Frank-Gründerin Charlie Javice bei einem Auftritt (Bild: Youtube)

Wegen angeblicher Fake-Kunden: JP Morgan verklagt Gründerin nach 175-Millionen-Dollar-Übernahme

Die Großbank JP Morgan Chase geht gegen die Gründerin des Fintech-Startups Frank vor, das es für 175 Millionen Dollar übernommen hat. Charlie Javice habe eine Liste mit gefälschten Nutzern erstellt, um den Finanzriesen zum Kauf zu bewegen, so lautet der Vorwurf.

Es ist bereits jetzt eine absurde Geschichte. Im Sommer 2021 kaufte die Großbank JP Morgan Chase ein Fintech-Startup für 175 Millionen Dollar. Das Geschäftsmodell klang vielversprechend: Frank bot ein Tool zur Vereinfachung für den Antrag auf einen Studienkredit an – gerade in den USA ein Milliardenmarkt. Gründerin Charlie Javice hatte sich in Interviews und bei Auftritten als Retterin in der Not positioniert. Sie nannte ihr Startup das „Amazon für die Hochschulbildung“. Javice schaffte es auf die „30 unter 30“-Liste des Magazins Forbes.

Für JP Morgan Chase ein guter Fang, die Großbank wollte sich in dem Segment ausbreiten. Die angebliche Künstliche Intelligenz und mehr als vier Millionen Kundinnen und Kunden von Frank waren überzeugend.

Weniger als 300.000 tatsächliche Nutzer

Doch eineinhalb Jahre später endet die Erfolgsgeschichte abrupt. Wie bekannt wurde, klagt die Bank gegen Javice, die sie nach der Übernahme selbst angestellt hatte. Das Fintech Frank habe weniger als 300.000 tatsächliche Nutzer, heißt es in der Anklageschrift. Das wären weniger als zehn Prozent der zuvor angegebenen Zahl. Und Javice klagt wiederum gegen JP Morgan Chase. Was ist passiert – und was sagt ihr Anwalt zu der Angelegenheit?

Frank, das 2017 gegründete Startup, setzte in seinen Investoren-Pitchdecks mit der Studienfinanzierung auf ein politisiertes Thema in den USA. „Wir erleichtern den Zugang zu finanziellen Hilfen, damit sich mehr Menschen ein Studium leisten können“, sagte die Gründerin 2018 in einem Interview. Zu dem Zeitpunkt habe es „mehr als 250.000 Familien mit mehr als sechs Milliarden Dollar unterstützt“.

Der Milliardär und Apollo-Gründer Marc Rowan steckte mit anderen Investoren 20 Millionen Dollar in das Startup. Wenige Jahre später, auf dem Zenit der Startup-Bewertungen im Sommer 2021, wollte JP Morgan Chase dann Frank kaufen. Es überprüfte das Unternehmen, ließ sich die wichtigen Daten zeigen. Alles war da, auch die 4,2 Millionen Emailadressen, an die es durch die Übernahme dann auch eigene Produkte bewerben konnte.

Die Gründerin wurde zur Millionärin

Javice war Millionärin, arbeitete fortan als Managerin bei der Großbank. Sie erhielt fast zehn Millionen Dollar als Teil der Übernahme und sollte unter bestimmten Voraussetzungen später einen zusätzlichen Bonus in Höhe von 20 Millionen Dollar bekommen, berichtet Forbes.

Das Glücksgefühl hatte dann aber mit der ersten Email von JP Morgan Chase ein schnelles Ende. Nur etwa ein Viertel der Emails wurde überhaupt zugestellt, und von diesen wurde nur ein Prozent geöffnet, heißt es in der Klageschrift. Der Verdacht, Javice habe die Daten gefälscht, kam schnell auf.

Bei der Bank erinnerte man sich an eine kuriose Situation im Due-Diligence-Prozess, der vor jeder Startup-Übernahme stattfindet. JP Morgan Chase wollte gerne vorab die Kundenliste sehen. „Anstatt die Wahrheit zu enthüllen, wehrte sich Javice zunächst mit dem Argument, dass sie ihre Kundenliste aus Datenschutzgründen nicht weitergeben könne“, sagt das Unternehmen nun.

„Die Kundenkonten aus dem Hut gezaubert“

Nach eigenen Untersuchungen stellt es nun fest: „Nachdem JP Morgan darauf bestanden hatte, entschied sich Javice, mehrere Millionen Frank-Kundenkonten aus dem Hut zu zaubern.“ Zunächst habe Javice einem IT-Professor aus New York 18.000 Dollar dafür bezahlt, rund vier Millionen Personen zu erfinden, inklusive Adresse, Emailadresse, Universität, Geburtstag und Name. „Ich kann diese Adressen nicht finden. . . Soll ich versuchen, sie zu fabrizieren?“, soll der Professor laut Anklageschrift gefragt haben. Javice antwortete demnach: „Ich würde nur vermeiden, dass es die jeweilige Straße in dem Bundesstaat dann gar nicht gibt.“

Diese Liste schickte sie dann der Bank – und fragte vier Minuten später den Professor, ob er die Liste schnell löschen könnte. Denn in der Zwischenzeit habe sie eine bessere, wenngleich ebenfalls gefälschte Lösung gefunden: Ihr Chief Growth Officer Olivier Amar hatte für 105.000 Dollar einen separaten Datensatz von 4,5 Millionen Studierende von der Firma ASL Marketing gekauft, schreibt JP Morgan Chase. Das ist die Liste, die JP Morgan Chase nach der Übernahme dann später für seine Email benutzte.

Genauere Prüfung der Startups

Im November hat die Großbank Javice dann entlassen. „Nachdem JP Morgan Chase Charlies Unternehmen überstürzt übernommen hat, stellt es nun fest, dass es die bestehenden Datenschutzgesetze für Studierende nicht umgehen kann“, sagt ihr Anwalt Alex Spiro auf Anfrage von Finance Forward. Die Großbank versuche nun, das Geschäft rückgängig zu machen. „Charlie machte das öffentlich und verklagte JP Morgan Chase. Die Vergeltungsklage von JP Morgan Chase ist nichts als ein Vorwand“, so der Anwalt. Er kennt sich mit Vorwürfen um gefälschte Konten aus: Im vergangenen Jahr hatte Spiro noch Elon Musk in einer Klage gegen Twitter mit der Behauptung vertreten, die Social-Media-Plattform habe die Öffentlichkeit über gefälschte Konten irregeführt.

Der Fall hat auch für europäische Fintechs Relevanz. Schließlich befindet sich die US-Bank auf großem Expansionskurs, es baut ihr Banking-Geschäft aus und verhandelt laut Berichten über die Übernahme des Trading-Startups Freetrade. Bei ihrem nächsten Kauf werden die Banker die Firmen noch genauer unter die Lupe nehmen.