„Die EU schwächt Fintechs, bevor sie richtig wachsen können“
Die EU hat entschieden: Ab 2026 ist das Gebührenmodell „Payment for Order Flow“ verboten. Ein Schlag für Kleinanleger und Neobroker, sagt der EU-Abgeordnete Markus Ferber.
Herr Ferber, das EU-Parlament hat entschieden: Das Gebührenmodell „Payment for Order Flow“ (PFOF) wird verboten. Warum regen Sie sich darüber auf?
Markus Ferber: Traditionelle Broker und Börsen erheben hohe Transaktionskosten. Das macht es für Kleinanleger unattraktiv, an die Börse zu gehen. Mit „Payment for Order Flow“ wird im Prinzip ein Rabatt gewährt, der von den Handelsplätzen direkt an die Kunden weitergegeben wird. Damit ist die Börse auch für Kleinanleger attraktiv geworden. Gerade die jüngere Generation hat das über Neobroker angenommen. Natürlich gibt es dabei auch Schwierigkeiten. Durch eine bessere Aufsicht hätte man den Verbraucherschutz stärken können. Ein Verbot ist aber genau das falsche Signal. Es wird vor allem ein Resultat haben: höhere Kosten für Wertpapiertransaktionen. Der Zugang zum Kapitalmarkt wird wieder ein Stück unattraktiver für Kleinanleger.
Die EU-Institutionen sehen das offenbar anders.
Die Kommission hat das Verbot vorgeschlagen und sich dabei an den USA orientiert, obwohl unser System in der EU funktioniert. Im Parlament gab es eine Mehrheit dafür. Im Rat haben sich viele Mitgliedsländer so positioniert, wie ich das gerade getan habe. Die große Ausnahme sind die Niederlande, die schon ein Verbot von PFOF haben. Ich bedauere die Entscheidung sehr, weil wir als Europäische Union damit wieder Fintechs schwächen, bevor sie richtig wachsen konnten.
Kritiker sehen ein umstrittenes Geschäftsmodell. Neobroker wickeln Transaktionen über Handelspartner ab, die im Gegenzug Provisionen an den Neobroker zahlen. Das erlaubt es, vom Kunden selbst keine oder nur geringe Gebühren pro Order zu nehmen. Es besteht aber die Gefahr eines Interessenkonflikts: Broker könnten Aufträge zu den Partnern mit der höchsten Provision geben, anstatt nach dem besten Ausführungspreise für die Kunden zu gehen.
Es stellen sich sicherlich Fragen nach Interessenkonflikten des Brokers, Kostentransparenz und Ausführungsqualität. Das sind aber alles lösbare Fragen, die man auch ohne ein Komplettverbot angehen kann. Diese Chance hat die EU nun vertan.
Als Berichte über das mögliche EU-Verbot aufkamen, gingen etliche Beobachter zunächst davon aus, dass sich die EU-Kommission darauf beschränken würde, für größere Transparenz zu sorgen. Warum hat sie stattdessen die ganz große Keule rausgeholt?
Weil die ganz große Keule schon im Kommissionsvorschlag stand. Das hat es vielen Akteuren leichter gemacht, sich hinter der Kommission zu verstecken.
Neobroker werfen den Banken vor, im Hintergrund massiv für ein „PFOF“-Verbot lobbyiert zu haben, um die eigenen Geschäftsmodelle zu stützen. Schließlich sind die Neobroker eine ernsthafte Konkurrenz.
Ja, natürlich gab es da auch Lobby-Aktivitäten. Die großen Börsenplätze mögen das nicht, wenn ihnen Geschäft verloren geht. Aber Konkurrenz ist Teil der sozialen Marktwirtschaft.
Hat man auch versucht, Einfluss auf Sie zu nehmen? Sie sind immerhin wirtschaftspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im EU-Parlament.
Ich werde zu jedem Thema von vielen Akteuren kontaktiert. Ich kann damit umgehen.
Trägt dieses Gesetz also die Handschrift der Finanzlobby?
Dieses Gesetz trägt eher die Handschrift der Ideologen.
Was meinen Sie damit?
Wenn ich die Frage vor mir habe: Kontrolliere ich etwas strenger oder verbiete ich es gleich, dann hat das für mich etwas Ideologisches. Dahinter zeigt sich die Auffassung, dass Kleinanleger an der Börse nichts zu suchen haben. Da sage ich: Das ist völlig falsch. Auch Kleinanleger haben dort etwas zu suchen, und zwar nicht nur, wenn es um ETFs geht. Entschuldigen Sie, aber ein nicht-gemanagter ETF ist ein triviales Produkt. Ich halte das nicht in jedem Fall für die beste Entscheidung.
Zur Ampel gehört ja auch die FDP. Sie will die Aktienkultur sehr wohl stärken.
Die Liberalen waren zumindest als europäische Renew-Fraktion an der Entscheidung beteiligt. Die kleine FDP hat in Europa leider keinen Einfluss.
Die letzte Abstimmung im Parlament ist durch, die große Mehrheit war dafür, jetzt soll das Verbot 2026 kommen. Was heißt das nun für Neobroker?
Die meisten Neobroker versuchen, ihre Modelle anzupassen. Aber diese Form, dass es Rabatt gibt durch die Handelsplattformen, das wird es eben nicht mehr geben. Und ob die neuen Modelle dann noch attraktiv genug sind für Kleinanleger, das ist fraglich.
Aktienkäufe für 99 Cent, das könnte bald vorbei sein. Ein Vorwurf an die Neobroker lautet aber ja auch, sie würden Anleger mit niedrigen Transaktionskosten zum Zocken verleiten. Ist es vielleicht sogar gut, wenn sich Kunden künftig mehr Gedanken machen, weil die Kosten etwas steigen?
Die Frage, wie man das Zocken verhindern kann, ist legitim. Aber der normale Kunde dieser Angebote hat das nicht gemacht. Für den Großteil der Anleger geht es um feste Sparpläne.
Millennials und die Generation Z sind mit Neobrokern sozialisiert worden. Können Sie denen erklären, was ein Ende der Apps bedeuten könnte? Wie läuft ein Aktienkauf ohne Neobroker ab, wie viel mehr muss man wissen und wie hoch sind die Kosten?
Das ist schwieriger. Ich muss das über einen Intermediär machen, normalerweise über die Hausbank. Damit habe ich dort schon Gebühren, plus die Gebühren am Handelsplatz. Mit zehn Euro muss ich zu normalen Bedingungen nicht auf den Börsenplatz gehen. Genau das war der Vorteil von Neobrokern. Ich gehe davon aus, dass solche Beträge in Zukunft wieder auf das Festgeldkonto wandern, was absehbar nicht die Renditen erwirtschaftet, die langfristige Investoren mit „buy and hold“ erwirtschaften konnten. Das wäre natürlich kein Gewinn für Kleinanleger. Gerade für junge Menschen, die es gewohnt sind, Geld über Apps auf dem Smartphone anzulegen, wäre ein Ende der Neobroker ein Einschnitt. Die Frage ist auch: Sparen sie dann überhaupt noch? Denn das ist ja offenbar die Generation, an die traditionelle Banken nicht rangekommen sind. Aber das sind Fragen, die der Markt beantworten muss, im besten Fall mit attraktiven Angeboten.
Während Corona gab es einen kleinen Boom an der Börse. Seit dem Krieg in der Ukraine und aufgrund der hohen Inflation sind viele Anlegerinnen und Anleger vorsichtiger geworden. Welches Signal sendet nun diese Entscheidung der EU?
Das falsche. Eigentlich wollen wir den Zugang zum Finanzmarkt erleichtern und die Aktienkultur stärken. Neobrokern ist genau das in den vergangenen Jahren gelungen. Gerade viele jüngere Menschen haben in den vergangenen Jahren den Kapitalmarkt entdeckt – unter dem Gesichtspunkt der privaten Altersvorsorge ist es ganz wichtig, dass sie da dranbleiben. Ihnen jetzt einen Knüppel zwischen die Beine zu werfen, ist genau die falsche Strategie. Kleinanleger können sich bei den Ampel-Parteien im Europäischen Parlament bedanken. Die höheren Kosten für den Wertpapierhandel gehen direkt auf die Kappe der europäischen Ampel.