Mit „Mad Money“ auf CNBC erreicht der Ex-Hedgefondsmanager täglich Millionen von Zuschauern (Bild: imago/Aurora)

Der „Inverse Jim Cramer ETF“: Umgedreht wird ein Fonds draus

Niemand liegt so oft daneben wie Aktienlegende Jim Cramer. Jetzt wettet ein ETF gegen seine Prognosen – mit riesigem Erfolg.

Kürzlich hat Jim Cramer eine selbst für ihn neue Schwelle durchbrochen: Der Autor und Moderator hat im Fernsehen geweint. Der Mann, der von Live-Gefühlsausbrüchen lebt und dessen Emotionalität der Hauptgrund ist, sich die Show „Mad Money“ auf CNBC anzuschauen, hatte noch nie zuvor Tränen in den Augen. Grund war, dass die Quartalszahlen vom Facebook-Konzern Meta sehr viel schlechter als von ihm prognostiziert ausfielen. Cramer hatte sich bei seiner Einschätzung verhoben – mal wieder. Und er entschuldigte sich unter Tränen bei seinen Zuschauern. Für seine zahlreichen Kritiker nichts Neues. Die ätzen, dass er eigentlich aus dem Weinen gar nicht mehr herauskommen dürfte, wenn er es ehrlich meinen würde. Womit sie alles andere als falschliegen.

Nur zwei von vielen Beispielen: Cramer sieht für die Kryptoplattform Coinbase harte Zeiten voraus, woraufhin die Aktie 50 Prozent an Wert zulegt. Netflix war für ihn zum Höchststand ein Kauf, danach ging’s bergab. Ein paar Jahre zuvor riet er Anlegern, HP zu verkaufen, woraufhin die Aktie eine unfassbare Steigerung hinlegte – viele haben ihm das nie verziehen. Und so weiter. Auf Reddit und Twitter wird gefragt: „Warum hostet er nicht ‚Dumb Money‘?“ , will jemand wissen. Und: „Wieso darf der überhaupt noch im TV sein?“ Noch einer: „Es ist erstaunlich, wie falsch ein einziger Mensch liegen kann.“

Aus der Zeit gefallen

Eines sollte man nicht vergessen: Cramer hat durchaus die Credentials. Er hat Harvard besucht und sein Studium magna cum laude abgeschlossen, hat dort auch als Chefredakteur die Zeitung „The Harvard Crimson“ geführt. Er hat mehrere Bestseller geschrieben. In den Achtzigern begann er in New York eine Karriere als Trader bei Goldman Sachs, ein paar Jahre später hat er dann seinen eigenen Fonds aufgelegt. Im frühen Internetzeitalter hat er die lange Zeit prägende Finanz-Website thestreet.com gegründet und sie später für über 15 Millionen Dollar verkauft. Zu Bestzeiten haben ihm eine halbe Million Menschen in den USA vor den Fernsehern zugeschaut. Auch wenn er sich gerne bewusst zum Vollhorst macht: Der Mann ist keine totale Luftnummer. Das Problem ist nur, dass die ganzen Glanzstücke alle schon sehr lange her sind. Der Eindruck macht sich breit, dass Cramer mittlerweile massiv den Kontakt zur Gegenwart verloren hat.

Und genau das will sich seit einigen Monaten ein börsengehandelter Fonds zunutze machen: der Inverse Jim Cramer ETF. Im Investmentprospekt heißt es: „Unter regulären Bedingungen sollen mindestens 80 Prozent der Investments des Fonds gegenteilig zum Rat von Cramer investiert sein.“ Da Cramer seine Picks via „Mad Money“ auf CNBC und vor allem Twitter kommuniziert, kann der Inverse Jim Cramer quasi in Echtzeit darauf reagieren und die jeweiligen Positionen shorten oder long gehen. Das Portfolio soll aus 20 bis 25 gleich stark gewichteten Positionen bestehen. Es bedient sich aus dem US-Markt sowie internationalen Märkten. Hinter der Idee steckt Matthew Tuttle, ein umtriebiger Geldmanager, der Tuttle Capital gegründet hat. Bereits im November 2021 sorgte er für Aufmerksamkeit, als er den Tuttle Capital Short Innovation ETF auf den Markt brachte. Dessen Funktion besteht darin, die Positionen von Cathie Woods Ark Innovation ETF zu shorten.

„Warum darf der überhaupt noch im TV sein?“

Damals eine kleine Sensation: Woods große Blütezeit lag gerade mal ein paar Monate zurück, sie setzte weiterhin auf Techaktien, auch wenn die damals anfingen, in die Knie zu gehen. Inverse ETFs sind eigentlich nichts Neues und vor allem in Bärenmärkten nicht selten. Tuttles Anti-Wood-ETF machte zu Beginn der abschmierenden Märkte allerdings immer mehr die Runde, was auch Woods immenser Popularität geschuldet war – und der Gründer sah ein erfolgreiches Prinzip, das auch auf andere Persönlichkeiten anzuwenden ist. Warum sich also nicht an den lautesten, prominentesten und naheliegendsten von allen hängen – an Cramer? Mittlerweile folgen auf Twitter über 150.000 Accounts dem Inverse Jim Cramer ETF, der seit Elon Musks Übernahme und Parodiegesetz den Zusatz „(Not Jim Cramer)“ im Namen tragen muss. Jede Empfehlung von Cramer wird mit der passenden, konträren Empfehlung retweetet. In einem Update von Ende Oktober heißt es, dass die Performance des ETF selbst in diesem „schwierigen Jahr“ alle Erwartungen übertroffen habe. Geshortet werden unter anderem Disney, Starbucks, Microsoft, Amazon und General Electric – für Cramer allesamt gute Wachstumskandidaten.

Der Fluch funktioniert übrigens auch in anderen Bereichen: In den Playoffs der US-Baseballmeisterschaften zwischen Philadelphia und Houston stand es neulich unentschieden, als Cramer sich als Phillies-Fan bekannte. Folgerichtig gingen die letzten drei Spiele verloren – und damit die Meisterschaft. Jetzt allerdings wird es interessant. Denn Cramer ist sich langsam darüber klar geworden, dass immer mehr auf sein Unvermögen bauen. Neulich hat er einen Tweet mit einer Prognose abgesetzt und kurz darauf einen weiteren Tweet mit Zwinkersmiley hinterhergeschickt: „Ob ich das wirklich ernst meine?“ Es entsteht ein neues Katz-und-Maus-Spiel: Was ist noch ernst gemeinter Rat? Was ist bewusste Irreführung, um es dem ehrenrührigen ETF heimzuzahlen? Cramer ist jetzt 67 Jahre alt, aller Häme zum Trotz ist er eine lebende Legende. Man merkt es auch daran, dass die Anfeindungen weniger gehässig werden. Cramer ist gerade dabei, in die späte Rudi-Carrell-Phase einzutreten, in der man Menschen einfach machen lässt und sie eher als Ruhe spendende Institution erachtet denn als tatsächliche Experten, die der Gegenwart noch groß Neues mitzuteilen hätten. Kurz vor Thanksgiving wünschte er allen salomonisch frohe und erholsame Feiertage, auch den vielen Neinsagern.

Vielleicht ist ein Blick in die Mythologie die Lösung: Das Orakel von Delphi blieb bekanntlich im Ungefähren. Sollen die Menschen doch alles ausklamüsern. Bloß wäre Cramer dann einfach nicht mehr Cramer. Und das wäre nicht nur für die schade, die derzeit dank frecher Konträr-Picks durch ihn vermögend werden. Sondern für uns alle, die den energiegeladenen Aktien-Show-Clown irgendwann tatsächlich lieb gewonnen haben.


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