Die Fintech-Szene in Deutschland versammelt sich größtenteils in Berlin (Bild: Claudio Schwarz/Unsplash)

Was in 2022 auf die deutsche Fintech-Branche zukommt

Für die deutsche Fintech-Szene war 2021 ein ganz besonderes Jahr, ob in Sachen Innovation oder Fundingvolumen. Wie wird das kommende Jahr? Fünf Fintech-Thesen für 2022.

Trade Republic könne das neue N26 werden, hieß es vor genau einem Jahr im Jahresausblick für 2021 von Finanz-Szene. Zugegeben, diese Prognose zu dem Zeitpunkt aufzustellen – das erforderte ungefähr so viel Knowhow wie die Prognose, dass der FC Bayern mal wieder Deutscher Meister werden würde. Dass dagegen beispielsweise Mambu zum Einhorn mutiert, das hatten wir nicht auf dem Zettel. Und hatten es auch nicht für möglich gehalten, dass es am Ende dieses verrückten Jahres insgesamt sogar (je nach Zählweise) sieben bis neun deutsche Fintech-Unicorns geben würden.

Und in der Tat: Wenn man, wie man das gen Jahresende ja immer macht, einfach mal kurz innehält und auf die deutsche Fintech-Branche blickt – dann meint man einen 14-Jährigen zu sehen, der unvermittelt ein paar Klassen übersprungen hat und stolz mit dem Abitur wedelt. Was nun allerdings das Leben auch lehrt: Nicht jedes Wunderkind kommt später in der Erwachsenenwelt zurecht. Und so haben sich in unseren Jahresausblick ein paar skeptische Töne eingeschlichen.

1. Immer mehr Gründer suchen den Ausgang

Sechs Jahre ist es her, dass der Startup-Investor Carsten Maschmeyer sich zu folgender Prognose hinreißen ließ: „Ich bin überzeugt: So wie es bei den Banken ein Filialsterben gibt, wird es auch ein Fintech-Sterben geben.“ 90 Prozent würden nicht überleben, lautete seine Prognose. Eine Einschätzung, die damals etliche Marktteilnehmer teilten.

Es ist anders gekommen. Gestorben sind in den letzten Jahren allenfalls zwei bis drei Handvoll ernstzunehmende Fintech – der große Rest ist entweder putzmunter oder wenigstens mehr oder weniger lebendig.

Die große Umwälzung des deutschen Fintech-Marktes hat trotzdem begonnen. Allerdings anders als gedacht. Die Gründer reiten ihre Fintechs nicht in die Pleite. Sondern in den Exit. Klar, manche Deals sind von überschaubarer Größe (siehe den Verkauf des Robo Advisors Growney an Lloyd Fonds) – und bei manchen fließt weniger Geld zurück, als in den Jahren des Aufbaus in die Unternehmen hineingeflossen ist (siehe den Verkauf des Kreditportals Fincompare an die Volksbanken).

Indes: Um immerhin zweistellige Millionenbeträge geht es selbst in solchen Fällen. Und andere Exits sind selbstverständlich deutlich größer oder wenigstens lukrativer. Siehe etwa den KYC-Spezialisten WebID oder den Finanz-Software-Anbieter Fintus, die beide von Finanzinvestoren geschluckt wurden. Oder den Verkauf von Stocard an Klarna. Oder den Verkauf von FintecSystems an Tink. Bei den beiden letztgenannten Exits war das Kalkül von Management und Altinvestoren denkbar simpel. Man griff die angebotenen 110 beziehungsweise 120 Millionen Euro dankbar ab und gab im Gegenzug die Eigenständigkeit auf.

Vieles spricht dafür, dass sich der Trend zum Ausverkauf 2022 sogar noch beschleunigen könnte. Nie war der Verkaufsmarkt besser: Private Equity steht Schlange, auch unter Wettbewerbern gibt es Käufer (siehe die Finanzcheck-Übernahme durch Smava), ein Player wie Klarna befindet sich geradezu im Kaufrausch, während etablierte Strategen wie Visa, Mastercard oder Paypal anstandslos Milliarden auf den Tisch legen, wenn es sein muss.

Die alte Formel aus dem Payment-Markt – kaufen oder gekauft werden – schwappt gerade auf den restlichen Fintech-Markt über. Große Spieler wie Scalable Capital oder die Solarisbank tätigen gerade erste Übernahmen, N26 sucht gerade per Stellenausschreibung einen M&A-Beauftragten.

Dazu passt, dass nach Informationen von Finance Forward und Finanz-Szene gerade in mehreren bekannten deutschen Finanz-Startups ein möglicher Verkauf diskutiert wird; teils sind sogar schon Investmentbanken mandatiert. Das Momentum ist da, selbst da, wo operative Geschäft nicht wirklich gut läuft.

Erstaunlicherweise spielen die deutschen Banken in dem Prozess bislang keine große Rolle dabei. Die Deutsche Bank kaufte für eine sehr überschaubare Summe das Berliner Fintech Better Payment, die Volksbanken (siehe oben) schnappten sich für 15 Millionen Euro Fincompare. Sonst war da nicht viel im zu Ende gehenden Jahr.

2. Erst Unicorn – und jetzt Börsengang

Mag sein, dass wir uns verzählt haben. Aber wenn nicht, dann sind in diesem Jahr nicht weniger als fünf deutsche Fintechs zum Unicorn aufgestiegen, nämlich Trade Republic, Mambu, die Solarisbank, RaisinDS und Scalable Capital (N26 und Wefox waren es ja vorher schon, während man SumUp mangels offizieller Bewertung vielleicht als „inoffizielles Einhorn“ bezeichnen sollte).

Jedenfalls: Dem Jahr der großen Funding-Runden dürfte nun das Jahr der großen Börsengänge folgen. Die beiden Groß-Fintechs mit Banklizenz, nämlich die Solarisbank und N26, könnten den Anfang machen, Solaris hat den IPO für 2022 offiziell angekündigt, beim Berliner Stadtrivalen hat das Management zumindest intern den Weg an die Börse vorgegeben. Bleibe das Börsenklima stabil, erwarte er mehrere Fintech-Börsengänge aus Europa heraus, sagt Barbod Namini, Partner von HV Capital. Viele Finanz-Startups hätten die nötige Reife erreicht.

Was es nicht unbedingt leichter macht: Für die wichtigen Kategorie gibt es globale Vorreiter, die bereits börsennotiert sind und deren aktuellen Zahlen sich dummerweise neben den Börsenprospekt der Anwärter legen lassen. Im Neobanking Nubank, im Neobrokerage Robinhood im Krypto-Bereich Coinbase. Bleibt zu hoffen, dass die Zahlenwerke hiesiger IPO-Kandidaten vor diesem Hintergrund nicht verblassen. Seine Performance auf einer Roadshow zu verteidigen, das ist jedenfalls etwas anderes, als dies vor einem wohlwollenden Beirat zu tun.

3. Funktionieren Konto und Karte auch bei Firmenkunden?

Das meiste Geld floß auch 2021 wieder in jene Fintechs, die es schaffen, Millionen von Endkunden direkt zu addressieren. Die Protobeispiele hierzulande, klar: N26 und Trade Republic. Daneben floss aber auch viel Geld in solche Fintechs, die die typischen Neobanken-Produkte (nämlich Konto und Karte) nicht für Retailkunden, sondern für Selbständige, Gewerbebetriebe oder KMUs offerieren.

Dabei erstaunt, dass sich die Investorengelder über vergleichsweise viele Player verteilen. Denn, zugegeben …

– Kontist (Konto- und Steuerlösungen für Freelancer) hat eine andere Zielgruppe und einen anderen Ansatz als Penta (Bankdienstleistungen für GmbHs), …

– … Moss (Firmenkunden-Kreditkarten) adressiert eine etwas andere Klientel als das Pendant Pliant …

– … und wer nicht primär über die Karte kommt, sondern eher übers Ausgabenmanagement wie Spendesk oder Pleo, hat seinen Investoren wiederum eine andere Story zu erzählen …

… und doch: Am Ende sind die genannten Player (und weitere wie Qonto, Payhawk oder Soldo) dann doch zumindest entfernt miteinander verwandt und umgarnen Zielgruppen, die sich zumindest ähneln. Sind für all diese Fintechs am Ende überhaupt genügend Kunden da?

2021 ist das Investorengeld fast von selbst geflossen. Doch wird das 2022 so bleiben? Was in diesem Kontext zu denken geben sollte, das ist die Story, die Hinnerk Rott, Gründer des gescheiterten Berliner Fintechs Bettercard (ein Player wie Moss, halt nur ohne Funding …) kürzlich im FinanceFWD-Podcast erzählt hat: Bei der Kunden-Akquise hätten manche der angesprochenen Firmenkunden fast schon genervt reagiert. Was, noch einer, der uns eine Kreditkarte verkaufen will?

4. Der Krypto-Hype fängt gerade erst an – oder?

Hätte einem vor zwei bis drei Jahren auch keiner geglaubt. Dass es Ende 2021 in der DACH-Region ein Multi-Milliarden-Brokerage-Fintech (Trade Republic) und ein Multi-Milliarden-Krypto-Trading-Fintech (Bitpanda) geben würde. Verrückte Zeiten.

Nun bleibt natürlich abzuwarten (siehe auch unseren gestrigen Banken-Ausblick), wie sich die Trade Republics und Smartbrokers entwickeln, wenn die Aktienmärkte mal über einen längeren Zeitraum lahmen sollten. Wobei: Sehr viel von dem neuen Trading-Geld fließt ja gar nicht in kurzfristige Zockereien, sondern in kostengünstige ETF-Sparpläne. Das spricht für eine gewisse Nachhaltigkeit. Was ebenfalls dafür spricht, dass sich Trade Republic und Co. dauerhaft etablieren: Bislang leben die Neobroker ja stark von Kunden, die erstmals überhaupt in Wertpapiere investieren. Auf mittlere und lange Sicht schielt Trade Republic aber auch auf die Kunden, die bislang noch über klassische Banken oder Online-Broker handeln. Das ist nicht die Klientel, die sich beim erstbesten Crash gleich wieder verabschiedet.

Einerseits ungewisser, aber andererseits auch mit noch mehr Fantasie versehen ist das Krypto-Trading. Die digitalen Währungen waren zwischenzeitlich ja auch schon mal fast totgesagt, kamen aber wieder – und gut möglich, dass sie bleiben. Unsere News, dass die Sparkassen an einem Krypto-Wallet arbeiten, hat die deutsche Finanzbranche jedenfalls elektrisiert. Zwei große Trends zeichnen sich ab:

– Zum einen könnte sich der Handel mit digitalen Währungen im Massenmarkt etablieren, wenn nicht über die Sparkassen oder andere klassische Banken, dann ja möglicherweise über Paypal

– Zum anderen startet eine zweite Generation an Krypto-Unternehmen mit vielversprechenden Ansätzen – auch aus Berlin heraus, etwa Finoa (Verwahrung) oder Unstoppable Finance (Krypto-Anlage, Defi)

5. Neue Fintech-Kohorte muss liefern

Hat es schon mal eine bessere Zeit gegeben, um ein Fintech zu gründen, als 2021. Gerade Teams mit etwas Erfahrung wurden mit Geld schier überhäuft – nicht nur von deutschen Angels, sondern auch von internationalen Top-Investoren. Zu den Newcomern zählen beispielsweise Mondu oder Topi. Beide wollen den Payment-Umbruch in die Geschäftswelt bringen. Dort ist auch Billie unterwegs. In diesem Markt wird sich im kommenden Jahr viel bewegen.

Auch andere Themen stehen am Scheideweg: Gelingt der Durchbruch oder nicht? Zum Beispiel: Embedded Finance. Werden künftig tatsächlich Anbieter aus finanzfremden Branchen, Fintech-Features integrieren? Etwa eine Kreditkarte vom Lieferdienst Gorillas? Die Female-Finance-Startups müssen derweil zeigen, dass sie es schaffen, Frauen mit speziellen Investment-Apps anzusprechen. Das Vorschuss-VC-Geld wurde überwiesen, nun müssen die Fintechs liefern. Die Latte liegt hoch, denn im guten Funding-Klima haben viele Newcomer zu vergleichsweise hohen Bewertungen Geld eingesammelt.