Der Bonitätscheck über den Kontoauszug ist längst Alltag
Für ihre Pläne, die Kontobewegungen von Verbrauchern auszulesen und damit besser ihre Kreditwürdigkeit bestimmen zu können, wurde die Schufa zuletzt scharf kritisiert. Was in der Diskussion übersehen wurde: Große US-Fintechs wenden das Verfahren längst an – auch deutsche Anbieter tun es.
Die Schufa ist in der Regel ein einfacher Sündenbock. Eine Datenkrake, die massiv in das Leben vieler Verbraucher eingreift, undurchschaubar und unangreifbar. Als NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung vergangene Woche den Plan der Wiesbadener Auskunftei öffentlich machte, mit einem Produkt namens „CheckNow“ Einblick in die Kontoauszüge von Verbrauchern zu nehmen, folgte die Kritik auf dem Fuß.
Verbraucherschützer schimpften, das Verfahren führe „zum vollkommen durchleuchteten Verbraucher“, Politiker monierten, Bürger müssten „mit ihren Daten bezahlen“. Und der Mobilfunker Telefónica/O2, der für die Testphase als Partner diente, kündigte unter Druck an, den Versuch lieber nicht fortsetzen zu wollen.
Interessanterweise wurde in der Debatte kaum thematisiert, dass ähnliche Programme zur Verbesserung der Kreditwürdigkeit in anderen Ländern längst gang und gäbe sind – und dass auch in Deutschland der detaillierte Blick aufs Konto für viele Fintechs üblich ist. Für einige ist es sogar Kern des Geschäftsmodells – und politisch gewollt ist die ganze Sache eigentlich auch.
In den USA: Bonitätsaufbau per Prepaid-Kreditkarte
Als die US-Neobank Chime – mit einer Bewertung von 14,5 Milliarden Dollar das wertvollste Consumer-Fintech der Staaten – im Sommer ihr neuestes Produkt namens „Credit Builder“ vorstellte, sorgte das für Aufsehen – Kritik war aber kaum vernehmbar. Kern des Vorhabens: eine Prepaid-Kreditkarte, mit der Nutzer ihren Kreditscore aufbauen oder verbessern können.
Da Kunden durch das Prepaid-Prinzip nicht in Zahlungsrückstand kommen können, helfe das ihrem Score bei den großen Bonitätsbüros des Landes, so Chime. Das Startup informiert die drei großen US-Anbieter – TransUnion, Experian und Equifax – über die Transaktionen der Nutzer. Laut der Beratungsfirma Cornerstone Advisors nutzen bereits 15 Prozent der Chime-Kunden das Feature.
In der etwa einjährigen Testphase des Credit Builders meldeten sich 200.000 Nutzer an, im Schnitt hätten sie ihren Kredit-Score um 30 Punkte verbessern können, wirbt Chime (zugrunde gelegt wurde der VantageScore 3.0, der von 300 bis 850 Punkten reicht). 95 Prozent der Nutzer, die bislang über keine Kreditwürdigkeit verfügten (das passiert etwa mehr und mehr jungen Amerikanern, die entgegen der Tradition eher Debitkarten statt Kreditkarten im Alltag einsetzen), hätten mit dem Credit Builder erstmals eine Bonität aufgebaut.
Im Kleingedruckten gibt Chime aber auch zu: Der Effekt auf den Score könne variieren, bei manchen Nutzern könne sie sich auch nicht verbessern. Und in den AGB heißt es: „Sie werden hiermit informiert, dass ein negativer Kreditreport, der ihre Kredithistorie mit uns widerspiegelt, einem Bonitätsbüro vorgelegt werden kann.“
Auch das gehypte Startup Cred.ai, in das Promis wie Sänger John Legend investiert haben und das als „Tesla der Bankenwelt“ gelten soll, will die Nutzer seiner Kreditkarte mit KI-Algorithmen zu mehr Zahlungsdisziplin bringen und damit ihre Kreditwürdigkeit steigern. Und Upgrade, das neue Fintech von Lending-Club-Gründer Renaud Laplanche verbindet eine 1,5-Prozent-Cashback-Garantie mit Empfehlungen zu mehr „Kreditgesundheit“.
In Deutschland: PSD2 macht’s möglich
Der Blick ins Konto für die Prüfung der Bonität ist auch in Deutschland eigentlich längst üblich: Wer zum Beispiel über die Portale Smava oder Finanzcheck einen Kredit erhalten will, kann sein Konto freigeben, um seine Kreditwürdigkeit nachzuweisen. Startups wie Fintecsystems oder die Schufa-Tochter Finapi sind darauf spezialisiert, die Bonität auf diesem Weg zu analysieren. Das Startup Bonify hat sogar ein Geschäftsmodell daraus gemacht: Nutzer geben ihr Konto frei, damit das Startup ihre Bonität ermitteln und einen passenden Kredit heraussuchen kann. Möglich ist das durch die europäische Zahlungsdienstrichtlinie PSD2, die die Kontoeinsicht für Drittanbieter seit Längerem regelt.
Die Richtlinie war als Grundlage für neue, verbraucherfreundliche Produkte gedacht. Und dass die Schufa diese nötig hat, dürften auch ihre Kritiker bejahen – schließlich gilt der Schufa-Score als höchst defizitär. Unzählige Menschen erhalten keinen Telefonvertrag oder Kredit, weil die Datenlage der Schufa oft nicht gut genug ist. Eintragungen sind zum Beispiel veraltet oder einfach falsch.
Dass im PSD2-Regelwerk allerdings nicht festgelegt ist, wie die erlangten Daten verarbeitet werden können, ist ein Problem, analysiert Rudolf Linsenbarth im IT-Finanzmagazin. „Wie die Daten im Anschluss genutzt werden, regelt dieses Gesetz nicht“, so Linsenbarth. „Wer so ein Gesetz beschließt, sollte die Möglichkeiten auch zu Ende denken und nicht am Ende den empörten Verbraucherschützer geben, wenn ein Unternehmen die eingeräumten Spielräume nutzt.“ (Auch das Bundesjustizministerium hatte erklärt, der Schufa-Plan werfe „rechtliche Fragen auf“.)
Ungelöst bleibt zudem das Problem, dass die Arbeitsweise der Schufa höchst intransparent bleibt: Offen gelegt werden gegenüber den Nutzern nur die Eintragungen (zum Beispiel Kredit erhalten, Konto eröffnet). Die genaue Funktionsweise des Scorings will die Auskunftei aber nicht verraten. Ein Rechtsstreit zu dieser Frage ging bis vor den Bundesgerichtshof. Der entschied in diesem Jahr: Die Schufa muss die Formel nicht offenlegen. Projekte wie Openschufa geben den Nutzern zumindest erstmals belastbare Hinweise.
Und klar ist: Erst wenn man weiß, welche Daten eine Rolle beim Scoring spielen, kann man auch sinnvoll entscheiden, ob man sein Konto freigeben will – und dann möglicherweise sein Scoring verbessert. Und dies war ja eigentlich das erklärte Ziel der Schufa.