Verschiedene Anwendungen in einer übergreifenden App verbunden (Bild: Endava)

Aufstieg der Super-Apps: Wie Banken mithalten können

Super-Apps gehören in China schon zum Alltag und verbreiten sich schnell in Schwellenmärkten wie Südostasien, Indien und Südamerika. Aber was ist eine Super-App? Und lässt sich dasselbe Modell auf Europa übertragen?

Einfach ausgedrückt ist eine Super-App eine App, die viele verschiedene Anwendungen in einer übergreifenden App verbindet und eine einheitliche Plattform bereitstellt, um auf eine breite Palette von Produkten und Services zuzugreifen. Sie bietet ein Ökosystem von vollständig in die Plattform integrierten Services von Drittanbietern – begleitet von einem Zahlungssystem und einer nahtlosen User Experience.

Als erstes fällt einem direkt die chinesische Super-App WeChat ein, die als Messaging-Plattform gestartet ist und sich mittlerweile zu einer „Lifestyle“-Super-App mit über 1,2 Milliarden Usern und mehr als einer Million Services entwickelt hat, die über Mini-Apps in das WeChat-Ökosystem integriert sind. Nutzer können mit der App bezahlen, ein Taxi rufen, Kinokarten kaufen, Essen bestellen, Rechnungen von Versorgern bezahlen, Hotels buchen, Geld senden und vieles mehr. Im Grunde können sie ihr gesamtes Leben mit einer einzigen App auf ihrem Telefon von der Handfläche aus verwalten. In China machen WeChat und Alipay mehr als 90 Prozent der digitalen Zahlungen aus.

Andere bekannte Super-Apps sind Gojek (Indonesien), Grab (Südostasien), Zalo (Vietnam), Paytm (Indien) und Mercado Libre (Lateinamerika). Wie WeChat und Alipay wurden sie alle ursprünglich als Single-Service-App mit Zahlungsintegration (meistens in Form eines Wallet in der App) gebaut und dann durch die Einbindung einer Vielzahl unabhängiger Services weiterentwickelt, als die Nutzerbasis gewachsen ist und weitere Daten verfügbar wurden. Das Wallet-Feature der App ermöglicht das Sammeln genauer Transaktionsdaten, was sehr wertvoll ist, wenn es darum geht, die Wachstumsstrategie für die App zu festzulegen.

Super-Apps: Asien-Pazifik-Raum vs. Europa

Im Asien-Pazifik-Raum sind die Schwellenländer vom Vor-Internet-Zeitalter direkt ins mobile Zeitalter übergegangen, während die westlichen Märkte dazwischen das PC-Zeitalter hatten, was die Notwendigkeit der Einführung von Super-Apps verzögert hat. In Schwellenmärkten sind Mobiltelefone günstiger und verfügen über weniger Speicher- und Datenkapazität, weshalb der Download einer einzigen App, die mehrere Apps in sich vereint und nahezu alles erledigen kann, effizienter ist – Super-Apps haben sich dieser Herausforderung angenommen. Das Mindset dahinter konzentriert sich auf komplette Ökosysteme statt auf Apps für einen einzigen Zweck, was besser zu den Bedürfnissen ihrer Nutzer und des Markts passt. Convenience war ein weiterer Antrieb für Super-Apps: eine App, eine Anmeldung, eine Authentifizierung und eine einheitliche User Experience.

In Europa wird die Verheißung einer einzigen Super-App als dominantem Player am Markt zu wettbewerbsrechtlichen Bedenken führen. Die Regulierung in Sachen Wettbewerbs- und Datenschutzrecht macht es schwieriger, Super-Apps auf dieselbe Weise zu entwickeln, da sie vom Zugang zu Big Data abhängig sind. Die Apps sind nicht so fortgeschritten wie im Asien-Pazifik-Raum, aber vielleicht müssen sie in den reifen westlichen Märkten auch gar nicht für jeden alles sein, zumindest nicht sofort. Man könnte argumentieren, dass viele Menschen immer noch zufrieden mit ihren nativen Banking- und Shopping-Apps sind und es vielleicht gar nicht so eilig haben, zu wechseln. Allerdings mischen jetzt Finfechs den Super-App-Markt auf, indem sie Finanz- und Lifestyle-Services bündeln und es Nutzern ermöglichen, alles aus einer Hand zu erledigen. Revolut, Klarna, Paypal und Affirm haben alle bereits ihre Version einer „Super-App“ herausgebracht, aber wir stehen noch am Anfang.

Um in Europa erfolgreich zu sein, muss eine Super-App sich auf Zahlungen spezialisieren, kundenorientiert sein und die gesamte Customer Journey abdecken. Das bedeutet, dass sie sowohl die Bedürfnisse der Kunden erfüllen sollte als auch die der Unternehmen, die die Produkte und Services anbieten – ein insgesamt gutes Serviceniveau wird schließlich für einen Netzwerkeffekt sorgen. Eine Super-App sollte zudem auch flexibel genug sein, dass sie diesen Unternehmen helfen kann, mit der Kundennachfrage Schritt zu halten.

Können Banken im Super-App-Bereich konkurrieren?

Die wichtigsten Bestandteile einer Super-App sind eine große Nutzerbasis, soziale Interaktion, ein Marktplatz-Ökosystem, Big Data – oder genauer gesagt „Smart Data“ –, Zahlungsintegration und die Fähigkeit, die individuellen Finanz- und Lifestyle-Bedürfnisse einer Person im Rahmen einer komfortablen und nahtlosen User Experience zu befriedigen. Banken besitzen alle Zutaten, um konkurrieren zu können, aber das bringt wiederum ganz eigene Herausforderungen mit sich und Banken werden ihre Geschäftsmodelle überdenken, sich Smart Data zu eigen machen und in den Aufbau von Ökosystemen investieren müssen.

Hier sind vier Dinge, die Banken beachten sollten, bevor sie in den Super-App-Bereich einsteigen:

Strategie und Geschäftsmodell:

Banken sollten zuerst ihre Strategie für den Markteintritt und ihr Geschäftsmodell festlegen. Einige Optionen sind dabei:

– Eine eigene Super-App entwickeln – idealerweise sollte man mit Banking- und Finanz-Services anfangen und später nicht-finanzielle Services als Teil der längerfristigen Strategie hinzufügen.

– Banking as a Service (BaaS) für bestehende Super-Apps anbieten und als Wegbereiter Teil des Ökosystems werden.

– Den Weg der Akquisition gehen.

Unabhängig von der gewählten Strategie ist es wichtig, eine Entscheidung zu treffen und mit der Planung anzufangen, bevor es zu spät ist.

Open Banking und APIs:

Banken steht eine enorme Menge an Daten zur Verfügung und Open Banking eröffnet Banken eine gute Möglichkeit, beim Super-App-Spiel durch sicheren Zugang zu Daten sowie durch deren Nutzung und Weitergabe mitzumachen. Sie können bei der Entwicklung von Super-Apps eine Führungsrolle übernehmen, wenn sie Open-Banking-Frameworks und Programmierschnittstellen (APIs) nutzen, um ein Ökosystem verschiedener Branchenprodukte und -services in einer einzigen App zusammenzubringen. Dank Open Banking können Super-Apps die Finanzdaten der Kunden von mehreren Banken in einer Plattform nutzen, mit vollständigem Überblick über alle Bankkonten und die jeweiligen Ausgaben – alles in einer App.

Daten und Analytics:

Banken werden in neue Technologien investieren und sowohl ihr Datenmanagement als auch ihre Analysefähigkeiten verbessern müssen, um mit Super-Apps konkurrieren zu können. Mit Technologien wie Predictive Analytics, künstlicher Intelligenz (KI), Machine Learning und Echtzeit-Metriken kann die Hyper-Personalisierung von Produkt- und Loyalty-Angeboten vereinfacht werden. Kunden können mit intelligenten Budget- und Analytics-Tools die volle Kontrolle über ihre Finanzen übernehmen. Diese Tools berechnen personalisierte Produktangebote basierend auf dem vorhergesagten Ausgabeverhalten, inklusive Benachrichtigungen in Echtzeit, um den Überblick über die Ausgaben zu behalten.

Martplatz-Ökosystem:

Super-Apps sind aus den sich verändernden Bedürfnissen der Kunden im Hinblick auf Komfort, Effizienz und nahtlose Erlebnisse entstanden. Damit eine Super-App attraktiv ist, muss ein ganzes Ökosystem von Drittanbieter-Services vollständig in die Plattform integriert sein, also die Integration zahlreicher Mini-Apps oder Services, die vielfältige Kundenerlebnisse bieten – alles unter einem Dach. Das Ökosystem ist es, was eine Super-App erst „super“ macht, und die Qualität einer Bank wird nach der Qualität des Ökosystems, der APIs und der Nahtlosigkeit der Integrationen beurteilt werden.

Fazit

Kunden wollen den Komfort und die Einfachheit, die Super-Apps bieten können. Aber um das Vertrauen und die Loyalität der Nutzer zu gewinnen, müssen Super-Apps praktisch, attraktiv und intuitiv sein, mit personalisierten Services und Bonusprogrammen zur Förderung der Markentreue. Momentan tuckert der Super-App-Zug noch vor sich hin – die Hochgeschwindigkeitsgleise noch in weiter Ferne. In dieser Situation werden diejenigen das Rennen machen, die die Vorteile von Open Banking nutzen, um Smart Data durch intelligente Analytics-Lösungen nutzbar zu machen. Das, plus das Anbieten nahtloser und zielgerichteter personalisierter Erlebnisse für Kunden genau zu der Zeit, wenn sie sie brauchen, wäre ein Erfolgsrezept.

In Europa werden sich Super-Apps langsamer entwickeln als im Asien-Pazifik-Raum, aber sie werden ihren Zweck besser erfüllen können, wenn sie sich weiterhin auf bestimmte Branchen konzentrieren und sich an die lokalen Marktprioritäten und Kundenbedürfnisse anpassen – möglicherweise mit einem Hybridmodell, das initial branchenspezifisch ist (zum Beispiel Super-Apps für Finanzen, Shopping, Gesundheit, Reisen etc.) und später wird eine langfristige Strategie entwickelt, um horizontal zu expandieren, wenn Nutzung und Nachfrage steigen.

Banken sind mit ihrem erheblichen Kundenstamm, den enormen Datenmengen, Open-Banking-Frameworks und APIs gut aufgestellt, um in der Super-App-Arena zu konkurrieren. Aber sie müssen in Innovationen investieren und ihre Geschäftsmodelle überprüfen, um relevant zu bleiben und einen Wettbewerbsvorteil zu erlangen. Allumfassende Super-Apps werden vielleicht nächstes Jahr noch keine Realität sein. Es ist aber vorstellbar, dass in den kommenden zehn Jahren, wenn Open Banking sich ausweitet zu Open Finance und Open Data, Super-Apps auch in Europa zu Lifestyle-Apps weiterentwickelt werden.

Annmarie Mahabir ist Principal Industry Consultant von endava.