Ist der E-Euro wirklich eine Alternative?
Erst mit Giro- und Kreditkarte, dann mit PayPal und Bitcoin, in Zukunft mit der Facebook-Währung Libra – weltweit zahlen Menschen öfter digital. Das untergräbt die Macht der Geschäfts- und Zentralbanken. Einige Zentralbanken planen daher ihre eigenen Digitalwährungen. Nur: Kann das funktionieren?
Nachdem die Facebook-Währung Libra Aufsichtsbehörden weltweit in Schrecken versetzt hat, diskutiert die Finanzbranche fleißig Alternativen. Der Bankenverband lädt am Mittwoch zu einem Pressegespräch mit dem Titel: „Jenseits von Libra – die Wirtschaft braucht einen digitalen Euro!“ ein.
Bereits im September sagte EZB-Direktoriumsmitglied Yves Mersch auf einer Konferenz : „Ich hoffe aufrichtig, dass die Menschen in Europa nicht versucht sind, die Sicherheit und Solidität etablierter Zahlungslösungen zugunsten der verführerischen, aber verräterischen Versprechungen des Sirenenrufs von Facebook hinter sich zu lassen.“ Doch er gab auch zu: Die Haltung der Zentralbanken gegenüber modernen Geldformen wird sich mit der Zeit weiterentwickeln.
Der Grund ist simpel: Es gibt mehr Alternativen zu traditionellem Geld, vor allem digitale – zum Beispiel Stablecoins, wie Facebooks Libra oder stabile Kryptowährungen. Und je mehr Menschen diese Alternativen nutzen, desto weniger können die Zentralbanken die Geldwirtschaft mit ihren Mitteln regulieren. Ihnen geht quasi das Geld aus.
Zentralbanken bereiten daher ihre eigenen Digitalwährungen vor. Von Schweden bis Singapur planen die Zentralbanken schon, die chinesische Zentralbank will angeblich bald eine digitale Version des Renminbi auf den Markt bringen, bei der Europäische Zentralbank (EZB) hat man wenigstens schon einmal darüber geredet. Aber brauchen wir digitale Zentralbankwährungen wirklich? Und wären sie im Vergleich besser als Libra und andere private Anbieter?
In der Tat ist die Angst der Zentralbanker vor alternativen Währungen nicht ganz unbegründet. Man denke an die Geldpolitik, über deren Effektivität in den vergangenen Jahren so oft gestritten wurde. Momentan funktioniert sie wie folgt: Zentralbanken wie die EZB leihen den Geschäftsbanken Zentralbankgeld zu einem festgelegten Zinssatz. Der bestimmt, zu welchem Zins die Geschäftsbanken selbst Kredite an ihre Kunden vergeben. Und er bestimmt grob, wie viel Geld die Geschäftsbanken so in Umlauf bringen können. Ist er hoch, verleihen die Banken wenig Geld. Ist er niedrig, verleihen die Banken mehr Geld. So steuert die Zentralbank indirekt die Inflation und über die Kreditvergabe auch indirekt, wie günstig sich Unternehmen Geld leihen können.
Finanzexperten sind skeptisch
Wenn kaum mehr jemand die öffentlichen Währungen wie in Europa den Euro benutzt, dann hat die Zentralbank natürlich weniger Einfluss auf die Geldpolitik. Das zeigt, warum Experten sich Sorgen machen. In Schweden, wo die Menschen seit Jahren immer häufiger digital zahlen, hat die Zentralbank schon 2017 überlegt, eine digitale Zentralbankwährung einzuführen, die E-Krona. Mit der Facebook-Währung Libra, die es weltweit geben sollte, schwappte die Diskussion auch nach Deutschland. Denn plötzlich gäbe es eine Alternative zum Euro, die für die EZB nicht steuerbar wäre.
Das bereitet nicht nur Zentralbankern Sorgen. Das Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) fragte kürzlich 350 Finanzexperten aus Banken, Versicherungen und großen Industrieunternehmen nach ihren Einschätzungen zu digitalen Währungen. Rund 88 Prozent waren der Überzeugung, dass digitale Währungen ohne enge regulatorische Aufsicht eine Gefahr für die Finanzstabilität darstellen.
Wenn die Menschen so gerne digital bezahlen und die Digitalwährungen so gefährlich sind, warum sollten also nicht die Zentralbanken ihre eigene Währung herausbringen? Sie hoffen so eine überzeugende und stabile Alternative zu den Digitalwährungen zu bieten. So könnten sie die Kontrolle über die Geldpolitik sicherstellen. Ob sie das Ziel erreichen, hängt jedoch davon ab, wie die digitale Zentralbankwährung funktionieren würde, und warum Menschen überhaupt digitale Währungen nutzen.
Digitale Wallets für das Zentralbankgeld
Bisher geben Zentralbanken Geld auf zwei Arten heraus: Einmal verleihen sie Zentralbankgeld an Geschäftsbanken gegen Sicherheiten wie Staatsanleihen. Dieses Zentralbankgeld ist schon elektronisch, bloß haben normale Menschen keinen Zugriff darauf. Die Banken benutzen es als reine Rücklage für das Geld auf den Girokonten. Kunden der Geschäftsbanken können nur über ihr Bankkonto indirekt am Zentralbankgeld teilhaben. Das Geld auf den Girokonten kommt von den Geschäftsbanken selbst. Daneben gibt es Münzen und Scheine. Die kommen auch von der Zentralbank, aber jeder kann sein Geld auf dem Girokonto der Geschäftsbanken gegen Zentralbankgeld in Form von Münzen und Scheinen eintauschen.
Eine digitale Zentralbankwährung könnte diese Aufteilung ändern. Sie könnte zum Beispiel jedem erlauben, direkt ein Konto bei der Zentralbank zu eröffnen. Wie die Geschäftsbanken es schon jetzt haben. Mit digitalem Zentralbankgeld. Ähnlich wie die Zentralbank Zinsen auf das Geld der Banken gibt, könnte die Zentralbank sogar direkt Zinsen auf das Konto bei ihr geben. Wer ein Konto bei der Zentralbank hat, bekommt dann gleich den Zins von der EZB – wie die Geschäftsbanken. Und die Zentralbank könnte ihre Geldpolitik dann direkt umsetzen. Eine andere Idee ist, Zentralbankgeld auf digitale Wallets zu laden.
Im Gegensatz zur Nutzung weiterer privater Digitalwährungen müssten Unternehmen und Kunden, die diese digitale Zentralbankwährung verwenden würden, ihre Zahlungen auch nicht auf mehrere Systeme einstellen. Das würde Kosten sparen und kommt zum Tragen, wenn eines Tages vernetzte Maschinen automatisch bezahlen, das Auto zum Beispiel für den Parkplatz.
Kunden würden ihre Gelder von den Banken abziehen
Warum gibt es diese digitalen Zentralbankwährungen dann nicht schon längst? Damit haben sich schon zahlreiche Autoren und Studien beschäftigt. Eine häufig genannte These: Kunden würden ihre Gelder aus Banken abziehen und auf die Konten der Zentralbanken überweisen. Denn die Zentralbank könnte mit Einführung einer digitalen Zentralbankwährung den Geschäftsbanken Konkurrenz machen. In Krisenzeiten würden Kunden ihr Geld von den Girokonten in sicheres Zentralbankgeld umwandeln, so wie sie es heute in Bargeld umwandeln können. Damit würden die Banken instabiler. Banken könnten dem entgehen, indem sie einen höheren Zins bieten als die Zentralbank. Aber ohne Tests des Systems bleiben Zentralbanken hier skeptisch.
Und dann bleibt da noch die Frage, warum Menschen überhaupt digitale Währungen wie Libra und Co. benutzen möchten. Zum einen natürlich, weil sie immer mehr online kaufen. Das geht nur digital. Aber das können sie auch von ihrem Girokonto aus. Dafür braucht es keine Kryptowährung oder Stablecoins. Nur wenn es ganz wenig Bargeld gibt wie in Schweden und viel Geld auf Girokonten, könnte ein bestehendes Geldsystem instabiler werden. In den meisten Ländern auf der Welt ist das noch nicht der Fall.
Kryptowährungen aber bieten – zum anderen – anonyme Zahlungen wie Bargeld, bloß digital. Eine digitale Zentralbankwährung könnte das nicht leisten, wenn jeder ein Konto bei der Zentralbank hätte. Denn das wäre wahrscheinlich nicht anonym. Ob die Zentralbank eine anonym handelbare Währung herausgeben möchte, ist fraglich. Denn hier könnte sie leicht die Übersicht verlieren. Handel in Kryptowährungen ist hingegen anonym möglich.
Keine Abhängigkeit von einer zentralen Institution
Ein weiterer Vorteil der Kryptowährungen ist, dass sie nicht von einer zentralen Institution in einem Land abhängig sind. In vielen Entwicklungsländern sind die Zentralbankwährungen nämlich nicht stabil und auch nicht komplett unabhängig. Die Dezentralität der Kryptowährungen aber erst recht die eines privaten Stablecoin, der zwar nicht unbedingt anonyme Zahlungen, dafür aber Stabilität verspricht, wären ein echter Vorteil. Menschen in Ländern mit weniger stabilen Währungen hätten also Anreize, zu privaten Währungen zu wechseln. Dem könnten diese Länder kaum mit eigenen digitalen Zentralbankwährungen entgegentreten. Die wären schließlich genauso instabil wie ihre Währung.
Dann sind da noch die kostenlosen Überweisungen, mit denen Facebooks Libra zuletzt geworben hatte. Auch die könnten digitale Zentralbankwährungen nicht unbedingt leisten. Denn im Gegensatz zu internationalen Währungen müsste hier zwischen zwei Währungsräumen noch immer Geld von einer Währung in eine andere umgetauscht werden. Von Euro in Dollar zum Beispiel. Dahinter liegt ein administrativer Prozess und ein – wenn auch häufig geringes – Wechselkursrisiko.
Was bleiben würde, ist eine neue digitale Zentralbankwährung, die zwar stabiler ist als private Digitalwährungen, die aber nicht alle Vorteile anderer Digitalwährungen bietet.
Eine Umfrage der Bank für internationale Zahlungsausgleich unter Zentralbanken zeigte: Kurzfristig werden 85 Prozent der befragten Zentralbanken eher keine digitale Zentralbankwährung ausgeben. Und auch die Finanzexperten, die das ZEW befragte, glauben nicht daran, dass man in Deutschland im kommenden Jahr mit digitalem Zentralbankgeld einen Kaffee zahlen kann. Nur vier Prozent erwarteten das. Dass man ihn mit Bitcoin zahlen kann, erwarten immerhin 13 Prozent der Finanzexperten.
Für Ende 2030 aber erwarten schon 23 Prozent der Befragten, dass digitale Währungen das Hauptzahlungsmittel sein werden. In welcher Form bleibt fraglich.