Wie eine dürftige Blockchain-Studie 280.000 Euro aus dem Bundeshaushalt bekam
Ein Hamburger Verein untersucht in einer Studie die Blockchain-Adoption der deutschen Wirtschaft, mit überschaubar aussagekräftigen Ergebnissen. Für das Projekt bekam das Hanseatic Blockchain Institute 280.000 Euro aus Bundesmitteln. Geholfen hat dabei ein FDP-Parlamentarier.
Für eine Studienvorstellung war es ein bemerkenswert festlicher Rahmen. In einem schicken Glasbau in Berlin präsentierte das Hanseatic Blockchain Institute vor einer Woche seine „W3Now“-Studie zum Stand der Blockchain-Adoption in der deutschen Wirtschaft, anwesend war das Who is who der deutschen Web3-Szene, als Stargast durfte die estnische Botschafterin ein paar Sätze zum digitalen Aufholbedarf Deutschlands sagen, per Videobotschaft grüßte der kryptofreundliche FDP-Parlamentarier Frank Schäffler.
Man habe „im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz eine umfangreiche Studie in der deutschen Wirtschaft durchgeführt“, hatte es im Vorfeld in der Einladung geheißen. Die Ergebnisse zeigten, „wie weit die deutsche Wirtschaft in der Blockchain-Adoption fortgeschritten ist und wie diese angewendet wird“. Das machte neugierig. Schließlich scheint die Technologie auch mehr als 15 Jahre nach ihrem Aufkommen immer noch eine Randerscheinung zu sein, abgesehen von wiederkehrenden Bitcoin-Boomphasen, die Aufmerksamkeit bringen – aber kaum dazu führen, dass die zugrundeliegende Blockchain-Technologie weiter in die Unternehmen getragen wird.
Also, wie steht es um die Blockchain-Adoption? Laut dem knapp 30-seitigen W3Now-Report zeigt zum Beispiel der Finanzsektor inzwischen „eine hohe Affinität für Blockchain-Technologie“, die Implementierung gehe „jedoch zunehmend über den Finanzsektor hinaus, insbesondere in den Bereichen digitale Identitäten, Marketing und Copyright & Lizenzmanagement“. Insgesamt gehe die „Relevanz der Blockchain weit über ihre ursprüngliche Domäne hinaus“, es gebe eine „zunehmende Verflechtung mit verschiedenen Geschäftsfeldern“. 85 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu, dass die Blockchain-Technologie Innovationen fördere.
Nur wenige Blockchain-Experten befragt
Klingt spektakulär. Das Problem ist nur: Eine Aussagekraft für die gesamte deutsche Wirtschaft haben die Ergebnisse gar nicht – es handelt sich nicht um eine repräsentative Studie, sondern eine Befragung von überschaubarem Umfang. Gerade einmal 204 Online-Teilnehmer konnte das Blockchain Institute gewinnen, die offenbar zum großen Teil aus dem eigenen Netzwerk stammen – „überwiegend Blockchain-Expert:innen“, wie im Methodikteil zugegeben wird. Trotzdem bildeten sie eine „solide Datenbasis“, heißt es. Dabei lautete dem Bundeswirtschaftsministerium zufolge die Zielsetzung des Projektes, „die Durchdringung der Web3-Technologie in der deutschen Wirtschaft zu untersuchen“.
Doch mehr als eine Umfrage, ein Stimmungsbild unter ohnehin von der Blockchain-Technologie überzeugten Szeneköpfen, ist das Ganze nicht. Lassen sich Aussagen wie „Mehr deutsche Unternehmen wollen in Blockchain investieren“ auf der Grundlage wirklich treffen?
Zugegeben, das W3Now-Projekt besteht aus weiteren Elementen: Zum einen brachte das Hanseatic Blockchain Institute im vergangenen Jahr eine Frage in der regelmäßigen Ifo-Konjunkturumfrage unter, die auf 9.000 monatlichen Meldungen aus Unternehmen beruht – also wirklich repräsentativ ist. Im Juni 2023 antworteten dort 6,9 Prozent der befragten Firmen, Blockchain-Technologie einzusetzen oder den Einsatz zu planen; 18,7 Prozent diskutieren immerhin darüber. Das sind dann schon andere, deutlich überschaubarere Dimensionen.
Zum anderen soll auf die zwei bisherigen Bestandteile der Studie – ifo-Frage und die jetzt vorgestellte „quantitative Untersuchung“ – noch eine qualitative Befragung folgen: „Interviews mit Persönlichkeiten aus der deutschen Politik und Web3-Wirtschaft“, mit dem Ziel, zehn Blockchain-Leuchtturmprojekte zu identifizieren und in Video-Interviews vorzustellen. Kann man machen – aber repräsentative, aussagekräftige Antworten zum generellen Blockchain-Adoptionsgrad der deutschen Wirtschaft wird man so ebensowenig erlangen.
Gegenüber Finance Forward und Capital betont Moritz Schildt, Vorstandsmitglied des Hanseatic Blockchain Institute e.V., es sei nie darum gegangen, eine repräsentative Übersicht über die gesamte deutsche Wirtschaft zu erlangen – sondern herauszufinden, „welche Anwendungen es gibt und mit welchen Herausforderungen man konfrontiert ist“. Dafür diene die nicht-repräsentative Expertenumfrage. In der Vorhabenbeschreibung des Projekts heißt es, das Ziel sei, „die Durchdringung der Web3-Technologie in der deutschen Wirtschaft zu untersuchen“.
FDP-Politiker hält Ergebnisse für „äußerst relevant“
Es stellt sich dann die Frage, warum eine solche Nabelschau der Blockchain-Szene überhaupt mit öffentlichen Geldern finanziert wurde. Und wie es dem Hamburger Verein gelungen ist, sich dafür bis zu 280.000 Euro – diese Summe bestätigt Schildt gegenüber Capital und Finance Forward – aus Mitteln des Bundeswirtschaftsministeriums zu sichern.
Die Antwort liegt bei eben jenem Bundestagsabgeordneten der Freien Demokraten, der zu Beginn der Veranstaltung ein Grußwort sprach: Frank Schäffler. Der ehemalige „Euro-Rebell“ ist heute Sprecher für Blockchain- und Fintech-Innovationen der FDP-Fraktion im Bundestag – und vor allem Mitglied im einflussreichen Haushaltsausschuss. Schildt schilderte den Vorgang auf der Veranstaltung so, wonach die Initiative von dem FDP-Mann ausging, der die Vereinsvertreter gefragt habe, was es geben müsste. Es bräuchte eine Studie, habe man geantwortet. Und Schäffler habe dann deren Finanzierung „im Haushaltsausschuss durchgesetzt“.
Wie so etwas geht? Tatsächlich ist es im politischen Berlin ein offenes Geheimnis, dass mächtige Haushaltspolitiker auf der Zielgeraden der Verabschiedung des Bundesetats immer wieder persönliche Lieblingsprojekte mit Finanzmitteln versorgen. Im konkreten Fall passierte das auf der sogenannten Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses am 10. November 2022, die 17 Stunden dauerte und auf der der Haushaltstitel „Entwicklung digitale Technologien“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz um 280.000 Euro „zweckgebunden aufgestockt wurde“, wie das Wirtschaftsministerium erklärt.
Auf Anfrage sagt Schäffler dazu: „Als Mitglied des Haushaltsausschusses kann ich Einfluss nehmen auf die Verteilung von Bundesmitteln.“ Er habe daher „im Haushaltsausschuss die Förderung einer Studie zu Web3 vorgeschlagen, welcher dieses Vorhaben unterstützte“.
Schäffler selbst hegt an der Aussagekraft der Befragung im Übrigen keine Zweifel. „Obwohl die kürzlich veröffentlichte Studie nur eine Kurzversion der vollständigen Ergebnisse, welche im Mai publiziert werden, ist, halte ich die Qualität der Studie für hoch und die Ergebnisse für äußerst relevant“, so der FDP-Politiker. Im Mai will das Blockchain Institute einen ausführlichen Report zur Studie veröffentlichen, der allerdings auf der gleichen, überschaubaren Befragung von Szeneköpfen beruht. Für Schäffler zeigt die Studie dennoch, „dass die Nutzung von innovativen Technologien an Verbreitung gewinnt und insbesondere der deutsche Finanzsektor große Potentiale darin sieht. Die von der W3Now-Studie gesammelten Daten stellen so die Weichen für die Zukunft der Blockchain-Technologie in Deutschland.“
Im Bundeswirtschaftsministerium wird auf die Zielsetzung des Projekts verwiesen, das neben der der Untersuchung des Blockchain-Adoptionsgrads auch „die Bildung eines Netzwerks verfolgt, um die relevanten Stakeholder zusammen zu bringen und die Ergebnisse im Zuge der Verwertung selbsttragend fortzuführen“. Zu Qualität und Inhalt der Studie will man sich im Übrigen nicht äußern: „Die Verantwortung für die inhaltliche Ausgestaltung verbleibt beim Zuwendungsempfänger.“