Schalter in einer Filiale der Stadtsparkasse in Hannover (Bild: IMAGO / Rust)

Warum das Provisionsverbot einem Banken-Crash gleichgekommen wäre

Im Koalitionsvertrag der „Ampel“ wird ein Provisionsverbot nicht mehr erwähnt. Für die klassische Kreditwirtschaft ist es die vielleicht beste Nachricht des Jahres – für Fintechs eher nicht.

Kann es sein, dass die Lobbyisten in den Reihen der deutschen Kreditwirtschaft viel, viel bessere Arbeit leisten als die Juristen? Okay, okay – bei dieser Frage handelt es sich natürlich um eine polemische und somit unzulässige Zuspitzung. Was man allerdings (ganz ohne Polemik) feststellen darf: Die Zahl der Anti-Banken-Urteile an deutschen Gerichten ist (mit der BGH-Entscheidung zur Zustimmungsfiktion als vorläufigem Höhepunkt) kaum noch zu überblicken. Dagegen an der politischen Front? Läuft’s, wenn man mal davon absieht, dass die Bafin mehr und mehr zur Verbraucherschutzbehörde mutiert, eigentlich ganz rund.

Basel IV? Hat sich bei genauerer Betrachtung als Basel dreieinhalb entpuppt. Die Einlagensicherung? Dürfte (siehe unser obiger Artikel) auch unter Rot-Gelb-Grün eine im Kern nationale Angelegenheit bleiben. „Payment for Order Flow“? Da haben sich die Bankenvertreter vergangene Woche derart die Hände gerieben, dass beinahe die Funken sprühten.

Freilich: All diese kleinen und mittelgroßen Lobby-Erfolge wären (jedenfalls unserer Einschätzung nach) nivelliert worden, hätte sich die Ampel-Koalition zu einem Provisionsverbot durchgerungen. Und in der Tat: Zuletzt hatte es ja so ausgehen, als würde das Provisionsverbot zumindest als ferne Möglichkeit in den Koalitionsvertrag aufgenommen. Doch woran auch immer es gelegen haben mag (vielleicht an der von der deutschen Kreditwirtschaft in Auftrag gegebenen und von KPMG mundgerecht servierten „Wer hat Angst vorm Honorarberater?“-Studie?) – im Koalitionsvertrag findet sich vom Provisionsverbot kein Sterbenswörtchen.

Hier gehen wir der Frage auf den Grund, was das für Banken und Fintechs bedeutet:

1.) Worum ging es überhaupt?

Um die alte Streitfrage, ob der Kunde in der Bankfiliale (beziehungsweise: beim Finanzberater seiner Wahl) wirklich das beste Produkt erhält, solange der Berater vom Produktanbieter provisioniert und somit möglicherweise auch incentiviert wird.

Dabei hat der Wunsch nach einem Provisionsverbot eine lange Historie. Vor allem nach der Finanzkrise 2008/09 keimte er verstärkt auf, allen voran, weil viele Anleger in der Krise mit zuvor massenhaft vertriebenen Zertifikaten heftige Verluste erlitten – und bei ihrer Entscheidung nicht sachgerecht beraten worden waren.

Als Alternative favorisiert wurde lange Zeit die Honorarberatung, bei der die Kunden den Berater direkt bezahlen – in der Hoffnung, dass dieser dann unabhängig und im Sinne des Kunden berät. Bloß: Selbst nach der Finanzkrise blieb die Honorarberatung ein Nischenphänomen. So zählte die IHK vor einem Jahr außerhalb der (strikt provisionsorientierten) Banken insgesamt nur rund 200 registrierte Honorarberater (Tendenz: sinkend). Dagegen gab es mehr als 50.000 (!) Finanz- und Immobilien-Finanzvermittler, die sich, wie gehabt, nicht von den Kunden, sondern von den Anbietern bezahlen lassen.

2.) Warum stand das Provisionsverbot plötzlich wieder auf der Agenda?

Lange Zeit bürgte die Regierungsbeteiligung der CDU/CSU, die der Finanzwirtschaft traditionell eng verbunden ist, für das Provisionsmodell. Im Zuge der Ampel-Verhandlungen gerieten die Dinge nun allerdings in Bewegung. Zwar hatten von den drei beteiligten Parteien nur die Grünen das Provisionsverbot konkret in ihr Parteiprogramm aufgenommen („Wir wollen weg von der Provisionsberatung und schrittweise zu einer unabhängigen Honorarberatung übergehen. Dafür schaffen wir eine gesetzliche Honorarordnung, die Finanzberater*innen stärkt und unabhängiger macht.“). Doch dann wurde plötzlich aus den Ampel-Verhandlungen ein Papier der „Arbeitsgruppe Finanzen“ öffentlich, dass sich so las, als könnten sich die Grünen mit ihren Anliegen tatsächlich gegen SPD und FDP durchzusetzen. Die Revolution schien nahe.

3.) Warum hätte die Banken ein Provisionsverbot gerade jetzt brutal getroffen?

Weil das Wertpapiergeschäft in der Niedrigzinsära kein Zubrot mehr ist, sondern von existenzieller Bedeutung. Im Falle eines Provisionsverbots hätten Banken und Sparkasse ihr Geschäftsmodell umkrempeln, Vertriebspartnerschaften neu ausrichten, Mitarbeiter neu schulen und die Beratung bepreisen müssen. Das alles hätte enorme Investitionen erfordert – bei einer völlig unklaren Perspektive, ob die Kunden das Modell überhaupt angenommen hätten.

Als Teil ihrer Lobby-Kampagne hatte die Deutsche Kreditwirtschaft inmitten der Koalitionsverhandlungen eine von KPMG mundgerecht verfasste Studie präsentiert, die zu folgender Aussage kam (und mutmaßlich auch kommen sollte). Für eine Honorarberatung seien im Schnitt pro Stunde 180 Euro fällig. Ihre Vorteile ausspielen könne diese Beratungsform somit erst ab einer Anlagesumme von 25.000 Euro. Denn: Darunter zehrten die Beratungskosten zu sehr am Vermögen. Der Median des Finanzvermögens deutscher Haushalte betrage aber nun mal nur 16.900 Euro. Die Schlussfolgerung: Für die Mehrzahl der Haushalte würde sich das Honorarmodell nicht rechnen.

Ist dem wirklich so? Dazu weiter unten mehr (Punkt 7). Was allerdings mindestens so spannend gewesen wäre: Wenn KPMG mal ausgerechnet hätte, wie sich ein Provisionsverbot auf die GuVs von Banken und Sparkassen auswirken würde. Unter welchen Voraussetzungen hätte sich das Wertpapiergeschäft dann überhaupt noch gelohnt?

4.) Was hätte ein Provisionsverbot für die Fintechs bedeutet?

Fintechs, sonstige Plattformbetreiber und eigentlich alle Finanzdienstleister, die überzeugende Angebote für sogenannte Selbstentscheider machen, hätten von einem Provisionsverbot mutmaßlich profitiert. Weil: Bei einem Provisionsverbot hätten viele klassische Anleger vor der Wahl gestanden, künftig entweder für ihre Beratung zu bezahlen – oder eben auf eine Beratung zu verzichten und sich selber auf die Suche nach passenden Angeboten zu machen. Wo diese Anleger dann gelandet wären? Aller Plausibilität nach bei Robo-Advisern, Online-Brokern, Neobrokern oder Banken mit starker Digitalpräsenz.

5.) Aber finden die Kunden nicht auch so zu den digitalen Playern?

Mag so aussehen. Die Stichwörter kennt Sie ja, liebe Leserinnen und Leser: Trading-Boom. ETF-Boom. Sparplan-Boom.

Indes, so imposant der Aufstieg beispielsweise von Trade Republic auch sein mag, die klassische Finanzindustrie ist immer noch viel, viel größer als die neue. So bezifferte Trade Republic seine Kundengelder vor einigen Monaten mit „über sechs Milliarden Euro“. Zum Vergleich: Alleine die Kunden der Sparkassen haben im vergangenen Jahr zusammen 100,2 Milliarden Euro neues Geldvermögen gebildet. Was nun den Markt für Robo-Advisor angeht, kommen unseren Schätzungen zufolge sämtliche Anbieter gerade mal einen aggregierte „Assets under Management“ im gehobenen einstelligen Milliardenbereich. Und selbst wenn man mal alle Assets von Neobrokern, Robos und von Privatanlegern gehaltenen ETFs zusammenzählt, ist man Pi mal Daumen irgendwo zwischen 80 und 100 Milliarden Euro.  Das entspricht rechnerisch gerade mal gut ein Prozent des Geldvermögens der privaten Haushalte hierzulande in Höhe von rund 7,3 Billionen Euro per Ende Juni. Ein Geldvermögen, das im Übrigen pro Quartal (!) um mehr als 150 Milliarden Euro wächst.

Die Rechnung mag Unschärfen haben, die Dynamik auf Seiten der Neobroker und ETF-Anbieter sein. Aber: Selbst wenn man die Entwicklung der letztem 2-3 Jahre fortschreibt, wird es noch lange, lange dauern, bis die Assets von echten, provisionsfrei anlegenden Selbstentscheidern eine wirklich kritische Größe erreichen. Ein Provisionsverbot hätten dem Modell einen Push verliehen. Nun muss man abwarten, wie sich die Dinge ohne diesen Push entwickeln.

6.) Müssten die klassischen Banken nicht selbst auf die Selbstentscheider setzen?

Könnte man meinen. Tun sie aber nicht. Und vermutlich haben sie ihre Gründe.

Es ist jedenfalls so, dass sich die Vertriebs- und Beratungsstrukturen im Bankenmarkt – anders, als nach der Finanzkrise erwartet – im zurückliegenden Jahrzehnt nicht wirklich verändert haben. Die Sparkassen sind aufs engste verwoben mit einem Fondsanbieter (der Deka), die Genossenschaftbanken mit ihrer Dachmarke (der Union Investment), die Commerzbank mit Allianz Global Investors – und im Versicherungsmarkt hat zum Beispiel die Deutsche Bank vergangenes Jahr einen Exklusivitätsvertrag mit der Zurich geschlossen, gedacht für Lebensversicherungen und mit einer Laufzeit bis 2032 (!!!).

Der Selbstentscheider? Kommt in diesen Vertriebsstrukturen eigentlich nicht vor.

7.) Welche Erfahrungen haben andere Länder gemacht

Es gibt eine hervorragende Feldstudie. So hat Großbritannien 2013 bekanntlich ein Provisionsverbots für wesentliche Altersvorsorgeprodukte eingeführt – und lässt seitdem regelmäßig die Finanzaufsicht untersuchen, welche Implikationen das Verbot hatte.

So kam bei der jüngsten Untersuchung 2020 heraus, dass nur acht Prozent der Haushalte tatsächlich schon einmal eine Honorarberatung in Anspruch genommen haben, nach sechs Prozent im Jahr 2017. Nun tobt ein Grundsatzstreit: Die Gegner des Provisionsverbots rechnen vor, dass demnach 92 Prozent der Haushalte von der Beratung abgeschnitten seien. Früher hätten all diese Kunden in jede Bank spazieren können, nun hielten sie fehlende Mittel davon ab. In diesem Sinn äußerte sich kürzlich auch BVI-Fondslobbyist Thomas Richter in unserem Podcast zum Thema.

Befürworter des Provisionsverbots halten dagegen. So hätten die Untersuchungen gezeigt, dass sich die Beratungsqualität in Großbritannien verbessert habe. Zudem belaufe sich die Quote derer, die eine Beratung gerne in Anspruch nehmen würden, dies aber aufgrund der Kosten unterlassen, auf lediglich 19 Prozent. Die große Masse habe überhaupt kein Interesse an einer Beratung, egal ob kostenlos oder kostenpflichtig – oder entscheide ohnehin selbst. Tatsächlich geben laut der britischen Finanzaufsicht zwei Drittel der potenziellen AV-Kunden an, gar keine Beratung zu wollen.