Die Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez setzt sich in den USA gegen Insiderhandel ein (Bild: imago)

Fabio De Masi: „Politiker sollten keine Aktien handeln dürfen“

In den USA gibt es eine Gesetzesinitiative gegen Insiderhandel in der Politik. Es wäre auch Zeit in Deutschland zu handeln, meint unser Kolumnist, der frühere Abgeordnete und Wirecard-Aufklärer Fabio De Masi. Wer vom Staat bezahlt wird, sollte in dieser Zeit auf aktive Finanzgeschäfte verzichten.

Ob in der Coronakrise, der Energiewende oder im Rüstungsgeschäft: Politiker verfügen über Kontakte, die sich vergolden lassen. Das haben etwa die Maskendeals von Abgeordneten unter Jens Spahn gezeigt, die jedoch wegen der schlechten deutschen Anti-Korruptionsgesetze nicht strafbar waren. Zudem hält Robert Habecks Staatssekretär, Udo Philipp, Beteiligungen an mehreren Startups, will diese aber nicht offenlegen. Erst im November 2022 schied Philipp als Kommanditist im Cleantech-Fonds von Grünen-Großspender Jochen Wermuth aus, der sein Vermögen in den 1990er Jahren bei der Deutschen Bank in Russland machte und auch den Atom-Staatsfonds berät, wie Journalist Thomas Steinmann im Wirtschaftsmagazin Capital offenlegte. Politiker verfügen über exklusive Informationen, die Märkte bewegen – und die sie für sich lukrativ nutzen können. Das müssen wir verhindern.

Wie das gehen kann, das zeigt sich aktuell in den USA. Dort ist eine fraktionsübergreifende Initiative im Kongress entstanden, um private Aktiengeschäfte mit Einzelwerten von Politikern und ihren Angehörigen einzuschränken. US-Demokraten wie Alexandria Ocasio-Cortez und Raja Krishnamoorti sowie Republikaner wie Matt Gaetz und Brian Fitzpatrick haben für das Vorhaben gemeinsam den Titel „Bipartisan Restoring Faith in Government Act“ gewählt. Es geht also darum, das Vertrauen in die Gesetzgebung zu schützen.

Der Gesetzesentwurf im US-Kongress würde Ehepartnern der Abgeordneten und weiteren Angehörigen verbieten, einzelne Aktien zu halten oder zu handeln. Sie müssten diese veräußern oder in einen „qualifizierten Blind Trust“ einbringen. Er verbietet den Mitgliedern und ihren Familien jedoch nicht, in gestreute Investmentfonds oder Staatsanleihen zu investieren oder Rentenbeiträge zu leisten.

Viele Mitglieder des US-Kongresses verfügen über bedeutende Aktienbestände. Das Stock-Gesetz von 2012 erlaubt es Kongressabgeordneten bisher, Aktien zu kaufen und zu verkaufen, solange sie keine Insiderinformationen verwenden und diese Transaktionen offenlegen.

Seit Langem fordere ich strengere Regeln gegen private Aktiengeschäfte und Insiderhandel in Ministerien sowie im Deutschen Bundestag. Ich habe während meiner Zeit im Parlament auf private Aktiengeschäfte verzichtet und meine Steuerbescheide freiwillig veröffentlicht. Denn die Bundesrepublik und der Bundestag werden in der Anti-Korruptionsgesetzgebung immer wieder internationale Organisationen wie den Europarat scharf gerügt. Die Gesetze gegen Abgeordnetenbestechung sind unzureichend und hinken selbst der Privatwirtschaft enorm hinterher. So gingen etwa die Maskendealer des Bundestages straffrei aus.

Die Lehren des Wirecard-Skandals

Im Wirecard-Skandal handelten Mitarbeiter der Finanzaufsicht Bafin, die für die Aufsicht über den nunmehr insolventen Zahlungsdienstleister zuständig waren, mit Wirecard-Aktien. Ebenso hielt ein Finanzattaché und Leihbeamter des Finanzministeriums an der deutschen Botschaft in Peking, der im Auftrag der Bundesregierung für das Unternehmen Klinken putzte, Wirecard-Aktien. Der frühere Chef der deutschen Wirtschaftsprüferaufsicht Apas, Ralf Bose, kaufte gar noch Wirecard-Aktien, nachdem er den verheerenden Bericht des Sonderprüfers KPMG gelesen hatte, der bemängelte, dass keine Belege für die Existenz von Umsatzerlösen mit den Drittpartnerfirmen von Wirecard gefunden wurden. Er ging entweder von einer kugelsicheren Staatsgarantie für Wirecard aus – oder hat den Bericht nicht verstanden.

Die Regeln für private Aktiengeschäfte von Beschäftigten in der Finanzaufsicht wurden seither nachgeschärft. Vor der letzten Bundestagswahl kündigte der damalige Finanzminister und aktuelle Bundeskanzler Olaf Scholz auch die Regeln in Ministerien nachzubessern. Im März 2021 präsentierte Scholz eine neue Richtlinie für das Finanzministerium (BMF), die laut Präambel dem Eindruck entgegenwirken sollte, „Beschäftigte des BMF könnten sich aufgrund ihrer Stellung und Kenntnisse gegenüber anderen privaten Anlegern Vorteile bei Finanzgeschäften verschaffen“.

Die Regeln wurden zunächst jedoch nur auf Bereiche oder Beschäftigte angewendet, denen „eine besondere Verantwortung und Vertrauensstellung zukommt“, weil sie sich etwa mit dem Finanzmarkt befassen oder Zugang zu kursrelevanten Informationen haben. Diese sogenannten „Kategorie 1“ beschäftigten dürfen dann keine Aktien, Anleihen oder Derivate von „Unternehmen der Finanz- und Realwirtschaft“ in Verbindung zu ihrer Tätigkeit im Ministerium handeln. Ausnahmen existieren für Erbschaften und Schenkungen. Sie sind außerdem verpflichtet jedwede Finanzgeschäfte der Compliance Abteilung des Ministeriums anzuzeigen.

Insiderhandel in Ministerien: Ein Flickenteppich an Regeln

Doch es bleiben Lücken: Sinnvoll wäre ein sogenanntes Zweitschriftverfahren, das die Börsengeschäfte von Mitarbeitern der Ministerien automatisch erfasst. Ich hatte zudem 2021 in einem Antrag gefordert Beschäftigte von Bundesministerien, des Bundeskanzleramts und ihrer Behörden analog zu Offenlegungspflichten des Verhaltenskodex der EU-Kommission zu verpflichten, „alle finanziellen oder sonstigen Interessen und Vermögenswerte, inklusive derer ihrer der Ehegatten oder ihrer eingetragenen Lebenspartnerinnen und Lebenspartner und minderjährigen Kinder, gegenüber der zuständigen Compliance Abteilung offenzulegen.“ (…) Gemeldet werden müssen unter anderem auch Nebentätigkeiten sowie juristische Personen, an denen der Beschäftigte eine Beteiligung hält. Dies würde etwa den aktuellen Fall des Staatssekretärs von Wirtschaftsminister Robert Habeck, Udo Philipp, erfassen, der an mehrerern Startups Beteiligungen hält – diese aber nicht nennen will. Diese wesentlichen finanziellen Interessen sollen jedoch bei hohen Beamten und Ministern einsehbar sein. Zudem wäre zu prüfen, inwieweit juristische Personen (beispielsweise treuhänderisch tätige Einrichtungen oder Personengesellschaften) die mit den Beschäftigten in enger Beziehung stehen, ebenfalls einbezogen werden könnten, um etwaige Umgehungsgeschäfte zu verhindern.

Die Compliance-Regeln in Ministerien werden zudem in der Praxis zuweilen von Ministern selbst meiner Meinung nach fragwürdig behandelt, wie ich im Falle von Finanzminister Christian Lindner (FDP) bei Finance Forward ausführte. In Ministerien sind sie zudem sehr unterschiedlich geregelt. Was im Finanzministerium gilt, muss nicht im Wirtschaftsministerium gleichermaßen üblich sein.

Leerstelle Bundestag

Doch eine echte Leerstelle bleibt der Bundestag: Kürzlich jubelten wieder FDP-Abgeordnete darüber, das Provisionsverbot in der Finanzberatung gekippt zu haben. Nicht nur, dass die FDP (wie auch andere Parteien) eine Spende der Deutschen Vermögensberatung erhalten hat, die der größte Provisionsvertrieb für Finanzanlagen in Deutschland ist. Unter den jubilierenden Abgeordneten befand sich etwa der Abgeordnete Frank Müller-Rosentritt, ehemals Leiter im Private-Banking der Deutschen Bank mit Rückkehrrecht.

Doch diese Informationen sind immerhin öffentlich bekannt. Die privaten Aktiengeschäfte von Abgeordneten bleiben aber weiterhin eine Blackbox. Zwar gelten seit der 2020 strengere Regeln bei Unternehmensbeteiligungen: Abgeordnete müssen diese offenlegen, wenn sie mindestens fünf Prozent der Anteile besitzen. Davor lag der Schwellenwert für die Veröffentlichung bei 25 Prozent. Auch der Besitz von Aktienoptionen ist nun meldepflichtig. Auslöser war der Fall des CDU-Abgeordneten Philipp Amthor, der ähnlich wie Karl Theodor zu Guttenberg (CSU) und Ex-Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen (CDU) für das mittlerweile inaktive KI-Startup Augustus Intelligence aktiv wurde, und beim Bundeswirtschaftsministerium zu Gunsten von Augustus lobbyierte und dafür Aktienoptionen erhalten hatte.

Anzeigepflichten beheben keine Interessenkonflikte

Doch Anzeigepflichten beheben nicht das Problem selbst. Denn die Öffentlichkeit kann zwar dann nachvollziehen, welche finanziellen Interessen Abgeordnete verfolgen und wie sie abstimmen. Aber die Öffentlichkeit kann nicht nachvollziehen, was die Gründe für ein finanzielles Engagement sind, da Abgeordnete über vertrauliche Insiderinformationen verfügen, nicht aber die Öffentlichkeit. Insofern wäre es Zeit für strengere Regeln wie in dem US-Gesetzentwurf. Wer vom Staat bezahlt wird, kann durchaus in dieser Zeit auf aktive Finanzgeschäfte verzichten.

Gerade jetzt, wo der ökologische Umbau und die Digitalisierung der deutschen Infrastruktur anstehen oder im Rahmen der Zeitenwende massive Rüstungsinvestitionen getätigt werden, macht Gelegenheit Diebe. Ich habe vor einigen Monaten die Prognose gewagt, dass deutsche Rüstungsaktien massiv anziehen werden. Das taten sie auch. Ich bin kein Abgeordneter mehr, aber selbstverständlich habe ich hiernach nicht Rüstungsaktien gekauft. Denn auch wenn mich die Welt der Finanzen fasziniert. Es gibt noch Prinzipien, die werden nicht an der Börse gehandelt.


Disclaimer: Fabio De Masi hat im Jahr 2023 eine vergütete Keynote zur Bekämpfung von Geldwäsche auf dem Regtech-Kongress des Prüfungs- und Beratungsunternehmens KPMG gehalten. Den in diesem Artikel geschilderten Sachverhalt zur Sonderprüfung von Wirecard durch KPMG hat unser Kolumnist bereits vor dem Auftritt als Speaker in mehreren öffentlichen Äußerungen benannt. De Masi hat in der Vergangenheit stets Reformen der Wirtschaftsprüfung und des Beratungsgeschäfts gefordert, welche die Marktmacht und Haftung der größten Prüfung- und Beratungsunternehmen („Big 4“), zu denen auch KPMG gehört, beschränken würden.