Startups bekommen auch in der Krise weiterhin Kapital von ihren Investoren (Symbolbild: unsplash/ Mario Gogh)

3,2 Milliarden Euro pro Quartal – das Fintech-Fundingvolumen ist weiterhin überraschend hoch

Exklusiv: Im dritten Quartal 2022 haben europäische Finanz-Startups ingesamt rund 3,2 Milliarden Euro eingesammelt. Das liegt weit unter dem Vorjahresquartal – ist aber trotzdem wesentlich mehr als in den Jahren davor. Wie ist die Lage zurzeit?

Entlassungswellen, geplatzte Finanzierungsrunden und auch eine Reihe an Insolvenzen – die Stimmung im Fintech-Sektor ist zurzeit besonders getrübt. Vorbei sind die Zeiten, in denen Gründerinnen und Gründer nur das Wort „Fintech“ in ihr Pitchdeck aufnehmen mussten, um von Geldgebern überrannt zu werden.

Verkündete ein Startup in diesem Sommer eine Finanzierungsrunde, sorgt das mitunter für Überraschung, auch bei Finance Forward. „Es fließt doch noch Geld“, hieß es dann – entgegen der Erwartungshaltung, dass Investoren ihr Kapital zusammenhalten. Im Gegensatz zu den fünf Milliarden Euro im Vorjahresquartal haben die Wagniskapitalgeber in den vergangenen drei Monaten nur noch 3,2 Milliarden Euro investiert, wie aus einer Erhebung des französischen Geldgebers Blackfin Tech für Finance Forward hervorgeht.

An die Rekordzahlen von 2021 kann die Fintech-Szene damit nicht mehr anschließen. Trotzdem liegt das investierte Gesamtvolumen weit über jedem einzelnen Quartal der Jahre zuvor. Wäre die Digitalbranche 2021 nicht explodiert, dann lägen die aktuellen Fundingzahlen noch über dem ersten Coronajahr.

Summe pro Deal sinkt stark

Auffallend ist, dass im dritten Quartal des laufenden Jahres in Summe immer noch mehr Fintech-Deals in Europa geschlossen wurden (176), als im gleichen Zeitraum 2021 (165). Die durchschnittliche Dealgröße liegt mit 20,6 Millionen Euro allerdings weit unter den 32,8 Millionen Euro des Vorjahresquartals.

Das Gesamtvolumen des in Fintechs investierten Kapitals ist indes nicht der einzige Indikator dafür, ob die Branche eine schwere Zeit durchläuft. Die Zahl umfasst beispielsweise nicht, zu welchen Konditionen die Geldgeber jeweils eingestiegen sind – es ist unwahrscheinlich, dass Startups ähnlich hohe Firmenbewertungen abrufen können wie noch vor einem Jahr. Trade Republic beispielsweise konnte im Juni seine Bewertung nur minimal steigern.

Großes Funding und eine drastische Abwertung

Das beste Beispiel dafür ist der schwedische „Buy-Now-Pay-Later“-Star Klarna, der nach einem starken 2021 von Investoren wie Sequoia Capital, Permira und Softbank mit 46 Milliarden Dollar bewertet wurde. Vor ein paar Monaten folgte die Ernüchterung: Klarna muss 85 Prozent seines Firmenwerts einbüßen und ließ mehr als 700 Mitarbeiter gehen (Finance Forward berichtete). Trotzdem ist die im Juli verkündete Finanzierungsrunde über 760 Millionen Euro der größte europäische Deal des Quartals (siehe Grafik).

Entlassungen und ein Rückgang bei den Einstellungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zeigen zudem, dass Fintechs eine schwierige Zeit durchlaufen. Auf Nachrichten großer Finanzierungsrunden folgen nicht selten Entlassungswellen – unter Wagniskapitalgebern sind strengere Ziele und Kostensenkungen gängige Bedingungen für weitere Investitionen. Große Startups wie Trade Republic, Bitpanda, Sumup, Klarna oder Kontist haben Teile ihrer Teams gefeuert.

In den vergangenen Jahren, besonders 2021, hatten es Wagniskapital-Firmen leicht, ihre Fonds zu füllen – befeuert vom zu dem Zeitpunkt in allen Bereichen positiven Investitionsklima. Sie haben also noch viele Millionen an verfügbarem Kapital, dem sogenannten Dry Powder, das sie auch künftig noch in vielversprechende Startups stecken können. Doch das wird sich verändern, wie Venture Capitalists in Gesprächen erzählen:

– Die Investitions-Geschwindigkeit der Fonds wird langsamer. In der Hypephase investierten manchen Geldgeber ihren eingesammelten Fonds in zwölf Monaten. Das wird langsamer.
– Der Fokus rückt weg von B2C zu B2B: Um Endkunden-Geschäftsmodell werden viele Investorinnen und Investoren einen Bogen machen und sich auf Software für Geschäftskunden stürzten. Dort vermutet man vorhersehbare Einnahmen, die auch in einer Rezession nicht komplett einbrechen.
– Was passiert nach dem Freeze? Viele Fintech-Startups halten gerade den Kopf unten, versuchen mit ihrem verfügbaren Geld zu haushalten und möglichst lange ohne externe Finanzspritze auszukommen. Es bleibe die Frage, was passiert, wenn Dickschiffe wie N26, Raisin oder Solaris in den kommenden Monaten wieder auf Kapitalsuche gehen, sagt der Gründer von einem großen Startup. Dann wird sich endgültig zeigen, wie der Markt reagiert und was sich noch für Geschäftsmodelle finanzieren lassen. In der Hypephase haben sich fast alle wichtigen Fintech-Unternehmen noch einmal neu mit Geld eingedeckt. Bis zu diesem Augenblick wird noch etwas Zeit vergehen.