Entlassungswellen haben Berlin erreicht. (Bild: Israel Andrade/Unsplash)

Wie stark entlassen die deutschen Fintechs wirklich?

Klarna, Trade Republic, Tomorrow und jüngst auch noch Wefox: Fintechs haben zuletzt verstärkt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gefeuert – und ihre Teams verkleinert. Eine Erhebung von Finanz-Szene und Finance Forward zeigt nun, das mehr als 1.000 Jobs wegfielen. Wie ist die Lage?

Seit Mitte des vergangenen Jahres gehören Entlassungen zur unschönen Routine in der deutschen Fintech-Branche. Dabei allerdings bleibt oft diffus: Wie viele Leute gehen wirklich? Denn manche Fintechs thematisieren die Kündigungen öffentlich gar nicht. Und bei anderen drängt sich zumindest der Verdacht auf, dass die tatsächliche Zahl der Entlassungen womöglich noch ein bisschen höher ist als die kommunizierte.

Finanz-Szene und Finance Forward wollten es deshalb endlich mal genauer wissen und haben auf der Basis von dem Karrierenetzwerk Linkedin die Mitarbeiter-Entwicklung der 64 größten deutschen Fintechs analysiert. Dabei zeigt sich: Rechnet man die jeweiligen Höchststände aller ausgewerteten Finanz-Startups zusammen, so lag die Mitarbeiterzahl in der Spitze bei 17.276. Zuletzt hingegen beschäftigten die Fintechs aggregiert nur noch 16.014 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen – also 1.262 weniger, was einem Rückgang von 7,3 Prozent gegenüber dem Höhepunkt entspricht.

Freilich: Die rund 16.000 sind immer noch 8,2 Prozent mehr, als es im Januar 2022 waren. In den ersten Monaten des vergangenen Jahres – in der absoluten Spätphase des Fintech-Booms – sind offenbar immer noch mehr Jobs geschaffen worden, als seitdem wegfielen – auch wenn die Zahlen leicht verzerrt sein dürften, weil natürlich nicht jeder Gekündigte gleich sein Linkedin-Profil ändert.

Die vier wichtigsten Tendenzen unserer Analyse nach – und eine detaillierte Aufschlüsslung lest ihr hier.

1. Nicht jedes Fintech entlässt in einer großen Welle

Es gibt die „Firing Rounds“ mit Ansage à la Solaris, Trade Republic, Wefox und Klarna, in denen auf einen Schlag 10 bis 25 Prozent der Beschäftigten gekündigt werden – doch der tatsächliche Stellenabbau im Sektor vollzieht sich zumeist leiser und gradueller. Das hat zum einen mit den deutschen Kündigungsfristen zu tun, es dauert schon allein deswegen mindestens drei Monate bis Personalabbau sich tatsächlich in der Nettozahl der Beschäftigten zeigt.

Zum anderen entledigt sich aber nicht jedes Fintech seiner Personalkosten öffentlichkeitswirksam über Kündigungen. Alternativ werden einfach keine Freelancer mehr beschäftigt, oder die Unternehmen stellen bestimmte „Wachstumsprojekte“ einfach ein – und überlassen es den Mitarbeitern, ob sie gehen oder auf eine andere freie Stelle geschoben werden. Auf diese Weise zeigen sich teilweise Rückgänge in der Beschäftigtenzahl von 20 bis 40 Prozent, etwa bei Vivid Money, aber auch bei kleineren Fintechs wie dem Finanzierungs-Startup Compeon, dem Frankfurter B2B-Fintech Portagon oder dem Insurtech Finanzchef24.

2. Exits sorgen für Personalschwund

Auffällig – wenn auch nicht unbedingt verwunderlich – ist der Rückgang bei den verkauften Fintechs, wo naturgemäß Stellen konsolidiert werden bzw. die neuen Mutterunternehmen Personal für sich abziehen. Jedenfalls haben die Exits der vergangenen Monate bei den nun nicht mehr eigenständigen Fintechs zu einem deutlichen Schwund geführt, etwa bei Penta (-28 Prozent), Kontist (-32 Prozent, wobei hier auch eine Kündigungswelle vorausgegangen war) und Tillhub (-15 Prozent).

Ausnahme hier: Orderbird, wo die Mitarbeiterzahl seit Oktober konstant ist – auch wenn seither netto zumindest kein großer Ausbau mehr stattgefunden hat.

3. Die Krise ist nicht an allem schuld

Rund zwei Drittel der analysierten Fintechs haben den Hochpunkt ihrer Beschäftigtenzahl irgendwann im Laufe des Jahres 2022 erreicht – das Gros im Zeitraum zwischen März und Juli. Viele Unternehmen haben also offenbar ziemlich genau in die Doom-Phase hinein Kapazitäten aufgebaut, die dann sogleich wieder zurückgefahren wurden.

Lesehilfe mit einem Beispiel: Im Juli 2022 war bei insgesamt neun der analysierten Fintechs der Höchststand in der Beschäftigtenzahl erreicht.

Allerdings gibt es auch einige Fintechs, deren Beschäftigtenzahlen bereits vor Krisenbeginn tendenziell sanken und bei denen vieles auf grundsätzliche Umstrukturierung hindeutet, etwa bei Raisin, Smava oder Exporo. Der Open-Banking-Spezialist Finleap Connect hatte zwar im Mai nochmal ein zwischenzeitliches Jahreshoch von 140 erreicht – allerdings lag die Mitarbeiterzahl 2021 noch bei über 150, seither sinkt sie.

4. Es sind schon wieder über 1.000 Stellen ausgeschrieben

Die aktuelle Phase ist besonders interessant: Denn nun sind die Auswirkungen des Stellenabbaus bei den meisten Firmen sichtbar. Allerdings ergibt sich auf Jahressicht, wie gesagt, immer noch ein Plus von 8,2 Prozent. Und es gibt einige Fintechs (insgesamt 19) – darunter N26 und die C24 Bank –, die auch durch 2022 hindurch konstant einen Nettozugang beim Personal aufweisen.

Nun mag es sein, dass diese Unternehmen das Unvermeidliche schlicht länger hinauszögern können als andere. Siehe etwa das Insurtech Wefox, das 2022 noch um 40 Prozent wuchs, bei dem in der vergangenen Woche die Entlassung von rund zehn Prozent der Mitarbeiter publik wurden (circa 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter) – was in den Linkedin-Zahlen jetzt natürlich noch nicht zu sehen ist.

Gleichzeitig haben ebenjene 64 Fintechs, die über das vergangene Jahr kurzfristig rund 1.200 Jobs gekürzt haben, allein bei Linkedin Stand heute schon wieder 1.090 offene Stellen ausgeschrieben. Somit könnte die große Entlassungswelle auf Zweijahressicht schon wieder zum Nullsummenspiel für den Sektor werden. Es bleibt also, um es mal im Fintech-Jargon zu sagen, „dynamisch“.