Party vorbei: Gründer Albert Saniger zeigte sich 2022 noch bester Laune (Foto: Sansho Scott/BFA.com/Shutterstock)

Billigkräfte im Callcenter statt KI: Nate-Gründer angeklagt

Mit seinem New Yorker Start-up sammelte Albert Saniger mehr als 50 Millionen Dollar bei Investoren ein. Sein Versprechen: eine KI-gestützte Revolution im Onlineshopping. Doch die Technologie gab es gar nicht, so die Staatsanwaltschaft.

Seinen Leuten war die Sache offenbar ohnehin nicht geheuer. Während Albert Saniger (35), Gründer und CEO des Fintechs Nate, bei Investoren mit der angeblichen KI seiner Firma warb, sollen selbst Führungskräfte intern auf „die kalten, harten Fakten“ verwiesen haben. Und die waren niederschmetternd: Der Automatisierungsgrad in der App sei „Null Prozent“.

Die Werbung mit der angeblichen künstlichen Intelligenz sei Betrug gewesen, wirft die Staatsanwaltschaft aus New York dem Gründer vor. Saniger habe die Geldgeber absichtlich in die Irre geführt und mit großer Energie vor seinen Geldgebern vertuscht, dass statt der angeblichen KI in Wahrheit echte Menschen in Callcentern die App bedienen würden. Nun wurde er angeklagt. Im Falle einer Verurteilung drohen ihm bis zu 20 Jahre Gefängnis.

Saniger ist der nächste in einer Riege ehemaliger Fintech-Größen, denen der Prozess gemacht wird. Zuletzt hatte auch der Fall der einstigen Stargründerin Charlie Javice (31) für Schlagzeilen gesorgt, die ihr Finanzplanungs-Start-up Frank 2021 an die Wall-Street-Bank J.P. Morgan verkauft hatte – und dabei offenbar die Zahl der angeblichen Kunden gefakt hatte.

Nate-Gründer Saniger hatte ab 2018 mit seiner App das Onlineshopping revolutionieren wollen. Statt umständlich auf jeder Website wieder Kreditkartendaten, Lieferadresse und andere Angaben einzutippen, sollte das dank seiner Technologie mit nur noch einem Klick gehen. „Das erste KI-Shoppingtool“, so Saniger. Bei teils prominenten Investoren wie Coatue, Forerunner Ventures oder Renegade Partners sammelte er mit dieser schönen Story mehr als 50 Millionen Dollar ein; den größten Teil davon auf dem Peak des Techhypes 2021. Recherchen des Techportals „The Information“ ergaben 2022 allerdings, dass der Pitch des New Yorker Start-ups deutlich übertrieben war. Im Jahr darauf ging Nate dann das Kapital aus. Die App gibt es nicht mehr, das Investorengeld ist futsch.

Der Gründer habe die „Verlockung der KI-Technologie ausgenutzt, um ein falsches Narrativ über Innovationen aufzubauen, die es nie gab“, erklärte Staatsanwalt Matthew Podolsky in einer Mitteilung. Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft zeichnet nun nach, wie unverfroren der aus Spanien stammende Saniger offenbar vorging. Die Firma habe nie über die angepriesene KI-Technologie verfügt, so das Fazit der Strafverfolger. Nate habe Hunderte Billigkräfte in einem Callcenter auf den Philippinen die Angaben der Onlineshopper ausfüllen lassen. Als seine Leute auf den Nullprozent-Automatisierungsgrad im gesamten Checkout- und Paymentprozess hinwiesen, soll er ihnen verboten haben, darüber zu sprechen. Er habe intern den Zugang zum entsprechenden Dashboard beschränkt und die Kennzahl zum Firmengeheimnis erklärt.

Auch sonst soll er alles getan haben, um die Investoren zu täuschen. Als im Herbst 2021 eine Naturkatastrophe zeitweise zu einem Ausfall des Callcenters führte, habe er ein zweites Callcenter mit Billigkräften in Rumänien hochgefahren. Jegliche Hinweise auf die Geschäftsbeziehung zu dem Millionen-Start-up hätten die Vertragspartner auch auf Social Media unterbinden müssen. Zudem habe Saniger den Ermittlern zufolge auch die Anweisung, bestehende Investoren oder andere potenzielle Geldgeber bevorzugt zu behandeln, wenn diese die App ausprobierten. Damit sie ein bestmögliches Shoppingerlebnis hätten, so die Staatsanwaltschaft. Erst später habe Nate dann Bots entwickeln lassen, um wenigstens einige Teilaufgaben auf den 50 beliebtesten Shoppingwebseiten automatisch erledigen zu können. Die seien jedoch weit weniger ausgefeilt gewesen als die propagierte KI.

Nach Erscheinen der „Information“-Recherche habe Saniger die Investoren noch zu beruhigen versucht. Die menschliche Hilfe sei nur bei bestimmten Risikofällen im Payment oder zu Trainingszwecken eingebunden. Insgesamt, so erklärte der FBI-Ermittler Christopher Raia, habe der CEO seine Position ausgenutzt und ein System „voller Rauch und Spiegel“ erschaffen.