ein anderer Payment-Manager hat diesen Shift klarer kommen sehen als Sebastian Siemiatkowski, der Gründer von Klarna. So sagte der heute 39-Jährige im August 2019 in einem Interview mit dem Startup-Magazin „Sifted“:
„There has been a massive amount of demographic shifts in the UK and in the US the last ten years that we were unaware of. Although credit card volume has grown about twice, debit card volume has grown tenfold and 70% of millennials in the US do not have a credit card, they only have a debit card.“
Unter der Prämisse, dass diese Trend anhalten würde, expandierte Klarna schon vor Jahren in die USA. Und inzwischen sieht es so aus, als würden die Schweden dort tatsächlich Boden gewinnen, trotz heimischer Herausforderer wie Affirm und obwohl etabliertere Player wie Paypal inzwischen natürlich auch auf „BNPL“ setzen. 18 Millionen Nutzer zählt Klarna in den USA bereits, allein seit Anfang Februar sind drei Millionen hinzugekommen.
Keine Frage: Dass die Schweden ihre Bewertung allein im zurückliegenden dreiviertel Jahr von 11 Milliarden Dollar auf 46 Milliarden Dollar haben steigern können, liegt nicht zuletzt daran, dass Klarna nicht mehr nur eine europäische, sondern inzwischen auch eine amerikanische Wette ist.
5. Große Online-Händler kommen an Klarna kaum noch vorbei
Es kursieren ein paar hübsche Anekdoten, die den Durchbruch Klarnas auf dem US-Markt illustrieren.
Die Handelskette „Foot Locker“ zum Beispiel integrierte die Schweden im vergangenen Oktober in ihren Onlineshop; quasi aus dem Stand heraus habe Klarna zu den drei beliebtesten Bezahlmethoden gehört, berichtete „Foot Locker“-CEO Richard Johnson wenige Wochen später bei einer Analystenkonferenz
Die Modekette Express wiederum setzte im September vergangenen Jahres erstmals auf den Bezahldienst aus Europa. Drei Monate später erklärte CEO Timothy Baxter in einem „Conference Call“, das durchschnittliche Bestellvolumen sei durch die Einführung Klarnas um ein Viertel nach oben geschossen
Es ist ganz offensichtlich so, dass von Klarna etablierte Bezahloptionen wie „Später zahlen“ insbesondere bei jüngeren Verbrauchern verfangen. Wer als großer Online-Händler hiervon profitieren will, kann kaum anders als Klarna anzubieten – wobei die Preismacht mehr und mehr aufseiten Klarnas liegt.
6. Klarna ist eine Marke – vor allem beim Endkunden
Zuerst kommt der Händler, dann der Shopper. Diese unter Zahlungsdienstleistern altbekannte Regel hat auch Klarna beherzigt. Dank eines überzeugenden technischen Setups haben es die Schweden (ähnlich wie Adyen als PSP) in relativ jungen Jahren geschafft, bei etlichen namhaften europäischen Online-Shops integriert zu werden.
Bloß: Klarna hat sich (anders als beispielsweise der Berliner Rechnungskauf-Spezialist Ratepay) nicht mit der bloßen Rolle als Whitelabel-Abwickler zufriedengegeben. Sondern: Die Schweden haben gerade in den vergangenen Jahren viel Geld und viel Fantasie darauf verwendet, sich als Marke auch beim Endkunden zu etablieren. Beispielsweise durch Werbeträger wie Snoop Dogg und Lady Gaga. Oder auch durch den Wechsel auf die unkonventionelle und dadurch zunehmend unverwechselbare Markenfarbe Rosa.
Der Payment-Experte und regelmäßige Finanz-Szene.de-Gästeblogger Marcus Mosen sagt: „Klarna hat inzwischen einen sehr hohen Markenwert und damit einen hohen Brand-Equity erreicht, insbesondere auf der Konsumentenseite.“
7. Klarna beherrscht die Basics
Die mitunter genialen Marketing-Kampagnen stützen einen Befund, der laut Branchenkennern für das Unternehmen ganz allgemein gilt: Bei Klarna sitzen offenbar Leute, die wissen, was sie tun, im Großen wie im Kleinen. So sagt ein hochrangiger deutscher Payment-Manager, der aufgrund eines Konkurrenzverhältnisses ungenannt bleiben will: „Bei Klarna ist – neben vielen anderen Dingen – einfach auch die User Experience richtig, richtig gut. Zwar gibt es mittlerweile auch etliche andere Zahlungsdienstleister, die ‚Buy now, pay later‘ anbieten, aber was die Funktionalitäten und das Nutzererlebnis angeht, ist Klarna weiterhin die Benchmark.“
8. Klarna ist alles auf einmal: Bezahldienst, Fintech, Bank, Payday-Lender
Ist „Buy now, pay later“ eigentlich eine Bezahlart oder eine Finanzierungsart? Und ist Klarna eigentlich ein Bezahldienst, ein Fintech oder ein Konsumentenfinanzierer? Über eine Banklizenz jedenfalls verfügen die Schweden schon seit 2017. Und Einlagen sammeln sie auch ein, ebenfalls schon seit Jahren. Und: Klarna hat kürzlich sogar ein eigenes Girokonto an den Start gebracht.
Tatsächlich lässt sich Klarna viel schwerer fassen, als es gängige Attribute wie „Bezahldienst“ oder „Payment-Fintech“ nahelegen. In gewisser Weise ist Klarna nämlich ein Finanzdienstleister sui generis, auch in regulatorischer Hinsicht. Insbesondere in der britischen „BNPL“-Debatte spielt diese Facette eine große Rolle: Ist Klarna nicht in gewisser Weise ein moderner „Payday-Lender“? Und wenn die Finanzaufseher die Verbraucher einerseits vor „Payday Loans“ und ähnlichen Instrumenten zu schützen suchen – warum kann Klarna seine Dienste dann in einer Art regulatorischem Niemandsland weitgehend unbehelligt anbieten?
9. Vielleicht ist Klarna inzwischen sogar ein eigenes Scheme
Wenn man die Betrachtung dann noch einmal auf Klarnas Rolle als „Bezahldienst“ verengt – was für ein Bezahdienst ist Klarna dann?
Klar, im Kern stellen die Schweden mit ihren „Buy now, pay later“-Optionen ein Set an Bezahlmöglichkeiten bereit; ein Set übrigens, das in den zurückliegenden Jahren sorgsam arrondiert worden ist, unter anderem auch länderspezifisch, hierzulande etwa durch die Übernahmen von Billpay und Sofortüberweisung. Darüber hinaus tritt Klarna inzwischen auch als Payment Service Provider auf. Sprich: Die Schweden bieten Händlern ein komplettes Payment-Gateway an, das neben den eigenen auch alternative Bezahlmethoden wie beispielsweise Kreditkarte beinhaltet.
Doch hat man damit die Essenz dessen, was Klarna ausmacht, schon ausreichend beschrieben?
Es gibt Branchenexperten, die die Meinung vertreten, Klarna sei inzwischen viel mehr als ein einfacher Bezahldienstleister, nämlich ein eigenes Scheme, vergleichbar mit Mastercard, Visa oder auch mit Paypal. Einer unserer Ansprechpartner sagt, die Schweden seien, da sie sowohl zu den Händlern also auch zu den Endkunden unmittelbare Geschäftsbeziehungen unterhielten, „eine Art modernes American Express“.
Genauso argumentiert der Payment-Manager von der Konkurrenz: „Klarna ist, ähnlich wie Paypal, unabhängig von Visa und Mastercard. Sie sind selbst die Bezahlart und brauchen niemanden sonst, um Händler und Kunden zusammenzubringen. Das sind eindeutig die Charakteristika eines Schemes, die sich hier zeigen – und das zieht einen echten Wert nach sich. Denn: Wer selbst Scheme ist, der kann von anderen nicht so leicht aus dem Markt gedrängt werden.“
10. Klarna hat inzwischen Merkmale eines Marktplatzes
Die natürliche Rolle des Zahlungsdienstleisters (auch im E-Commerce) ist klassischerweise die im Hintergrund. Der Kunden legt sein Produkt in den Warenkorb, dann geht er zum Bezahlen und erst dort werden ihm schließlich die verschiedenen Bezahlmethoden wie „Kreditkarte“, „Rechnungskauf“, „Paypal“, „Giropay“ oder eben „Klarna“ angeboten.
Klarna indes schafft es mehr und mehr, die klassischen Rollen zu verkehren. Die eigene Endkunden-App ist nämlich längst keine reine Wallet mehr, sondern eine Art Lifestyle-Shopping-App, über die der Kunden zu den ihm empfohlenen Shops gelangt. Sprich: Der Bezahldienstleister sitzt nicht mehr auf der Rückbank des Händlers; sondern der Händler sitzt auf der Rückbank des Bezahldienstleisters. Was so weit gehen kann, dass der Online-Shop X den Zahlungsdienstleister Klarna integriert, nur um dann miterleben müssen, wie Klarna den vom Online-Shop X vermittelten Kunden zu seinem eigenen Kunden macht, um diesen dann an den Online-Shop Y zu vermitteln.
„Spätestens an dieser Stelle zeigen sich bei Klarna dann Merkmale, wie man sie ansonsten Google zuschreibt“, sagt Manager der Konkurrenz. Und der Branchenexperte Mosen erklärt: „Hier kommen dann Begriffe wie ‚Super-App‘ und ‚Ökosystem‘ ins Spiel.“ Ob die Klarna-App wirklich zur „Super-App“ wird und es den Schweden wirklich gelingt, ein eigenes Ökosysten zu etablieren, ist noch nicht ausgemacht. Seit letzter Woche allerdings steht fest: Etliche Investoren trauen Klarna genau das zu.