Seriengründer Jan Beckers (Bild: PR)

Warum sich der Fintech-Seriengründer Jan Beckers ins Fondsgeschäft wagt

Als Gründer erfolgreicher Internet-Start-ups hat sich Jan Beckers in Berlin einen Namen gemacht. Jetzt wagt er etwas völlig Neues: einen Fonds, der in die weltbesten Netzunternehmen investiert.

Der Mann, dessen Markenzeichen jahrelang orange Rollkragenpullis waren, trägt jetzt Anzug, dunkelblau. Es ist ein Freitag im April, Jan Beckers nimmt in seinem Stammlokal in Berlin-Mitte Platz. Das Outfit trägt er jetzt öfter, gerade war er in San Francisco bei einer Investorenkonferenz von Morgan Stanley, da kann man nicht in Jeans auflaufen.

Er, der seit mehr als einem Jahrzehnt erfolgreich Internetfirmen gründet, hat die Branche gewechselt. Mehr als 25 Unternehmen gehen auf das Konto seiner Startup-Fabrik Hitfox, zusammen sind sie knapp eine Milliarde Euro wert. Doch vor einigen Monaten hat sich Beckers vom CEO-Posten zurückgezogen, um sich mehr Freiheit für ein neues Projekt zu geben. Es geht dabei nicht einfach um das nächste Hitfox-Unternehmen, sondern um mehr, um die Verwirklichung eines Lebenstraums. „Wir haben“, verkündet Beckers an jenem Tag in Berlin-Mitte, „einen Fonds aufgelegt, der weltweit in die besten börsennotierten Internet- unternehmen investiert.“

Schon als Schüler steckte er das Geld, das seine Eltern ihm für den Führerschein zur Seite gelegt hatten, in Aktien des Spieleherstellers Electronic Arts. Das Investieren blieb sein Hobby, Beckers bewies ein gutes Händchen, kaufte früh und günstig Google, Apple, Amazon. Schon lange hat er mit dem Gedanken gespielt, selbst als Asset-Manager aufzutreten. Jetzt setzt er den Plan in die Tat um – und spricht mit Capital erstmals darüber. Er hat einen Portfolioverwalter gegründet, ein kleines Team zusammengestellt und zunächst zwei Fonds aufgelegt: vor einem Jahr für vermögende Investoren, Anfang 2019 dann für Kleinanleger, beide unter dem Titel „Global Internet Leaders“.

Das Hitfox-Universum nimmt sich klein aus gegen Rocket – aber Beckers hat eine spektakulär gute Erfolgsquote

Mit dem Projekt verfolgt Beckers eine Mission: „Ich habe mich schon immer geärgert, dass ein Großteil des Kapitals in Deutschland mit viel zu niedrigen Renditen angelegt wird. Das wollen wir ändern.“ Es ist eine mutige Ansage. Kann Beckers auch in diesem Markt etwas reißen? Der ist umkämpft. Branchenfremde Eindringlinge ohne etablierte Vertriebsstrukturen haben nicht unbedingt die besten Karten.

Andererseits hat Beckers immer wieder gezeigt, dass er Dinge, die er anfasst, zu Erfolgen macht – selbst wenn die Voraussetzungen nicht einfach sind. Hitfox zum Beispiel, sein bisher wichtigstes Projekt, ist mit einem Modell erfolgreich, das eigentlich als längst überholt gilt. Inkubatoren waren Anfang der 2010er-Jahre schwer in Mode, als große Namen wie Team Europe, Project A oder Rocket Internet auf das serienmäßige Gründen von Start-ups setzten. Keiner hielt lange durch. Team Europe gab ganz auf, Project A wechselte ins Venture-Capital-Business. Selbst bei Rocket Internet, wo man ab 2007 das Firmenbauen am Fließband perfektionierte, wird seit etwa 2015 kaum noch selbst gegründet: CEO Oliver Samwer hat sich fast vollständig aufs Investieren verlegt.

Zugegeben, das Hitfox-Firmenuniversum mit seinen insgesamt 1.200 Mitarbeitern nimmt sich klein aus gegen das, was Samwer über die Jahre aufgebaut hat: 42 000 Angestellte sind bei Rocket-Tochterfirmen beschäftigt. Dafür hat Beckers eine spektakulär gute Erfolgsquote. Sieben von zehn seiner Gründungen werden im Schnitt zu guten Wachstumsunternehmen. In der Start-up-Welt gilt sonst die Formel, dass neun von zehn Ideen scheitern. Was also macht Beckers anders, warum gelingt ihm, woran andere sich die Zähne ausbeißen?

„Der bleibt immer ruhig“

Einer, der darauf eine Antwort geben kann, ist Hendrik Krawinkel, seit den Hitfox-Anfangstagen einer von Beckers’ engsten Mitarbeitern und heute CFO der Gruppe. „Wir machen“, sagt Krawinkel, „eigentlich kein Company-Building, sondern Plattform-Building. Wir dringen viel tiefer in einzelne Branchen vor.“

Während andere Inkubatoren mal in E-Commerce, mal in Food, mal in Fintech machten, konzentrierte sich Hitfox auf drei klar abgegrenzte Industrien: erst Internetwerbung, dann Finanztechnologie, zuletzt digitale Gesundheit. Für jede dieser Branchen baute Beckers eigene Sub-Inkubatoren auf – am bekanntesten ist die Finanzplattform Finleap, die etwa die Solarisbank hervorgebracht hat, ein Fintech, das seine Banklizenz anderen Unternehmen leiht.

„Wir positionieren uns als Teil des jeweiligen Systems und kooperieren mit bestehenden Playern“, sagt Krawinkel. Auch das ist ein Unterschied zu Rocket Internet. Oliver Samwer hält den versammelten CEOs einer Handelskonferenz schon mal vor, sie lebten im Mittelalter und seien „zu alt, um das zu verstehen“. Solche Provokationen sind von Beckers nicht zu erwarten.

„Wir gehen alle Themen fundamental an“, sagt Krawinkel. „Wir haben immer alles so gebaut, als ob jedes Start-up mal ein Dax-Unternehmen wird.“ Das führt einerseits dazu, dass Hitfox sich in seinen Märkten auskennt und Geschäftsmodelle mit hoher Erfolgswahrscheinlichkeit auswählen kann. Zugleich wird man von erfahrenen Branchenkennern ernst genommen. So lassen sich Top- Manager wie der Ex-Telekom-Vorstand Roland Folz abwerben, der CEO der Solarisbank wurde. Bei Rocket dagegen glaubte man jahrelang, mit genug Feuer könnten auch 25-jährige BWL-Absolventen jede vorstellbare Branche knacken. Bei Beckers herrscht mehr Realismus – und weniger Jugendwahn.

Es ist aber auch eine Stilfrage. Von Samwer heißt es, er habe in hitzigen Phasen Gegenstände nach Mitarbeitern geworfen und Strichlisten darüber geführt, wer vor ein Uhr morgens das Büro verließ. Über Beckers sagen Wegbegleiter: Der wird nie laut. „Ich habe ihn noch nie aufbrausend erlebt“, sagt Krawinkel. „Der bleibt immer ruhig, behält den Blick für das große Ganze.“

Tatsächlich: Der Mann strahlt Ruhe aus. An einem Morgen im März empfängt Beckers zum Frühstück in seiner Dachgeschosswohnung am Berliner Spreeufer, es gibt Lachsbrötchen mit Meerrettich und probiotisches Müsli mit Nüssen.

Ihr Erfolgsgeheimnis, Herr Beckers? „Wir wollten nie den nächsten Quantencomputer erfinden“, sagt er. „Wenn wir das gemacht hätten, wären wir viel öfter gescheitert. Wenn man sich vornimmt, die nächste spannende Digitalbank zu machen, dann findet man da schon seinen Markt. Du musst nur ein bisschen besser und agiler sein als andere.“

Er macht die Clubs voll

Es klingt alles so einfach und logisch, wenn Beckers übers Business spricht. So muss sich die Welt für einen wie ihn anfühlen, der die Dinge selbst dann noch durch sein analytisches Raster betrachtet, wenn er über seinen eigenen Werdegang spricht.

Aufgewachsen ist Beckers in einem Münsteraner Vorort. In seiner Jugend beginnt er, sich für Wirtschaft zu interessieren, studiert BWL, ist nicht ausgelastet, setzt sich ein Ziel: „Ich wollte in Münster der erfolgreichste Partyveranstalter werden. Der strategische Weg dahin war, die Onlineplattform Studenta zu gründen.“ Dort stellt er die nächsten Feiertermine ein und rahmt sie mit Partybildern. „Das hat mir die Reichweite und Glaubwürdigkeit gegeben, den Plan umzusetzen.“ Vor allem nutzt Beckers Werkzeuge aus dem Onlinemarketing-Baukasten: Er sammelt Mail-Adressen und Handynummern, versendet Newsletter, während andere noch Flyer verteilen. Am Ende hat er sein Ziel erreicht. Dreimal pro Woche macht er die Clubs der Stadt voll.

„Das Feiergeschäft war begrenzt skalierbar“ – Jan Beckers

Aber das Feiergeschäft sei „begrenzt skalierbar“ gewesen, erinnert sich Beckers, der bald das Internet als „die große Opportunity“ erkennt. Er steht vor der Frage, sein Studium abzubrechen und loszugründen – oder es gewohnt strategisch anzugehen. „Lieber“, sagt er, „bereite ich mich perfekt vor und starte dann aus einer Position der Stärke heraus.“ Und das geht so: „Ich habe gesehen, dass mir das Netzwerk zu den Top-Tech-Mitstreitern fehlt. So kam ich darauf, dass es smart wäre, als strategischer Zwischenschritt Journalist in dem Feld zu werden.“

In Berlin betreibt damals der Spreadshirt-Gründer und StudiVZ- Investor Lukasz Gadowski einen kleinen Internetblog namens „Gründerszene“, der über die neue Welt der Netzunternehmen berichtet. Beckers schlägt Gadowski vor, sich um den Blog zu kümmern, unentgeltlich. Der sagt zu. Ab jetzt nennt sich Beckers Redakteur und klappert für ein Jahr die Startup-Events in Berlin ab. Er baut ein Netzwerk auf – und ein Vertrauensverhältnis zu Gadowski. Der hält große Stücke auf ihn, coacht ihn, mit seiner Hilfe (und seinem Geld) gründet Beckers die ersten drei Digitalunternehmen: Absolventa, Madvertise und Fyber. Alle drei werden später verkauft, zu zwei- und dreistelligen Millionenbeträgen.

Die Ideenfindungsphase, die erste Aufbauarbeit – das sind Beckers’ Stärken. Geht es um die Skalierung, das tagtägliche Management, überlässt er lieber anderen das Feld. „Jan ist nicht der Typ, der morgens um sieben kommt und um 23 Uhr abschließt“, sagt einer, der ihn seit Jahren kennt. „Er ist keiner, der die Company bis zum letzten Mitarbeiter aussteuert.“ Beckers ist eher der Trendscout, frei schwebend. „Er hat einen genialen Blick, um zu erkennen, wo welche Märkte stehen“, sagt Hendrik Krawinkel.

2011 plant Beckers seinen nächsten Coup: Hitfox, eine Plattform nach dem Vorbild des Dealportals Groupon, auf der Anbieter von Computerspielen virtuelle Güter wie Ausrüstungsgegenstände oder Spielwährung zu Rabattpreisen verkaufen können. Zwei Din-A4-Seiten reichen, um bei Investoren einen Millionenbetrag einzuwerben, in der jungen Berliner Gründerszene ist das Startup eine heiße Wette.

Nur: Es floppt. Die Gamingfirmen spielen nicht mit. Zweimal dreht Beckers das Geschäftsmodell, bis Hitfox endlich seine Marktlücke findet: Es schaltet Werbung für Spieleanbieter auf Facebook. Und als er 2012 in den aufkommenden Mobile-Spielen den noch interessanteren Werbemarkt entdeckt, gründet er dafür ein eigenes Start-up aus, das in der Folge noch rascher wächst. Der Company-Builder ist geboren.

2014, als noch kaum jemand vom Fintech-Hype redet, setzt Beckers dann als nächste Plattform Finleap auf. Im Werbemarkt werden damals Google und Facebook immer dominanter. Die Finanzbranche dagegen ist mit ihren regulatorischen Anforderungen viel komplizierter, „es bleibt daher viel mehr Platz für neue, Erfolg versprechende Startups“, glaubt Beckers. 2017 folgt mit Heartbeat Labs eine Plattform für digitale Gesundheit, die zum Beispiel einen Telemedizinservice hervorgebracht hat, ansonsten – wie der Gesamtmarkt – aber eher noch am Anfang steht.

Zeit für neue Klamotten

Beckers selbst hat sich über die Jahre weiter von der Frontlinie zurückgezogen. Im Dezember gab er schließlich den CEO-Posten bei Hitfox an den Ex-McKinsey-Berater Johannes Keienburg ab. Zuletzt hat das Unternehmen auch den Namen gewechselt, es nennt sich nun Ioniq. „Am Anfang haben wir eine Marke für die Spielebranche aufgebaut“, sagt Beckers. „Das ist nun nicht mehr unser Arbeitsfokus. Da wechselt man dann schon mal die Klamotten.“

Zumal wenn man unter die Vermögensverwalter geht. Seit Mitte 2018 ist Beckers in Sachen Fonds unterwegs, viel in den USA, aber vor allem in China. Das Land fasziniert ihn schon lange, 2008 war er zum ersten Mal dort auf einer Internetkonferenz, im letzten Jahr ist er vier-, fünfmal hinübergeflogen.

25 Mio. Euro hat Beckers selbst beigesteuert – damit er „skin in the game“ hat

Beckers’ Fokus sind schnell wachsende Internetunternehmen bis 30 Mrd. Dollar Marktkapitalisierung. Im Portfolio finden sich Titel, die höchstens Liebhaber kennen: die Softwarefirmen Twilio und Kingdee, das Smart-TV-Unternehmen Roku, der Telemedizinspezialist Teladoc. Um solche Firmen aufzuspüren, nutzt Beckers sein Netzwerk, sein Know-how, seine Erfahrung. Und andere Quellen. „Wir zahlen teilweise sechsstellige Euro-Beträge an Datenlieferanten“, verrät Beckers. Wer da liefert und um was für Daten es sich handelt, sagt er nicht – Geschäftsgeheimnis. Die Daten sollen aber „gute Rückschlüsse auf das Wachstum von Unternehmen fast in Echtzeit“ geben.

All das macht Beckers zuversichtlich. „Es gibt wenige, die wie ich seit 20 Jahren in Aktien investieren und gleichzeitig als Internetunternehmer aktiv waren, die China gut verstehen und regelmäßig im Silicon Valley sind.“ Bislang stecken in beiden Fonds zusammen überschaubare 50 Mio. Euro, aber es gab noch kein Marketing und kaum Vertrieb. Unter den Investoren, die ihm ihr Geld bereits anvertraut haben, sind Beckers’ Mentor Lukasz Gadowski sowie Maximilian Zimmerer, ehemaliger Investmentvorstand der Allianz. Ganze 25 Mio. Euro hat Beckers selbst aus seinem Privatvermögen beigesteuert – damit er „skin in the game“ hat, wie es im Startup-Sprech heißt.

Bei BIT Capital, so nennt sich die Fondsfirma, ist neben Beckers der Ex-Allianz-Global-Investors-Mann Oliver Clasen am Ruder, dazu ein vierköpfiges Analystenteam, das zum Teil in Hongkong sitzt. In sechs bis zwölf Monaten soll die Firma 100 Millionen Euro managen, in zweieinhalb bis fünf Jahren will Beckers die Milliardengrenze knacken.

Kann das aufgehen? „Auf jeden Fall“, sagt Beckers. „Ich war mir noch bei keinem anderen Unternehmen so sicher.“ Und das will was heißen bei der Vorgeschichte.

Dieser Text erschien zuerst in der Capital-Printausgabe 06/2019. Interesse an Capital? Hier geht es zum Abo-Shop, hier zur Digital-Ausgabe bei iTunes und GooglePlay.