Wie New York das Silicon Valley als Fintech-Mekka ablöst
Go East: Das Valley ist längst nicht mehr so attraktiv für Fintech-Startups wie früher – die meisten Deals werden inzwischen in New York gemacht. Und das hat gute Gründe.
Jared Hecht weiß, wie Erfolg geht. Er war gerade mal 23, als er sein erstes Startup gründete – ein Jahr später verkaufte er es für 80 Millionen Dollar an Skype. Geld, das er direkt reinvestierte: Fundera heißt seine zweite Firma, ein Kreditmarktplatz für kleine Unternehmen.
Wer Hecht besuchen will, muss ins Silicon Alley. So wird die Gegend südlich des Flatiron Districts genannt. Hunderte Fintechs haben sich dort niedergelassen. Es sieht anders aus als im Silicon Valley: Zwischen Delis und Einzelhändlern reiht sich Hochhaus an Hochhaus, die Finanz-Startups verstecken sich hinter hohen Fassaden. Nirgendwo prangen große Firmenlogos. Auch Fundera trägt nicht dick auf. Ein paar Stühle und Pflanzen, ansonsten viel Licht. Baulampen an der Decke, am Boden Beton. „Check your ego at the door“, steht in roter Schrift an der Wand zwischen den Fenstern. Darunter der Leitsatz: „Elevate the Game.“
Das klappt bislang ganz gut bei Fundera: Mehr als eine Milliarde Dollar wurden über die Plattform vermittelt. Der Erfolg, sagt der 31-Jährige, hänge auch mit dem Standort zusammen. „Jede Firma, die den Kapitalmarkt erschließen will, endet früher oder später in New York.“ Eigentlich stammt Hecht gebürtig aus San Francisco. Für ihn wäre es also ein Heimspiel gewesen, an der Westküste zu gründen. Entschieden hat er sich dennoch für New York. Einerseits, weil seine Frau hier lebt – andererseits aber vor allem, weil „es schlau ist, sein Unternehmen dort zu gründen, wo die eigene Branche ihren Hauptmarkt hat“.
Auch das API-Startup Plaid, das anderen Finanz-Apps technologische Infrastruktur bereitstellt und gerade für 5,3 Milliarden Dollar von Visa gekauft wurde, zog es 2019 nach New York. Mehr als 100 Leute und damit ein Viertel der gesamten Belegschaft sitzen inzwischen in der Finanzmetropole, sagt das Startup auf Anfrage. Fast zeitgleich hat Affirm, das Kredit-Startup von Paypal-Co-Gründer Max Levchin, gut 50 Mitarbeiter aus San Francisco nach Midtown Manhattan versetzt oder sogar neu rekrutiert – viele davon mit Erfahrungen bei Morgan Stanley oder Goldman Sachs. Und selbst Uber, der Fahrdienstleister aus dem Silicon Valley, startete sein Fintech-Vertical Uber Money ebenfalls in New York.
Es gibt viele Gründe, warum das Silicon Valley für Fintech-Startups nicht mehr so attraktiv ist wie früher. Viele haben mit Geld zu tun, etwa weil die Mieten im Valley so teuer sind wie nirgendwo sonst in den USA. Sieben Prozent haben die Preise allein vergangenes Jahr angezogen, sagt die Immobiliengesellschaft Cushman & Wakefield. Daneben müssen Fintechs mehr Steuern zahlen als andere Unternehmen. Zwischen 0,4 und 0,56 Prozent ihrer Einnahmen müssen sie an den Fiskus abführen – das soll beim Kampf gegen die hohe Obdachlosigkeit in der Stadt helfen. „Normale“ Tech-Firmen müssen hingegen nur 0,13 bis 0,45 Prozent ihres Umsatzes an die Stadt abtreten. „Unfair“, nennt Twitter- und Square-Gründer Jack Dorsey das.
Hypothetically Square could pay over $20m more in 2019, while Salesforce (4x bigger than Sq) pays less than $10m. Taxes would grow at rates multiple times our adj. revenue, which no company can sustain. Not an issue for Salesforce/Twitter, but unfair to Sq and fintech startups.
— jack 🌍🌏🌎 (@jack) October 19, 2018
Es sind aber nicht nur die hohen Kosten. Auch die Innovationskraft der legendären Technologieregion scheint abzunehmen, attestiert etwa die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG. Mehr als die Hälfte der dort 740 befragten Experten glaubt, dass San Francisco seine Führungsposition als Innovationsvorreiter bis 2023 verlieren werde. Dann neuer Spitzenreiter (zumindest nach Meinung der Befragten): New York.
Die Stadt wird derzeit regelrecht mit Risikokapital überschwemmt, heißt es nicht nur in der KPMG-Studie – auch James Patchett erlebt das so. Er ist Präsident der Wirtschaftsfördergesellschaft New York City Economic Development Corporation. „Immer mehr Hedgefonds und Private-Equity-Gesellschaften interessieren sich für New Yorker Startups“, sagt Patchett, der eng mit Bürgermeister Bill de Blasio zusammenarbeitet. Das Interesse am Standort werde von Tag zu Tag größer, sagt er. „Selbst kalifornische Investoren schauen sich inzwischen hier um.“
Auch für Will Sealy war schnell klar, dass er sein Fintech an der Ostküste gründen würde. Direkt nach seinem MBA startete er Summer, eine Software, die Studenten hilft, günstige Studienkredite zu finden. „Hätte ich mein Unternehmen vor 15 Jahren gegründet, wäre ich verrückt gewesen, nicht ins Silicon Valley zu gehen“, sagt der Yale-Absolvent. Inzwischen aber habe sich die Branche komplett verändert. Das Valley sei für ihn einfach nicht mehr in Frage gekommen.
Kapital und Talent: Das waren lange die großen Vorzüge der Westküste. Wer unternehmerisch etwas erreichen wollte, zog ins Silicon Valley. Auch Sealy hat dort jahrelang gearbeitet. Als er dann aber selbst gründen wollte, habe er die Märkte verglichen, Talent und Kapital abgewogen. Von beidem gebe es in San Francisco genügend, sagt Sealy. Aber noch viel mehr davon sei in New York vorhanden. „Klar gibt es Absolventen, die in Berkeley oder Stanford studiert haben und dann nach San Francisco ziehen, einfach weil es direkt um die Ecke ist“, so der 32-Jährige. Das sei aber mit den Unis der Ivy League nicht anders: Harvard, Princeton, Yale und Columbia – acht der prestigeträchtigsten Universitäten der Welt sind an der Ostküste der USA beheimatet. Es sei inzwischen unter Ive-League-Absolventen angesagt, an der Ostküste zu bleiben, sagt Sealy.
Mehr als 900 Fintechs verorten ihren Hauptsitz inzwischen in New York, rechnet etwa der Immobilien-Dienstleister Savills vor. Zwar ist London mit mehr als 1.000 städtischen Finanz-Startups nach wie vor weltweiter Spitzenreiter. San Francisco schafft es mit weniger als 600 Fintechs jedoch gerade mal auf Platz drei.
Damit ist amtlich, was lange undenkbar war: New York hat San Francisco als Fintech-Standort überholt. „In der Vergangenheit waren viele Gründer unsicher, ob sie es in New York überhaupt versuchen sollen“, sagt Wirtschaftsförderer James Patchett. Viele hätten gedacht, der Stadt fehle es an Kapital, um aufstrebende Unternehmen zu fördern. „Diese Mentalität hat sich absolut verändert.“
Die größten Finanzspritzen gibt es zwar immer noch im Silicon Valley: mehr als vier Milliarden Dollar allein in den ersten neun Monaten des letzten Jahres. Besagte Savills-Studie zeigt aber auch: In New York wurden mit 164 Finanzierungen deutlich mehr VC-Deals abgeschlossen als an der amerikanischen Westküste. Und es werden immer mehr.
Der Zustrom habe auch mit einem veränderten Mindset zu tun, wird Mark Goldberg, Partner bei Index Ventures, bei Bloomberg zitiert. Zwar sei das Silicon Valley oft erste Anlaufstelle für Fintechs, weil dort eine Menge Techies mit Design- und Produkt-Erfahrung säßen. „Das ist aber völlig an der Branche vorbeigedacht“, so Goldberg. Weil Fintechs nun mal qua Definition Finanzexperten bräuchten, orientierten sich immer mehr Gründer Richtung Ostküste. „Viele Finanz-Startups wollen ihre DNA mit Kapitalmarktexpertise füttern“, sagt Investor Goldberg. „Und mit Leuten, die sich mit Banken auskennen.“
Vorteil New York. Wie lange die Stadt allerdings bei Gründern so hoch im Kurs bleiben wird, das ist noch nicht abzusehen. Denn die Metropole hat ihre eigenen Probleme. Zwischen 50 und 90 Dollar kostet der Büroquadratmeter in guten Lagen inzwischen. So manches Office im Silicon Valley ist günstiger zu haben. Steuerliche Anreize sind außerdem selten – gar nicht für große, etablierte Unternehmen. Der Online-Händler Amazon etwa wurde vor einem knappen Jahr lautstark aus der Stadt verjagt. Lokale Politiker machten sich damals Sorgen, dass Mieten und Lebenshaltungskosten weiter steigen würden. Schon jetzt zahlen New Yorker im Schnitt 120 Prozent mehr für ihren Lebensunterhalt als in anderen Bundesstaaten. Gleichzeitig liegt die Einkommenssteuer in New York so hoch wie nirgendwo sonst im Land. „Man muss hart sein, um es in New York zu schaffen“ sagt selbst Bill de Blasio, der Bürgermeister. Er hätte Amazon gern in der Stadt gesehen, aber nicht um jeden Preis.
Will Sealy, der Summer-Gründer, kann sich keine bessere Stadt für sein Fintech vorstellen. Hier wegzuziehen kommt für ihn nicht in Frage. Ein zweites Office wäre zwar denkbar, sagt Sealy. Aber definitiv nicht in San Francisco – South Carolina oder Salt Lake City, das wäre eher etwas. „Man braucht kein Silicon Valley, um als Fintech erfolgreich zu sein.“