Wie ein 70-Jähriger mit dubiosen Zander-Geschäften Kleinanleger ködert
Die Deutsche Edelfisch hat viele Millionen Euro von Privatinvestoren eingesammelt, um Europas größte Zuchtanlage für Zander zu bauen. Das ist acht Jahre her – doch bis heute gibt es keinen einzigen gezüchteten Fisch. Inzwischen hat die Finanzaufsicht interveniert und Verbraucherschützer warnen.
Hans Acksteiner sprüht nur so vor Optimismus. Der höfliche 70-Jährige mit dem silbernen Haar ist Geschäftsführer der „Deutschen Edelfisch“, einer Firma, die nicht weniger als Europas größtes Zuchtbecken für Zander in Deutschland bauen will. 7.000 Quadratmeter, 53 Becken, 700 Tonnen Zander: Ein Projekt der Superlative, ein Millioneninvestment. Und wenn man an einem verregneten Dienstag in Neustadt-Glewe bei Ludwigslust in Mecklenburg-Vorpommern Hans Acksteiner zuhört, dann ist ganz kurz alles da: Hier der Pausenraum für die Mitarbeiter, dort die Aufzuchtbecken. Er zeigt nach links, nach rechts. Alles klingt so greifbar nah.
Fünf Millionen Euro von Anlegern eingesammelt
Etwa fünf Millionen Euro hat Acksteiner für das Megaprojekt von Anlegern eingesammelt. Auf welchem Weg, ist eine Frage, die für die Geschichte noch wichtig sein wird. Klar ist: Die meisten Anleger haben als Kommanditisten investiert, haften bei jeglichem Verlust also bis ihr Investment weg ist. Verbraucherschützer Niels Nauhauser warnt vor solchen Konstruktionen: „Wir raten privaten Investoren von Anlagen als Kommanditisten und von Genussrechten ab, weil das Risiko eines Totalverlustes zu groß ist.“
Doch nicht nur die Finanzkonstruktion, sondern auch die Methoden des Hans Acksteiner muten merkwürdig an, wie Recherchen von Finance Forward zeigen. So versprach er Renditen von acht Prozent, Verkaufsmargen von 100 Prozent und prahlte mit vermeintlich sicheren Abnahmen und möglichen Förderzusagen. Für Anleihen verzichtete er einfach mal auf einen Prospekt, was ihm Ärger mit der Finanzaufsicht Bafin einbrachte. Später musste er die Anleihen vom Markt nehmen. Dazu kam ein Image-Schaden. Auch die Stiftung Warentest führt seine Firma schon länger auf ihrer öffentlichen „Warnliste“
Das Wetter in der Lewitz ist grau, regnerisch und kalt. Acksteiner empfängt in der Burg von Neustadt-Glewe. Auf der Karte steht Zanderfilet, wie passend. Wer mit Acksteiner spricht, hört das Misstrauen in seiner Stimme. Er selbst sieht sich, das wird schnell klar, als Opfer. Erst war es die Bafin, Journalisten, dann die Banken, die es angeblich auf ihn abgesehen hatten. Sie alle wollten ihn scheitern sehen mit seinem Projekt. So sieht das der Mann mit der wechselhaften Vergangenheit.
Auf seiner Webseite bezeichnet er sich selbst als „Multi-Unternehmer”. Seinen Angaben zufolge war der Berliner Speditionsunternehmer und Glücksritter im Osten nach dem Mauerfall. Eine Boutique, einen Outletstore und ein Fitnessstudio leitete er angeblich auch einmal. Und dann sei ihm Idee mit den Aquakulturanlagen bei einem Segeltörn vor Kroatien gekommen, wo ein Bekannter ihm von sogenannten Kreislaufanlagen erzählte.
Niedrige Kosten, unermessliche Gewinne?
Bei diesen werden Fische in einem Kreislaufsystem herangezogen. Ihre Ausscheidungen werden in einem natürlichen Prozess aus dem Wasser gefiltert und das Ammonium im Wasser mittels Bakterien in Nitrat, also Biodünger umgewandelt. Das Wasser wird dann mit Sauerstoff angereichert und mit frischem Wasser wieder in die Becken geleitet. Ein System soll dann basierend auf Künstlicher Intelligenz die richtige Menge an Futter berechnen. Die Anlage brauche für den Betrieb so nur fünf bis sechs Angestellte, sagt Acksteiner. Die Kosten wären also niedrig, der Gewinn hingegen unermesslich. Denn der Zander ist zwar aufwändig in der Zucht, bringt auf den Fischmärkten der Welt aber viel Geld. Viel mehr als vergleichbare Fische wie Forelle oder Lachs.
Sein Projekt dachte er von Anfang an in Superlativen, wirbt auf Messen, gibt Interviews und hält Vorträge. Den Fisch möchte Acksteiner für 12 bis 50 Euro das Kilo verkaufen. In einem früheren Werbevideo behauptete Acksteiner, dass die Deutsche See 50 Prozent des Fisches abnehmen könne, gerne auch 100 Prozent. Auf Nachfrage der Stiftung Finanztest, die die Geschäfte unter die Lupe nahm, teilte die Deutsche See mit, dass man keine Geschäftsbeziehungen zur Deutschen Edelfisch unterhalte und dies auch nicht plane.
Auch Branchenkenner sind früh skeptisch, ob so eine Anlage funktionieren kann. Es kommt häufiger vor, dass sich die Raubfische kannibalisieren oder sich durch Krankheiten oder technische Defekte an der Anlage die Bestände teilweise sterben. Ein Züchter rechnet etwa alle sechs bis sieben Jahre mit einem Totalverlust. „Der Zander ist eine anspruchsvolle Fischart hinsichtlich Handhabung, Wasserqualität und Ernährung”, erklärt Fischzuchtexperte Gregor Schmidt von der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft, der auch als Experte an Fördervergaben der EU mitwirkt. Es gebe zahlreiche Beispiele für gescheiterte Anlagen, sagt er. Eine Anlage wie die von Acksteiner ist also vor allem kompliziert.
Und dann gibt es da noch ein Problem: Satzfische. Das sind Fische, die aufgezogen wurden, um in einem anderen Gewässer wieder eingesetzt zu werden. Die Deutsche Edelfisch möchte die laut Acksteiner aus einer Landesforschungsanstalt in Hohen-Wangelin eineinhalb Autostunden von Schwerin entfernt beziehen. So steht es auch auf der Investorenwebseite. Langfristig möchte er die Anlage sogar übernehmen. Das sei „mündlich bereits besprochen“, sagt er im Gespräch.
Doch, stimmt das? Gerd-Michael Arndt leitet die Forschungsanstalt. Darauf angesprochen wirkt er überrascht. Grundsätzlich könne die Anlage nach dem Auslauf der Förderung übernommen werden, eine Vorvereinbarung gebe es aber nicht. Das sei frühestens 2026 der Fall. Er könne auch nur beschränkt Liefergarantien geben und schon gar nicht für eine Produktion von 700 Tonnen im Jahr. Die Anlage produziere in Abhängigkeit von Forschungsarbeit dafür keine ausreichende Menge. Schließlich sei die Hauptaufgabe der Forschungsstation nicht der Verkauf von Setzlingen, sondern die Forschung.
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Ob Anleger all das wussten, bleibt unklar. Klar hingegen ist: Um an Kapital zu kommen gründete Acksteiner vor sieben Jahren die Deutsche Edelfisch GmbH & Co KG II und lockte mit dem Versprechen eines nachhaltigen Investments für Umwelt und Vermögen. Darüber hinaus wirbt er mit staatlichen Fördergeldern aus dem Europäischen Meeres- und Fischereifonds (EMFF). Der Bau von Aquakulturanlagen werde von der EU gefördert, schreibt das Unternehmen in einem Werbeprospekt: „In unserem Fall sind dies: 35% EU-Fördermittel aus dem Europäischen Meeres- und Fischereifonds!“ Das klingt vielversprechend.
Kurz bevor die Bauarbeiten 2021 beginnen, schreibt die Deutsche Edelfisch dann auf der Investoren-Website. „Das Wirtschaftsministerium hat eine Zustimmung zum „vorzeitigen Vorhabensbeginn“ zugesagt. Das bedeutet, dass die Zusage der Fördergelder nicht abgewartet werden muss.“ Danach gefragt, bestätigt das Land Mecklenburg-Vorpommern die Zusage, jedoch bedeute diese Erlaubnis „keine Vorentscheidung über die Gewährung von Zuwendungen und auch keine Inaussichtstellung von Fördermitteln“. Die Mittel würden, wenn überhaupt, erst nach der Fertigstellung gezahlt.
Und bis heute ist also noch kein Geld an das Unternehmen geflossen. Das wird wahrscheinlich auch nicht passieren, selbst wenn die Anlage einmal fertig ist. Denn Zahlungen aus dem EMFF waren nur bis Ende 2023 möglich: „Mit Datum 8. September 2023 ist an die DEG (Deutsche Edelfisch, Anm. d. Redaktion) ein Ablehnungsbescheid ergangen“, schreibt das Land. Auch den Voraussetzungen für den Nachfolgefonds würde die DEG nicht erfüllen. „Es steht der DEG selbstverständlich frei, das Vorhaben ohne Hinzuziehung von Fördermitteln des Landes zu realisieren.“
Mehrfach gegen Prospektpflichten verstoßen
Auch bei der Finanzierung geht Acksteiner hemdsärmelig vor. Zunächst will er Geld über Genussrechte einwerben, bekommt aber nur ein paar hunderttausend Euro zusammen. Also sattelt Acksteiner um, setzt auf Anleihen. Um der dazugehörigen Prospektpflicht aus dem Weg zu gehen, beruft er sich auf eine Ausnahme der Prospektpflicht, die besagt, dass diese entfällt, sobald eine Anleihe weniger als 150 Personen angeboten wird. Acksteiner habe eigenen Aussagen zufolge 149 Adressen gekauft und seine Anfragen gestartet. Die Bafin rügte den fehlenden Prospekt und verbot den Vertrieb der ersten Anleihe trotzdem. Man habe Grund zur Annahme gehabt, dass die Anleihe nicht nur 149 Personen angeboten wurde, begründet eine Sprecherin das Vorgehen auf Anfrage.
Die Deutsche Edelfisch spricht unmittelbar nach dem ersten Verbot der Bafin auf der Webseite von einem Formfehler: „Alle weiteren Angebote sind davon nicht betroffen und sind korrekt.“ Es kam anders. Mindestens zwei weitere Anleihen zog die Bafin in den folgenden drei Jahren aus dem Verkehr. Kai Schlieter von der Stiftung Warentest sieht das als Alarmsignal. „Dass die Deutsche Edelfisch mehrfach gegen die Prospektpflicht verstieß, ist ein Warnzeichen, das nicht ignoriert werden sollte“, sagt er. „Als wir uns die Firma ansahen, stießen wir Widersprüche und teilweise falsche Angaben. Wir hielten das Angebot damals für nicht seriös. Daran scheint sich nichts geändert zu haben.“ Das sieht auch Stefan Loipfinger von Investmentcheck so. Auf seiner Plattform analysiert er Investmentangebote auf dem Grauen Kapitalmarkt: „Wenn jemand die Prospektpflicht bewusst umgehen möchte, dann ist das einfach unseriös“, sagt er.
Wer sich die Deutsche Edelfisch im Internet anschaut, findet hingegen Texte, die Acksteiner nach der ersten Verdachtsäußerung der Bafin über die Deutsche Edelfisch auf Webseiten wie Focus.de oder SZ.de schalten lässt. Auf einer Investoren-Webseite steht dazu: „Das Geschäftsmodell der Deutschen Edelfisch, […], wurde im März 2021 von den Redakteuren wichtiger Tageszeitungen, wie beispielsweise Zeit Online, Süddeutsche Zeitung, Focus Online und anderen, wahrgenommen.“ Wahrgenommen? Vielleicht. Doch mutmaßlich nicht von den Redaktionen. Denn viele sind keine journalistischen Texte, sondern Werbung. Andere beschäftigen sich nicht mit der Deutschen Edelfisch. Dass man die Anleger so hinters Licht geführt haben könnte? Danach gefragt, sagt Acksteiner, dass über die geschalteten Artikel keine Investoren an Land gezogen worden seien, schließlich habe er die Anleihen nur weniger als 150 Personen angeboten. Die Anzeigen habe man stattdessen geschaltet, um die negative Presse aufgrund der Warnungen der Bafin auf Suchportalen zu verdrängen.
„Es gibt einen Gesellschafter, dessen Bestreben es unerklärlicherweise ist, der Firma zu schaden”
Am Ende stecken einige Investoren Geld in das Projekt. Die meisten von ihnen sind Privatanleger, viele sind schon in Rente, haben sechsstellige Beträge investiert. Auch nach fast acht Jahren schwärmen einige von ihnen am Telefon noch von dem Projekt, zeigen sich optimistisch. Alles Friede, Freude, Eierkuchen? Mitnichten. Mindestens die Hälfte der Kommanditisten ist gar nicht zufrieden. Das verrät der Jahresabschluss der Deutschen Edelfisch für das Jahr 2022.
Darin wird dem Geschäftsführer Hans Acksteiner die Entlastung verweigert. Der Jahresfehlbetrag beläuft sich auf über 570.000 Euro. „Dass der Geschäftsführer der Deutschen Edelfisch von seinen Kommanditisten nicht entlastet wurde, spricht Bände“, sagt Stefan Loipfinger von Investmentcheck. Eine verweigerte Entlastung kann Folgen für die Haftungsansprüche gegenüber Geschäftsführern haben. Danach gefragt, sieht sich Acksteiner wieder als Opfer: „Es gibt einen Gesellschafter, dessen Bestreben es unerklärlicherweise ist, der Firma (seiner eigenen) zu schaden“, teilt er auf Anfrage mit. Er habe, so behauptet es Acksteiner, andere Kommanditisten dazu geraten, ihre ausstehenden Anteile nicht einzuzahlen und Acksteiner die Entlastung zu verweigern.
Es bleibt also kompliziert. Aufgeben will Acksteiner keinesfalls. Er hat schon wieder neue Pläne, Geld von Investoren einzusammeln. Er sei jetzt mit chinesischen und arabischen Interessenten im Gespräch, behauptet er. Dazu will er Geld von Privatanlegern bekommen, diesmal über die inzwischen ebenfalls von der Bafin verwarnte Schweizer Fyshr AG. Dort heißt es, man plane eine Kapitalerhöhung von bis zu acht Millionen Euro. Auf ihrer Webseite wirbt die Firma mit „Top Renditegarant“ und damit, dass das Projekt in „Norddeutschland“ bereits in der „Bauphase“ sei. Der Name „Deutsche Edelfisch“ fällt auf der Website von Fyshr nicht.