Die Fintecsystems-Gründer Dirk Rudolf und Stefan Krautkrämer (Bild: PR).

Verkauf für 120 Millionen Euro – die wahre Dimension des Fintecsystems-Exits

Es ist der zweitgrößte Exit eines deutschen Fintechs in den vergangenen zehn Jahren: FintecSystems geht komplett an die Schweden von Tink. Die Hintergründe zum Deal.

Wie viel hat Tink für Fintecsystems bezahlt?

Dazu wollten die beiden Unternehmen gestern partout keine Angaben machen. Aus Gesprächen mit mehreren zumindest mit dem Deal vertrauten Personen geht jedoch eindeutig hervor, dass der Kaufpreis bei ungefähr 120 Millionen Euro liegt – übrigens komplett auf Cash-Basis, also ohne Equity-Komponente, bei der die bisherigen Fintecsystems-Eigentümer Anteile an Tink erhalten hätten. Damit handelt es sich nach den 285 Millionen Euro für Finanzcheck um den größten Exit eines nach 2010 gegründeten deutsches Fintech.

Wie steht Fintecsystems im Vergleich zu anderen deutschen Schnittstellen-Fintechs da?

FinAPI verkaufte sich 2018/2019 mehrheitlich an die Schufa. Laut einem damaligen Konzernabschluss maß die Auskunftei dem 25-prozentigen finAPI-Anteil einen Buchwert von 19,5 Millionen Euro zu. Grob dürfte die Bewerung damals bei 25 Millionen Euro gelegen haben. Wobei sich der Firmenwert von finAPI seitdem erhöht haben dürfte.

Figo erreichte seine mutmaßlich höchste Bewertung beim Einstieg der Deutschen Börse 2017 – nämlich 27 Millionen Euro. Als Figo zwei Jahre später im Firmenreich der Berliner Finleap-Gruppe unterschlüpfte, soll der Kaufpreis nach übereinstimmenden Aussagen von Insidern deutlich niedriger gewesen sein.

Da BANKSapi – soweit wir wissen – aus der Finconomy-Gruppe heraus finanziert wurde (Finconomy ist das Dach mehrerer Münchner Fintechs), gibt es hier keinen unmittelbaren Bewertungsansatz. Allerdings erwarb der Berliner B2B-Riese Hypoport im September 2018 für 2,4 Millionen Euro 10,99 Prozent an Finoconomy; was einer Bewertung von 22 Millionen Euro entsprach. Da BANKSapi nicht mehr wert sein dürfte als die Gruppe, muss man also in jedem Fall von einer Bewertung von damals (merklich) unter 22 Millionen Euro ausgehen. Wobei genau wie bei finAPI weiter oben gilt: Die heutigen Kurse sind andere und mutmaßlich höhere als die damaligen

Wie kommt es, dass FintecSystems einen derart hohen Preis durchsetzen konnte?

– Natürlich spielen die äußeren Umstände eine Rolle. Seit Monaten jagt ein Fintech-Funding das nächste, die Bewertungen erreichen mitunter abenteuerliche Höhen, nicht nur für B2C-, sondern auch für B2B-Anbieter. Man denke nur einmal an das Berliner Kernbanken-Startup Mambu, dass zuletzt allen Ernstes mit 1,7 Milliarden Euro taxiert wurde.

– Was für die Fintech-Branche allgemein gilt, das gilt auch speziell für die API-Fintechs. Bestes Beispiel: Tink selbst. Bei ihrer 85-Millionen-Euro-Runde im Dezember erreichten die Schweden nach eigenen Angaben eine Post-Money-Bewertung von 680 Millionen Euro

– Natürlich sind es nicht nur die äußeren Umstände, die den dreistelligen Millionen-Exit von FintecSystems ermöglicht haben. Sondern: Das Unternehmen muss notwendigerweise auch ein bisschen was richtig gemacht in den zurückliegenden Jahren. Branchenkenner sagen, FintecSytems habe im Vergleich zu anderen Open-Banking-Fintechs weniger stark auf die PSD2-Karte gesetzt. Sondern: „Man hat sich dort stärker auf technische Lösungen für den jeweiligen Ist-Zustand konzentriert als darauf, ein Geschäftsmodell für ein erhofftes künftiges regulatorisches Umfeld zu ersinnen“, sagt ein Insider.

Die Folge: Während andere Fintechs vergeblich auf den PSD2-Urknall warteten, frickelte FintecSystems solide weiter. Im Zweifel halt mit Screen Scraping. Und mitunter auch mit brachialem Lautsprecher-Lobbyismus. Zur Wahrheit gehört: Bis 2018 entwickelten sich die Erträge eher mager. Rund 1,5 Millionen Euro waren es damals. Seitdem allerdings scheint das Modell zu skalieren. Auf gut 3 Millionen Euro 2019. Und auf dem Vernehmen nach mehr als 5 Millionen Euro im vergangenen Jahr.

– Der Erfolg von Fintecsystems hat auch etwas mit den Fähigkeiten der beiden Gründer zu tun. Schließlich ist der gestrige Exit nicht ihr erster (mehr dazu weiter unten). „Wir machen das, was wir da machen, ja nun immerhin schon seit 15 Jahren“, hat einer aus dem Duo, nämlich Stefan Krautkrämer, vor einiger Zeit mal gesagt. Das klingt banal. Allerdings, wenn man drüber nachdenkt: Beileibe nicht jeder Fintech-Manager da draußen verfügt über einen solchen Erfahrungsschatz. Durchaus denkbar, dass der mit einem ungeschliffenen bayerischen Akzent parlierende Krautkrämer und sein Kompagnon Dirk Rudolf in technologischer und vielleicht auch regulatorischer Hinsicht über ein tieferes Branchenverständnis verfügen als manch ein windschnittiger Berliner-Szene-CEO. Nur so eine These.

Wie kommt es, dass Tink einen derart hohen Preis bezahlt?

Womöglich sahen sich die Schweden schlicht gezwungen. Der Versuch, mit einer hiesigen Dependance auf dem deutschen Markt Fuß zu fassen, führte in den zurückliegenden zwölf Monaten zu keinen sichtbaren Erfolgen. Ein Branchenkenner sagt hierzu: „Wenn eine Bank einmal einen API-Dienstleister gefunden hat, dann wird der nicht so schnell gewechselt – selbst wenn ein neuer Anbieter vielleicht für die eine oder andere Fragestellung die bessere Lösung mitbringt. Für ausländische Fintechs ist es nicht leicht, rein organisch in den deutschen Markt hineinzuwachsen, das spürt nicht nur Tink, das spüren auch einige andere.“

Die Übernahme von FintecSystems scheint industriell sinnig. Nicht nur, weil sich die Schweden die Kaufsumme nach zwei großen eigenen Fundings schlicht leisten können. Sondern weil Tink durch die Akquisition auf einen Schlag vom Außenseiter zu einem der Platzhirsche in der DACH-Region aufsteigt. Marktkenner sagen zu dem, nicht nur regional würden sich Tink und Fintesystems gut ergänzen: „Tink steht eher für Themen wie Personal Finance Management und Connectivity, FintecSystems eher für  Datenanalyse und Zahlungsdienst-Funktionen. Da könnte durchaus der eine vom anderen profitieren.“

Was wird jetzt aus FintecSystems?

Erst einmal gar nichts. Denn noch muss die Bafin dem Deal zustimmen. Erfahrungsgemäß kann das dauern. Und danach? Ist denkbar, aber nicht zwingend, dass aus FintecSystems irgendwann „Tink Deutschland“ wird, wobei die heutige Gesellschaft möglicherweise selbst dann noch erhalten bleibt.

Zumal Fintecsystems, das vermuten jedenfalls Industrieinsider, seine hiesigen Kunden für das Erste weiterhin über die angestammte technische Plattform bedienen wird. „Da jetzt irgendwelche Migrationen vorzunehmen, macht industriell keinen Sinn.“ Die Frage einer etwaigen Verschmelzung der Fintecsystems- und der Tink-Plattform stelle sich erst auf mittlere oder gar lange Sicht. „Bis dahin dürfte es eher Sinn machen, wenn der eine bestimmte Tools des jeweils anderen übernimmt.“

Welche Parallelen gibt es zum ersten Firmenverkauf der Gründer?

Erstaunlicherweise gibt es einige Parallelen. Stefan Krautkrämer und Dirk Rudolf haben 2005 das deutsche Fintech Sofortüberweisung gegründet und aufgebaut. Vor acht Jahren verkauften sie ihre Firma an den Payment-Riesen Klarna, zu einem Kaufpreis von rund 150 Millionen Dollar. Wie schon beim ersten Exit der beiden ging die Firma wieder an ein ambitioniertes schwedisches Fintech und auch der Kaufpreis ist in Euro umgerechnet ähnlich hoch (108 Millionen Euro). Ein Betrag, der in der damaligen Zeit allerdings noch beeindruckender war.

Auch einer der wichtigen Geldgeber war damals schon mit an Bord: Reimann Investors. Dem Familie Office gehörte beim Verkauf an Klarna bereits die Mehrheit an Sofort. Als Krautkrämer und Rudolf mit Fintecsystems ihr nächstes Unternehmen gegründeten, stieg Reimann Investors abermals ein – und wurde wieder nicht enttäuscht.