Das Comeback der großen Fundingrunden
Hinter der Fintech-Szene liegen entbehrungsreiche Monate. Im ersten Quartal 2024 sieht es in Europa – entgegen dem weltweiten Trend – aber wieder besser aus. Vor allem sogenannte „Megarunden“ haben deutlich zugenommen. Und es gibt noch eine positive Nachricht.
Von Branchenexperten hörte man eine Prognose vor einem Jahr häufig: Für Wachstumsrunden werde es deutlich weniger Kapital geben, im Frühphasen-Bereich sehe es hingegen besser aus. Die Zahlen aus 2023 zeigten dann, wie klein die Finanzierungsrunden tatsächlich ausfielen: Nur knapp zehn Millionen Euro investierten Kapitalgeber durchschnittlich pro Runde in Unternehmen. Im Hype-Jahr 2022 war es noch mehr als das Doppelte. Auch große Finanzierungsrunden mit mehr als 100 Millionen Euro blieben während des Funding-Winters rar.
Knapp zwei Milliarden investiert
Nun deutet sich – zumindest vorsichtig – ein Aufwärtstrend an. Im ersten Quartal dieses Jahres sammelten Startups durchschnittlich 16 Millionen Euro pro Runde ein. Das zeigt eine Auswertung des französischen Investors Blackfin Capital Partners für Finance Forward. Der Wert wird – ähnlich wie im Vorquartal – vor allem durch die Zunahme der großen Finanzierungsrunden über 100 Millionen Euro getrieben, wie Zahlen des Analysedienstes Dealroom zeigen. Gut ein Drittel des Fundingvolumens machten demnach diese großen Runden aus.
„Trotzdem ist die Durchschnittsgröße der Finanzierungsrunden noch immer sehr gering“, betont Romain Grimal von Blackfin. „A-Runden gibt es zwar immernoch, allerdings sind sie von der Investitionssumme kleiner geworden. B- und C-Runden sehen wir sehr selten.“ Grimal beobachtet aktuell eine Dualität: Einige Megarunden einerseits und viel Aktivität im Pre-Seed- und Seed-Bereich andererseits. In den folgenden Quartalen erwartet der Investor daran auch keine Veränderung. Mit einem Anstieg dieser Zwischenrunden rechnet Grimal erst wieder zum Jahreswechsel 2024 und 2025. Dann, so der Experte, würden viele der jungen Firmen, die im vergangenen Jahr ihr erstes Risikokapital aufgenommen haben, wieder neues Geld benötigen.
Deals im ersten Quartal: 121 (Vorjahr: 205): -41 Prozent
Eingesammeltes Kapital: 1,9 Milliarden Euro (Vorjahr: 1,4 Milliarden Euro) +36 Prozent
Eingesammeltes Kapital der größten zehn Deals: 1 Milliarde Euro (Vorjahr: 630 Millionen Euro) +59 Prozent
Durchschnittliche Finanzierungsrunde: 16,8 Millionen Euro (Vorjahr 9,1 Millionen Euro) +85 Prozent
Median der eingesammelten Finanzierungsrunde: 5,2 Millionen Euro (Vorjahr 3 Millionen Euro) +73 Prozent
Insgesamt bewegt sich das europäische Fintech-Funding im ersten Quartal auf einem ähnlichen Niveau wie im Vorquartal und lag laut Blackfin bei knapp zwei Milliarden Euro. Damit zeigt sich die Lage deutlich stabiler als auf globaler Ebene: Wie der Analysedienst CB Insights in der vergangenen Woche berichtete, erreichte das weltweit investierte Risikokapital im Bereich Fintech im ersten Quartal einen Tiefpunkt und ist im Vergleich zum Vorquartal um 16 Prozent gesunken. Trotz erhöhter Deal-Aktivität sei das vor allem auf die gesunkenen Summen pro Finanzierungsrunde zurückzuführen. Zumindest außerhalb Europas.
Zinswenden-Profiteur Monzo führt die Liste der zehn größten Finanzierungsrunden an und ebnet sich mit der Kapitalspritze laut Medienberichten den Weg für die Europa- und US-Expansion. Aber auch zwei Deutsche Firmen erhielten hohe Beträge: Die Münchner Auto-Leasing-Plattform Finn will mit ihrer 100-Millionen-Runde die Elektro-Flotte ausbauen und kommt nun auf eine Bewertung von gut 600 Millionen Euro. Für Solaris kamen die 96-Millionen an neuem Kapital eher einem Befreiungsschlag gleich: Nach einer Zitterpartie soll nun die vollständige Übernahme des ADAC-Kreditkarten-Portfolios abgeschlossen werden.
Auch wenn die Top-10-Liste ein fast ausgeglichenes Bild der Fintech-Standorte suggeriert: London dominiert als Fintech-Metropole noch immer mit großem Abstand in Europa, wie Dealroom-Zahlen zeigen.
Rekordquartal für Übernahmen
Derweil ist auch die Kauflaune im Markt deutlich gestiegen. Laut Dealroom-Zahlen lagen europäische Fintech-Exits im ersten Quartal mit mehr als 40 Transaktionen auf einem Allzeithoch. Analysten führen das vor allem darauf zurück, dass sich „die Bewertungsdissonanz zwischen Käufern und Verkäufern“ aufgelöst hat. Für dieses Jahr erwarten sie einen Anstieg der M&A-Aktivitäten im Vergleich zum Vorjahr. So auch Romain Grimal vom Investor Blackfin: Er vermutet den Ursprung der Dynamik auch in den seltener gewordenen Wachstumsrunden: „Ein Jahreswachstum von 50 bis 70 Prozent ist zwar gut, aber nicht ausreichend, um eine 30- bis 50-Millionenrunde von Tier-1 Late Stage VC-Investoren zu bekommen“, sagt er. Für viele bliebe dann nur der Weg über einen Verkauf.
Hierzulande fand etwa Cure Finance einen neuen Mehrheitseigner, um nach der Fast-Insolvenz einen Neustart zu wagen. Daneben verkaufte die Nürnberger Versicherung das 2021 aus der Insolvenz erworbene Getsurance an die Maklergruppe Helmsauer weiter. Der Digitalversicherer Getsafe überraschte derweil mit dem Zukauf des angeschlagenen Kreditportals Deine-Studienfinanzierung. Die Kreditplattform Smava soll nach Informationen von Finance Forward aktuell ebenso nach einem Käufer suchen.
Neben den kleinen und mittleren Exits hoffen viele Player auch auf ein gutes Jahr für Tech-Börsengänge. Kandidaten könnten etwa Fintech-Schwergewichte wie Klarna, Stripe oder N26 sein. Doch auch wenn die Nachfrage nach guten Tech-Werten noch immer groß sei – einen ähnlichen Börsen-Hype wie vor zwei Jahren erwartet Experte Romain Grimal nicht. Ausnahmen werde es sicher geben – er nennt beispielsweise Celonis oder N26, wobei gerade Letztere noch ein bisschen Arbeit vor sich hätten. Der Großteil der Exits dürfte dieses Jahr nach seiner Prognose allerdings in deutlich früheren Stadien passieren.