Ex-Finanzminister Christian Lindner (FDP) wollte ein staatlich gefördertes Vorsorgedepot einführen. Bild: IMAGO / Mike Schmidt

Altersvorsorgedepot vor dem Aus? „Das wäre eine Tragödie“

Was passiert mit der Rente nach dem Ende der Ampelkoalition? Das Altersvorsorgedepot steht wie viele andere Gesetzesvorhaben auf der Kippe. Neobroker und Branchenverbände äußern sich besorgt.

Nach dem Zusammenbruch der Ampelkoalition stehen auch mehrere geplante Gesetzesvorhaben infrage. Dazu gehört unter anderem das staatlich geförderte private Altersvorsorgedepot, das vor allem vom entlassenen Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) vorangetrieben worden war. Ein entsprechender Gesetzentwurf sollte nach Informationen von Capital in den nächsten Tagen im Kabinett verabschiedet werden.

Zwar kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwochabend an, bis Weihnachten alle Gesetze zur Abstimmung stellen zu wollen, die keinen Aufschub duldeten. Dazu gehören nach seinen Worten etwa Projekte zur Stabilisierung der Rente. Ob dies auch das Altersvorsorgedepot beinhaltet, ist allerdings offen. Auf Nachfrage von Capital wollte sich ein Sprecher des Finanzministeriums zunächst nicht dazu äußern.

„Vom Gesetzentwurf zum Wahlkampfthema geworden“

Mit dem Altersvorsorgedepot wollte die Ampelkoalition Privatanleger finanziell dabei unterstützen, in Aktien, Fonds und ETFs zu investieren. Pro investiertem Euro wollte der Bund 20 Cent dazugeben, bis maximal 600 Euro pro Jahr. Bis 2030 sollte der Förderhöchstbetrag auf 3500 Euro steigen. Für Kinder, junge Sparer, Arbeitslose und Geringverdiener sollte es weitere Zuschüsse geben – in der Hoffnung, dass sich mehr Deutsche an den Kapitalmarkt wagen und so dank höherer Renditen privat fürs Alter absichern.

Nach dem Ampel-Aus rechnen Branchenteilnehmer damit, dass die Pläne vorerst nicht umgesetzt werden. „Mit dem denkwürdigen Rauswurf von Christian Lindner ist vermutlich auch das Altersvorsorgedepot erstmal erledigt“, kommentierte Christian Röhl, Anlageexperte und Chefvolkswirt beim Neobroker Scalable Capital, auf Linkedin.

Auch beim Wettbewerber Smartbroker reagiert man ernüchtert. Geschäftsführer Thomas Soltau hat die monatelangen Vorbereitungen des Finanzministeriums eng begleitet. Für ihn ist das Altersvorsorgedepot über Nacht „vom Gesetzesvorhaben zum Wahlkampfthema“ geworden. „Die FDP und Christian Lindner werden damit in den Wahlkampf gehen“, glaubt Soltau. Es sei denn, der neue Finanzminister Jörg Kukies (SPD) bringe das Vorhaben noch durch. Kukies ist ehemaliger Investmentbanker und anlagefreundlich. Soltau: „Letztlich hängt hier ganz viel an politischen Konstellationen und die große Frage: Geben Grüne und SPD Lindner das Thema noch und nehmen es ihm damit für den Wahlkampf?“

Beim Fondsverband BVI, der große Hoffnungen in das Paket steckte, ist die Sorge entsprechend groß. „Deutschland braucht dringend eine renditestarke, flexible Altersvorsorge. Das Altersvorsorgedepot weist in die richtige Richtung und hat bei den Experten der Fokusgruppe sowie in der Öffentlichkeit große Zustimmung gefunden. Deutschland würde mit dieser Reform international den Anschluss schaffen“, sagt Hauptgeschäftsführer Thomas Richter.

Doch auch auf der anderen Seite, beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) zeigt man sich angesichts des Ampel-Endes besorgt. „Die Reform der geförderten privaten Altersvorsorge ist seit Jahren überfällig. Ich bedauere, dass sie nun erneut aufgeschoben wird“, sagt Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des GDV. Er gehe davon aus, dass die Reform in dieser Legislatur nicht mehr erfolgen werde.

Altersvorsorgedepot könnte sich um Monate verzögern

Ein Hoffnungsschimmer für Anleger und Anbieter: Dass ein staatlich gefördertes – und vor allem günstigeres Angebot – für die private Altersvorsorge sinnvoll ist, darüber herrscht parteiübergreifend nahezu Konsens.

Die alternde Bevölkerung belastet das deutsche Rentensystem zunehmend. Die Beiträge für Arbeitnehmer werden in den nächsten Jahren wohl weiter steigen. Daneben wird verstärkt über ein höheres Renteneintrittsalter diskutiert. Viele Bürger sorgen sich zudem vor Altersarmut. Laut einer Umfrage des Bundesverbandes deutscher Banken (BdB) glauben inzwischen 45 Prozent der 30- bis 59-Jährigen, im Ruhestand finanziell schlecht aufgestellt zu sein. Vor vier Jahren lag dieser Anteil noch bei 30 Prozent. Gleichzeitig ist die hiesige Aktionärsquote verglichen mit anderen Ländern gering. Entsprechend hoch sind die Rentenlücken, die Verbraucher schließen müssen.

Riester-Rente bringt kaum Rendite

Bisherige Angebote wie die Riester-Rente blieben wegen hoher Kosten hinter den Erwartungen. Viele der noch rund 16 Millionen Verträge wurden in den vergangenen Jahren entweder gekündigt oder nicht weiter bespart. Auch deshalb war mit dem neuen Altersvorsorgedepot der Ampelkoalition zuletzt viel Euphorie verbunden. Von einem „Gamechanger für Deutschland“ sprach etwa Smartbroker-Chef Thomas Soltau. Was passiert also mit dem „Joker für die Rente“?

In der Branche befürchtet man, dass sich das Projekt nun mindestens für einige Monate verzögern könnte. Sollte das Vorsorgedepot etwa erst im nächsten Jahr verabschiedet werden, könnte es für Anbieter eng werden. Sie hätten dann kaum noch Zeit, entsprechende Angebote bis zum geplanten Starttermin im Januar 2026 nach den dann gültigen Vorgaben zu entwickeln und zertifizieren zu lassen.

Für viele Menschen in Deutschland wäre das „eine Tragödie“, meint Smartbroker-Chef Soltau. Schließlich gehe es um ihre Altersvorsorge und lange Investitionszeiträume. „Jedes Jahr, das ich vorne verliere, hat immense Auswirkungen auf die spätere Auszahlung, da der Zinseszinseffekt auf die Investments des ersten Jahres verloren geht.“

Hoffnung auf höhere Förderbeträge

Das Ampel-Aus könnte allerdings auch eine neue Chance für das einstige Lindner-Projekt sein. Bereits in den vergangenen Wochen hatte es vermehrt auch Kritik an der Ausgestaltung des Vorsorgedepots gegeben. Die Idee sei gut, aber die Umsetzung zu komplex und der Kostendeckel fehle, hieß es unisono. Dies könnte das Angebot teurer machen, so eine Befürchtung. Ein Neustart des Vorsorgedepots unter einer neuen Regierung könnte einige Kinderkrankheiten beseitigen. Vorstellbar sei zum Beispiel ein Gesetzentwurf mit weniger Vorgaben und höheren Förderbeträgen, meint Soltau.

Und wenn nicht? Dann hat Branchenexperte Christian Röhl vom Neobroker Scalable Capital einen Rat für Bürger: „Depot eröffnen, ETF-Sparplan einrichten… und durchziehen!“ Man müsse ja nicht auf den Staat warten, um breit gestreut und kostengünstig an Wachstum, Fortschritt und unternehmerischen Sachwerten zu partizipieren.

Dieser Text erschien zuerst bei Capital.de.