Eine der wenigen weiblichen Banken-CEOs in Europa: Kjerstin Braathen leitet seit 2019 die norwegische DNB ASA (Bild: Imago).

Kaum Fortschritt: So schlecht steht es um die Geschlechterparität in Banken und Fintechs

Exklusiv: „Nahezu null Fortschritt“ – so lautet das Urteil einer neuen BCG-Studie zu Geschlechtergerechtigkeit in Banken und Fintechs. Die Analyse offenbart, wie schlecht es noch immer um die Gleichstellung von Frauen in der Finanzbranche steht. Selbst in der jungen Fintech-Branche sieht es nicht besser aus als bei Traditionsbanken.

Kjerstin Braathen ist Vorstandsvorsitzende des größten norwegischen Bankhauses DNB ASA. Über zwei Jahrzehnte bahnte sie sich ihren Weg an die Spitze des Instituts – vorbei an zahlreichen männlichen Kollegen. Damit zählt Braathen zu den Hoffnungsträgerinnen der Finanzindustrie. Doch leider ist ihr Fall noch immer die absolute Ausnahme, wie eine Studie der Boston Consulting Group (BCG) jetzt zeigt.

Für die Studie untersuchte BCG die Geschlechterverteilung in den Führungsetagen der 50 größten börsennotierten europäischen Banken sowie der 70 größten deutschen Banken. Ausgewertet wurden zudem 150 Vorstands- und über 500 Aufsichtsratsgehälter, dazu Funding und Personaltableau von über 15.000 globalen Fintechs.

Demnach werden nur fünf der 50 größten europäische Banken derzeit von Frauen geführt. Im vergangenen Jahr waren es noch sieben. Doch sowohl die Bank of Ireland als auch die polnische PKO Bank besetzten die CEO-Position nach dem Abgang der jeweiligen Geschäftsführerinnen wieder männlich nach. Daneben gibt es sogar acht Institute, die gar keine Frauen im Vorstand beschäftigen.

„Müdigkeit ins Thema eingekehrt“

Die Studie, die Finance Forward exklusiv vorliegt, gibt einen tiefen Einblick in die Führungsetagen europäischer Banken: Weniger als ein Viertel der Vorstandspositionen werden in den 50 größten Bankhäusern derzeit von Frauen bekleidet. Zwar blieb der Trend über die vergangenen Jahre positiv, doch das Wachstum ist schwach und sank im Vergleich zum Vorjahr sogar leicht. Julia Rolf, BCG-Partnerin und Co-Autorin der Studie, zieht ein gemischtes Fazit: „Im letzten Jahr dachten wir: Das Tempo zieht an, jetzt ändert sich wirklich etwas. Doch nun scheint bei dem Thema wieder eine gewisse Müdigkeit eingekehrt zu sein.“

Eigentlich sind die Vorteile divers aufgestellter Unternehmen seit Jahren bekannt: Gewinnwachstum, bessere Aktienperformance, mehr Innovationskraft – das sind nur einige der durch Studien belegten positiven Effekte. Warum also hinken die Firmen noch immer bei der Geschlechterparität hinterher?

„Es scheint bei vielen Unternehmen noch nicht genug Ernsthaftigkeit auf dem Thema zu sein“, sagt Rolf. „Sicherlich ist es häufig noch eine Frage der Verfügbarkeit geeigneter Kandidatinnen. Doch dann muss man auch bereit sein, das System entsprechend zu ändern.“ Gemeint sind moderne Beschäftigungsmodelle, etwa Jobsharing in Vorstandspositionen oder die Möglichkeit, Elternzeit zu nehmen, ohne die Vorstandsposition aufgeben zu müssen.

Quoten wirken

Erfreulicher als in den Vorständen sieht die Situation in den Aufsichtsräten aus. Dort ist der Frauenanteil in Europa 2023 weiter gestiegen und liegt jetzt bei 43 Prozent. Ein Grund dürfte die im vergangenen Jahr verabschiedete EU-Richtlinie sein, die bis 2026 allen börsennotierten Unternehmen vorschreibt, entweder 40 Prozent ihres Aufsichtsrats oder 33 Prozent ihres Vorstands und Aufsichtsrats mit Frauen zu besetzen.

Für Rolf ist dies ein Zeichen dafür, dass Quoten wirken. „Sie sind eines der wichtigsten Instrumente, um Transparenz zu schaffen“, sagt sie. „Für diese wichtigen Rollen würden Unternehmen niemals unqualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einstellen. Solche Kontingente machen den Hiring-Prozess dann vielleicht etwas aufwendiger, aber sie regen auch kreativere Ansätze in der Personensuche oder Jobgestaltung an.“

Deutschland unter EU-Durchschnitt

Die vier Top-Banken gemäß BCG-Diversity-Ranking sind 2023 – wenn auch in anderer Reihenfolge – die gleichen wie im Vorjahr: die niederländische ABM AMRO, die norwegische DNB ASA, die italienische Unicredit und die irische AIB Group. Sie alle haben nahezu paritätisch besetzte Vorstandsriegen und Aufsichtsräte.

Deutsche Geldhäuser schneiden derweil schlechter ab als im Vorjahr: Die Commerzbank rutscht auf Platz 8 ab (Vorjahr: Platz 6) und die Deutsche Bank taucht in den Top Ten gar nicht mehr auf (Vorjahr: Platz 10). Laut Rolf liegt diese Dynamik aber nicht allein an einer Verschlechterung bei den deutschen Playern. Vielmehr habe die Konkurrenz einfach größere Schritte nach vorne gemacht: „Vor allem die Nordics sind beim Thema Gleichstellung sehr weit vorne und entwickeln sich kontinuierlich weiter. In Deutschland haben die meisten Banken ganz andere Ausgangspunkte und müssen erst einmal aufholen.“

Wie groß dieser Aufholbedarf tatsächlich ist, zeigte sich beispielsweise in einer der Ankündigung der Sparkassen-Gruppe vor wenigen Tagen. Bis 2035 sollen demnach mindestens 30 Prozent der oberen Managementebenen aus Frauen bestehen. Aus internationaler Sicht dürfte das Ziel wenig ambitioniert klingen – Rolf nennt den Schritt für die Sparkassen aber schon eine „Mammutaufgabe“.

Auch insgesamt hinkt der deutsche Markt dem europäischen Durchschnitt hinterher: Sowohl der Anteil an Banken, die konkrete Geschlechterziele formulieren, als auch die Frauenquote in Aufsichtsräten liegen unter dem EU-Mittel. Noch bedenklicher: Die Frauenquote in Vorstandsteams liegt in Deutschland mit rund neun Prozent nur bei der Hälfte der EU-weiten Quote.

Gender Bias führt zu 30 Prozent weniger Funding

Die Startup-Branche wird häufig als das junge, agile Gegenmodell zu Großkonzernen und Industrie-Urgesteinen gesehen. Flexibilität, Inklusivität und Vielfalt finden sich dort in vielen der proklamierten Unternehmenswerten. Doch in puncto Geschlechterparität sieht es auch hier nicht besser aus als bei den Konzernkollegen.

In Europa liegt die Gründerinnenquote laut BCG-Studie bei mageren 20 Prozent – unter den 50 größten Fintechs gibt es nur fünf, die von Frauen (mit)gegründet wurden. Auffallend ist, dass die meisten von ihnen in Großbritannien gegründet wurden. Laut Rolf spielt vor allem die kulturelle Prägung eine Rolle: „Gründerinnen berichteten uns in Gesprächen, dass Unternehmertum dort viel früher vermittelt und gefördert werde.“

Frauen erhalten für ihre Fintech-Gründungen zudem rund 30 Prozent weniger Kapital als ihre männlichen Mitstreiter. Als Hauptgrund identifizierten die Autorinnen und Autoren der Studie einen „Gender Bias“ bei Kapitalgebern. Offenbar beeinflussen geschlechterspezifische Vorurteile die Entscheidungsprozesse von Venture-Capital-Firmen noch immer so stark, dass Frauen im Funding strukturell benachteiligt werden.

Hoffnung könnte in diesem Zusammenhang machen, dass immer mehr Risikokapitalgeber gegründet werden, die einen expliziten Fokus auf von Frauen gegründete Startups legen. Ob solche Bemühungen allein ausreichen, um die Finanzierungslücke zu schließen, ist aber fraglich. Rolf gibt sich aber überzeugt, dass jene Startups, die weibliche (Mit-)Gründerinnen und diverse Führungsteams haben, langfristig eine bessere Performance zeigen würden. „Allein das dürfte auch die etablierten, mehrheitlich männlich geführten Venture-Capital-Firmen überzeugen, ihre Strategie hin zu mehr Diversität anzupassen“, glaubt sie.

Vorstands-Pay-Gap schrumpft

Neben der reinen Repräsentanz ist die Vergütung ein zweites Problem, das Frauen am Arbeitsmarkt umtreibt. Hier zeigt die Studie mehrheitlich positive Entwicklungen auf. Demnach konnte die Gehaltslücke in Vorständen um zehn Prozent reduziert werden. In Aufsichtsräten stieg sie allerdings im Vergleich zum Vorjahr um fünf Prozent. Aber: Die Autorinnen und Autoren merken an, dass sich die Gehaltslücke zumindest bei den im vergangenen Jahr neu besetzten Positionen um sechs Prozent reduzierte.

Ein Kerngrund dieser Gehaltsunterschiede liegt laut Studie noch immer in der Themenaufteilung zwischen Frauen und Männern. Die Themenfelder, in denen Frauen mehrheitlich vertreten sind, sind nach wie vor Marketing, Personal und Nachhaltigkeit. Es sind Bereiche, die typischerweise weniger gut bezahlt werden als männerdominierte Abteilungen wie Finanzen oder IT. „In diesem Bereich helfen Quoten wenig“, so Rolf. „Vielmehr geht es darum, Frauen auch für andere Bankthemen zu begeistern und frühzeitig zu fördern.“