180.000 Kunden, 4 Milliarden Einlagen: Der Fall der Frankfurter VTB
Die Finanzaufsicht Bafin steht „in engem Kontakt“ mit dem deutschen Ableger der russischen Bank VTB. Neue Konten eröffnet das Problem-Institut inzwischen keine mehr. Was sind die Hintergründe?
Dass der russische Präsident die Ukraine überfallen würde – das konnte (jedenfalls bis vor wenigen Wochen) niemand wissen. Allerdings: Dass eine russische Staatsbank unter dem expliziten Schutz der deutschen Einlagensicherung jahrelang (und bis gestern) die Spargelder deutscher Kunden aufsaugen durfte – das verwundert dann doch. Politisch. Moralisch (Krim-Annexion …). Aber auch unter betriebswirtschaftlichen Risikoaspekten.
Denn: Warum haben die deutschen Banken ihr Exposure gegenüber der russischen Wirtschaft einerseits jahrelang drastisch reduziert – während sie andererseits zuließen, dass die Frankfurter VTB Europe SE vor allem mit ihrer Endkundenmarke „VTB Direkt“ mehr als vier Milliarden Euro an überwiegend geschützten Einlagen einsammelte? Unterstützt unter anderem von der „Stiftung Warentest“, die die Putin-Bank noch Mitte vergangener Woche in ihren einschlägigen Rankings führte.
Nun lernt jeder Banken-Journalist schon im Volontariat, mit Begriffen wie „Moratorium“ (oder noch viel toxischeren Begriffen wie „Bank-Run“) sehr umsichtig umzugehen. Gleichwohl: Die Augen vor der Lage zu verschließen, ist ja auch keine Lösung. Zumal nachdem die europäischen Finanzaufseher gestern Morgen über die in Wien ansässige Sberbank Europe AG (also über die Europa-Tochter einer anderen russischen Großbank) bereits ein Moratorium verhängt haben.
Und nun? Die Bafin sagt, sie stünde „in engem Kontakt“ mit der Frankfurter VTB. Neue Konten eröffnet das Problem-Institut (siehe die News von gestern Nachmittag) inzwischen keine mehr. Wie ist der Fall gelagert, was steht auf dem Spiel, wem droht im Zweifel was – unsere Analyse:
Wer ist die VTB Bank?
- Die VTB Bank ist mit 247 Milliarden Euro Bilanzsumme die zweitgrößte börsennotierte russische Bank. Sie gehört zu 61 Prozent dem Staat
- Die VTB Bank (Europe) SE mit Sitz in Frankfurt ist die hiesige Tochter der VTB und wies zuletzt eine Bilanzsumme von 6,8 Milliarden Euro aus. Sie entstand in ihrer heutigen Struktur im Jahr 2017, als die österreichische VTB-Tochter und die französische auf die Frankfurter Entität verschmolzen wurden
- Die VTB Direktbank ist eine Zweigniederlassung der VTB Bank (Europe) SE und dient als Kunden-Frontend vor allem bei Sparprodukten
Was macht die VTB Bank (Europe) SE?
Die VTB Europe SE hat 210 Mitarbeiter, macht auf der Aktivseite kein Retailgeschäft (abgesehen von einem sehr nischigen, gemeinsam mit der Baader Bank betriebenen Robo-Advisor namens „VTB Invest“), sondern betreibt Handels- sowie Transportfinanzierung und bietet Kapitalmarktdienstleistungen für andere Banken an. Nähere Beschreibungen, Referenzkunden oder -projekte finden sich im Geschäftsbericht keine, sondern eher abstrakte Formulierungen („strukturierte Rohstoff-Finanzierungen speziell für Rohstoff-Produzenten“).
Um welche Summen geht es?
Die Bilanzsumme der VTB Europe SE betrug per Ende September 6,8 Milliarden Euro. Davon entfielen passivseitig 4,3 Milliarden Euro auf Kundeneinlagen, die sich weit überwiegend aus Tages- und Festgeld zusammensetzten. Konkret hat die Bank also rund zwei Drittel ihrer Bilanz über Einlagen refinanziert.
Noch genauer:
- Die täglich fälligen Einlagen beliefen sich auf 2,3 Milliarden Euro, …
- … diejenigen mit einer Laufzeit auf 1,9 Milliarden Euro
- Das Geld verteilte sich nach Unternehmensangaben auf rund 180.000 Kunden
Wie viele dieser Kunden aus Deutschland stammen, ist unklar. Allerdings: Das Vorläuferinstitut VTB Bank (Deutschland) AG – also die Einheit, auf die dann die französische und die österreichische VTB verschmolzen wurden – wies per Ende 2016 bereits Einlagen im Umfang von 2,8 Milliarden Euro auf. Angesichts der auch danach noch hohen Zinsangebote im deutschen Markt (für Festgeld flossen zuletzt 0,35-0,65 Prozent Zins p.a., für Tagesgeldkonto waren es 0,01 Prozent) dürfte die Summe seitdem eher gestiegen sein. Für die Frage der Haftung ist allerdings ohnehin unerheblich, ob es sich um „deutsches“, „österreichisches“ oder „französisches“ Geld handelt – denn für alle Spargelder ist der hiesige Einlagensicherungsfonds (ESF) zuständig.
Im jüngsten verfügbaren Geschäftsbericht für 2020 heißt es (in erstaunlicher Offenheit), „ein erheblicher Teil des Fremdkapitals“ bestehe „aus Mitteln, die im Rahmen der ESF-Garantie aufgenommen wurden“.
Warum stoppt die VTB Direkt die Neueröffnung von Konten?
Die Hintergründe der Maßnahme sind unklar. Ein Zusammenhang mit den Ereignissen in der Ukraine allerdings ist offensichtlich. So hatte das Handelsblatt am Wochenende berichtet, die Finanzaufseher hätten die Kontrolle über die westeuropäischen Töchter russischer Banken in den vergangenen Tagen intensiviert. Eine Bafin-Sprecherin bestätigte gegenüber Finanz-Szene.de, dass die Aufsicht momentan „in engem Kontakt zu der Bank“ stehe. Ob der Neukundenstopp auf Veranlassung der Bafin oder anderer Behörden wie etwa der Bundesbank erfolgte, wollte die Sprecherin nicht sagen.
Wie wird das Moratorium gegen die Wiener Sberbank begründet?
Die Entscheidung wurde gestern von der EZB-Bankenaufsicht (beziehungsweise dem „Single Resolution Board“) getroffen und von der österreichischen Finanzaufsicht FMA umgesetzt.
Zu der Entscheidung existieren mehrere offizielle Schriftstücke, wobei sich die wichtigste Passage im insgesamt neunseitigen „FMA-Mandatsbescheid“ findet (hier das PDF). Wir zitieren:
„Seit dem 24. Februar 2022 verschlechterte sich die Liquiditätslage des Instituts. Insbesondere die verhängten Sanktionen hatten Auswirkungen auf die Reputation, was zu einer Welle von Kontoabhebungen beim Institut führte. In Anbetracht der obigen Erwägungen wird die Ausübung der Befugnis zur Aussetzung bestimmter Verpflichtungen als notwendig erachtet, um eine weitere Verschlechterung der Finanzlage des Instituts zu vermeiden.“
Sprich: Zwar wird das Moratorium mit den Sanktionen begründet. Allerdings nicht mit den Sanktionen direkt. Sondern mit dem mit den Sanktionen einhergehenden Reputationsschaden, der wiederum zu „einer Welle von Kontoabhebungen“ geführt habe – also vulgo: zu einem Bank-Run oder wenigstens zu den Anfängen eines möglichen Bank-Runs.
Was lässt sich aus dem „Fall Sberbank“ für den „Fall VTB“ lernen?
Wichtig: Über ein etwaiges Moratorium gegen die VTB Bank (Europe) SE ist bislang nichts bekannt. Das heißt: Bestandskunden, die nicht unter die westlichen Sanktionen fallen, können über ihre Einlagen weiterhin verfügen, wie eine Bafin-Sprecherin gestern Nachmittag uns gegenüber klarstellte.
Was man dazu wiederum wissen muss: Ein Moratorium dient im Kern dem Ziel, im Falle einer zu befürchtenden Schieflage den unkontrollierten Abfluss von Geldern zu verhindern. Auch in Bezug auf die Frankfurter VTB würde es im Falle eines möglichen Moratoriums also darum gehen, einen möglichen „Bank Run“ zu stoppen bzw. einem solchen vorzubeugen. Im Mittelpunkt steht in solchen Fällen, die Bank selber und ihre Gläubiger (also bei stark retailgefundeten Banken die Einleger) zu schützen.
Dass gegen die VTB Bank (Europe) SE – jedenfalls bislang – kein Moratorium verhängt wurde, heißt also: Der Fall ist anders gelagert als der „Fall Sberbank“. Die Aufseher befürchteten zumindest bis gestern Abend keine Schieflage. Das wiederum könnte auf dreierlei hindeuten:
– Die Abflüsse halten sich in Grenzen, es gibt also anders als bei der Sberbank (noch) keine „Welle von Kontoabhebungen“
– Die Liquiditätslage ist insgesamt weniger angespannt als bei der Sberbank. Das könnte passivseitig daran liegen, dass sich z.B. die Festgelder ja gar nicht taggleich abrufen lassen …
– … und aktivseitig könnte es daran liegen, dass die VTB Bank (Europe) SE möglicherweise über mehr liquide oder liquidierbare Assets verfügt/e als die Sberbank Europe
Was wissen wir über die allgemeine Konstitution der VTB Europe?
Die Fälle, in denen in den letzten 10-15 Jahren Moratorien über deutsche Banken verhängt wurden, haben verkürzt gesagt fast alle eines gemeinsam: Die Probleme lagen fast immer auf der Aktivseite – nicht auf der Passivseite.
– Bei der Greensill Bank etwa gab es massive Zweifel an der Werthaltigkeit (bzw.: der schieren Existenz) der Vermögenswerte
– Bei der Maple Bank wurde befürchtet, dass steuerliche Vermögenswerte (Cum-Ex …) wegbrechen könnten
– Bei der deutschen Lehman bestand die Aktivseite in beträchtlichem Maße aus Forderungen gegen die leckgeschlagene amerikanische Mutter
Es ging also darum, ein unkontrolliertes Übergreifen der aktivseitigen Probleme auf die Passivseite zu verhindern.
Der Fall der Sberbank ist, jedenfalls ausweislich der weiter oben zitierten Begründung, anders gelagert. Die Liquiditätslage hat sich „insbesondere“ deshalb verschlechtert, weil es infolge von Reputationsschäden zu „einer Welle von Kontoabhebungen“ gekommen ist, heißt es. Mit der Aktivseite hat diese Problemschreibung gar nichts zu tun.
Und bei der VTB Bank (Europe) SE?
Schauen wir auf die jüngsten Geschäftsergebnisse, so finden sich auch dort keine Hinweise auf tiefgreifende Probleme auf der Aktivseite. Die nackten Kennziffern machen im Gegenteil ein guten Eindruck. So wies das Institut m Jahr 2019 eine extrem niedrige Cost-Income-Ratio von 36 Prozent bei zugleich 10,2 Prozent Eigenkapitalrendite aus. Selbst im Corona-Jahr 2020 reichte es noch zu einer Rendite von 4,5 Prozent. Laut untestierten Zwischenberichten haben sich die Ertragskennzahlen 2021 sogar wieder deutlich verbessert. Auf Neunmonats-Basis soll bis zum Q3/2021 ein Reingewinn von 52 Millionen Euro bei 35 Prozent Cost-Income-Ratio erwirtschaftet worden sein. Die Kernkapitalquote lag zuletzt bei 16,7 Prozent, die Gesamtkapitalquote bei 20,3 Prozent.
Aus den Geschäftsberichten lässt sich zwar (siehe oben) grob ablesen, was die Frankfurter VTB macht. Aber es bleibt unklar, mit wem sie es macht. Hat sie in ihrem Finanzierungsgeschäft einen starken Russland-Fokus? Sind ihre Investmentbanking-Kunden russische Banken oder Banken, die stark in Russland engagiert sind? Dann könnte die Aktivseite unter den Sanktionen stark leiden. Sollte dies nicht der Fall sein, wären die potenziellen Problem hingegen eher auf der Passivseite zu suchen.
Und, der letzte unklare Punkt: Ist Liquidität noch der Verhängung der Sanktionen gen Russland abgeflossen? Die Aufseher, so heißt es, hätten die VTB Bank (Europe) SE auch schon vor der Zuspitzung der Ereignisse in der Ukraine relativ eng gemonitored. Aktenkunding ist auch, dass die Bafin im Oktober einen Sonderbeauftragten in die Bank entsandt hat, der die angeordneten interner Sicherungsmaßnahmen zur Prävention von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung überwachen soll. Wie das Handelsblatt am Wochenende schrieb, wurde die Überwachung on Töchtern russischer Großbanken in der EU zuletzt sogar noch einmal deutlich „intensiviert“, um zu verhindern, „dass Finanzmittel nach Russland transferiert werden“.
Dass zumindest bis gestern kein Moratorium über die VTB Bank (Europe) SE verhängt wurde, könnte auch in dieser Hinsicht ein gutes Zeichen sein.
Wer müsste im Falle etwaiger Probleme einstehen?
Als deutsches Geldinstitut ist die VTB Bank (Europe) SE automatisch Mitglied der gesetzlichen Einlagensicherung. Hierdurch sind Spareinlagen bis zu 100.000 Euro je Kunde „gesetzlich“ geschützt. Die Haftungsgarantie übernehmen wie schon zuletzt im „Fall Greensill“ die privaten Banken hierzulande.
Darüber hinaus gehört die VTB Bank (Europe) SE auch dem Einlagensicherungsfonds des privaten Bankenverbands an. Das heißt, der Schutzumfang geht über besagte 100.000 Euro je Kunden weit hinaus – und beläuft maximal 15 Prozent des haftenden Eigenkapitals der Bank. Bei einem haftenden Eigenkapital von zuletzt rund 1,1 Milliarden Euro wird die Sicherungsgrenze je Kunden aktuell vom Einlagensicherungsfonds mit 167 Millionen Euro je Kunde angegeben.
Im Falle normaler Retailkunde wirkt dieser Betrag absurd. Im Fall der Greensill-Bank-Pleite im vergangenen Jahr zeigte sich allerdings, dass die Maximalsumme im Falle etlicher institutioneller Einleger sehr wohl materiell war. So betrug die Sicherungsgrenze 75 Millionen Euro – und 75 Millionen Euro hatte beispielsweise die verstaatlichte Hypo Real Estate bei der Greensill Bank deponierte und zoffte sich anschließend mit dem Bankenverband juristisch um die Entschädigungssumme.
Was es aber noch einmal klarzustellen gilt: Ein Moratorium würde nicht automatisch einen Entschädigungsfall auslösen. Und selbst im Entschädigungsfall müsste der Bankenverband (und damit die privaten deutschen Banken) nicht zwingend auf Verlusten sitzen bleiben. Solange die Vermögenswerte (anders als bei der Greensill Bank) auf der Aktivseite einigermaßen werthaltig sind, bestünde selbst bei einer Entschädigung die Aussicht, dass der BdB das Geld, dass er den geschädigten Sparern überweisen müsste, über ein Insolvenverfahren zurückkriegt.
Spielen die besonderen Umstände (also der Kriegsfall) eigentlich irgendeine Rolle?
Aus unserer laienjuristischen Sicht enthält das im „Entschädigungsfall“ maßgebliche Einlagensicherungsgesetz einen interessanten Paragrafen – und zwar den mit der Nummer 15, der einen möglichen „Ausschluss, Aufschub und Aussetzung der Entschädigung“ regelt.
In Absatz 3 heißt es dazu: „Die Erfüllung des Entschädigungsanspruchs kann ausgesetzt werden, wenn (…)“
– die Einlage restriktiven Maßnahmen unterliegt, die von einer zuständigen deutschen Behörde oder der Europäischen Union oder von einem anderen Staat oder einer internationalen Organisation verhängt worden sind und die für die Bundesrepublik Deutschland rechtlich verbindlich sind (…)
– Tatsachen darauf hindeuten, dass der Entschädigungsanspruch sich auf Vermögenswerte bezieht, die im Zusammenhang mit Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung stehen und aus diesem Grund ein Ermittlungsverfahren gegen Personen eingeleitet worden ist, bis zur Beendigung dieses Verfahrens.