Fabio De Masi kommentiert einmal im Monat Entwicklungen aus der „neuen Finanzwelt“ für Finance Forward (Bild: imago/Andre Lenthe)

Die vier Probleme eines digitalen Euro – und wie sie sich lösen lassen

In einer zweiteiligen Serie befasst sich unser Kolumnist, der Wirecard-Aufklärer Fabio De Masi, genauer mit dem digitalen Euro. Die Banken fürchten, dass Geld schlagartig abgezogen wird – doch es erzeugt auch Druck auf die Banken, der für Verbraucher positiv sein könnte. Konkrete Probleme sehe er auch, doch sie lassen sich lösen, wenn der politische Wille besteht, kommentiert Fabio De Masi. Den ersten Teil dieser Kolumne findet ihr hier.

Das wichtigste Argument von Teilen der Bankenlobby gegen einen digitalen Euro lautet: Die Banken bekommen Konkurrenz. Die Menschen könnten künftig ihre Euro lieber in einem digitalen Euro-Konto führen, dass von der EZB garantiert wird. Die Angst: Die Profite der Geschäftsbanken kommen unter Druck, da sie die billigen Kundeneinlagen verlieren. Es ist zudem nicht Aufgabe der Zentralbank das Kundengeschäft zu führen. Eine Bewertung von Kreditrisiken kann eine Zentralbank nicht leisten. Kunden würden also in Phasen niedriger Zinsen ihre Einlagen massenhaft zur EZB umschichten. Denn wenn die Ersparnisse bei der EZB sicherer sind, gäbe es keinen Grund die Einlagen bei der Hausbank zu führen.

Ich halte diese Sorge für übertrieben. Denn Geschäftsbanken mit soliden Geschäftsmodell und Einlagensicherung müssen einfach nur einen höheren Zins bieten, um Einlagen einzuwerben. Dies senkt die Profitabilität. Würde die EZB die digitalen Euro-Guthaben bei der Zentralbank aber nicht verzinsen, würde sich zur jetzigen Situation kaum etwas verändern. Daher ist eine gewisse Konkurrenz zu den Banken sogar wünschenswert. So wie verfügbarer öffentlicher Wohnraum die privaten Mieten dämpft, könnte die EZB damit den Druck auf riskante Geschäftsmodelle oder hohe Profitmargen zu Lasten der Kunden erhöhen.

Außerdem benötigen Banken auch – anders als oftmals behauptet – keine Einlagen, um Kredite zu vergeben. Banken finanzieren sich überwiegend über Schuldverschreibungen. Kundeneinlagen sind für Banken schlicht billiger. Um diese Bedenken aufzugreifen, wird jedoch über Höchstgrenzen für Kundeneinlagen bei der EZB diskutiert. Das Problem: Sind diese Grenzen sehr niedrig, stellt sich die Frage, warum Kunden dann den digitalen Euro nutzen sollten.

Wie sieht der konkrete Vorschlag aus?

Um den Vorschlag der EU-Kommission für den digitalen Euro besser zu verstehen, sind vier Unterscheidungen hilfreich, die von der Digital Euro Association (DEA) vorgeschlagen wurden: Erstens, eine „Online-Obergrenze“. Diese entspricht dem Höchstbetrag an digitalen Euro, der auf einem „digitalen Euro-Konto“ (das Konto, welches im Auftrag der Zentralbank beim Zahlungsdienstleister geführt wird) gehalten werden darf. Zweitens, die „Offline-Obergrenze“. Diese entspricht dem Höchstbetrag, der auf einem lokalen Speichergerät (zB einer Art Prepaid-Karte, einer Wallet o.ä.) für anonyme Transaktionen analog zum physischen Bargeld gehalten werden darf. Drittens, die „Transaktionsgrenze“. Dabei geht es um den Maximalbetrag, der wie bei einem Überweisungslimit bei einer einzelnen Transaktion übertragen werden darf. Viertens, das „verknüpfte Konto“. Dies kann etwa ein normales Bankkonto sein, das mit dem digitalen Euro-Konto verknüpft wird. Transaktionen, die die Online-Obergrenze übertreffen sollen, auf dieses Konto übertragen werden.

Zahlungsdienstleister sollen laut des Vorschlags Transaktionen mit dem digitalen Euro mit einer „angemessenen Gewinnspanne“ übermitteln, die von der EZB überwacht werden soll. Aus meiner Sicht kann der digitale Euro nur an Akzeptanz gewinnen, wenn Transaktionen deutlich günstiger ausfallen als bei übrigen Bank-Dienstleistungen. Wie das jedoch sichergestellt werden kann, ist bisher unklar.

Laut Art. 34 des Vorschlags für eine EU-Verordnung sollen Zahlungsdienstleister Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, dass die der EZB, nationalen Zentralbanken und Anbietern von Unterstützungsdiensten übermittelten Daten keine „direkte Identifizierung“ der Nutzer ermöglicht. Die EU-Kommission soll zugleich gemäß ihres Vorschlags Transaktions- und Obergrenzen für die Offline-Bestände festlegen (also das Speichergerät für „digitales Bargeld“). Dies entspräche dann einer Art Bargeldobergrenze. Die EZB soll hingegen für die Online-Obergrenze auf den Konten zuständig sein.

Die DEA hinterfragt in einer Stellungnahme zum Kommissionsvorschlag wie die EZB solche Höchstgrenzen für Zahlungen mit dem digitalen Euro durchsetzen will „ohne in Echtzeit auf Benutzerdaten zuzugreifen, um festzustellen, ob mehrere Konten mit digitalen Euro-Beständen vorhanden sind“. Denn die EZB müsste dazu ja auch wissen über wie viele digitale Euros ein Nutzer auf einem Offline-Speichermedium verfügt. Die DEA bemängelt auch das Risiko von Hackerangriffen, wenn zu viele Daten bei der EZB zentralisiert wären.

Damit Obergrenzen nicht zur Geldwäsche unterlaufen werden, ist ein solcher Datenabgleich kaum vermeidbar. Es muss aber sichergestellt werden, dass Offline-Transaktionen nicht nachvollzogen werden können, um eine echte Entsprechung zum Bargeld zu schaffen. Wenn dies nicht möglich ist, verstärkt dies die Notwendigkeit Bargeld vor einer Verdrängung zu schützen.

Es gibt vier weitere Unklarheiten, die adressiert werden müssen:

Erstens, was ist mit jenen Menschen, die wie Wohnungslose heute bereits kein reguläres Bankkonto erhalten? Wenn der digitale Euro unterstützen soll, dass es ein Konto für Jedermann gibt, müssen diese Menschen auch ohne reguläres Bank-Konto ein digitales Euro-Konto erhalten. Dies könnte aber im Widerspruch zu den Bestimmungen in Artikel 13 (4) des Vorschlags der EU-Kommission stehen, der eine Verknüpfung mit einem Zahlungskonto bei der Bank vorsieht.

Zweitens, der Bargeld-Befürworter und Handelsblatt-Redakteur, Norbert Häring kritisiert den Artikel 5 Nr. 1 (b) der vorgeschlagenen Bargeldverordnung. Demnach dürfen Geschäfte, abweichend von der grundsätzlichen Annahmepflicht, die Bargeldannahme verweigern, wenn das vorher zwischen Zahler und Empfänger vereinbart wurde. In der rechtlichen Praxis würde jedoch davon ausgegangen, dass der Kunde dem Bargeldausschluss zugestimmt habe, wenn ein Geschäft (oder gar staatliche Stellen) seine Ablehnung von Bargeld vor einer Transaktion deutlich kommuniziert hat. Wir kennen das von den Schildern: „Nur Kartenzahlung“.

Für den digitalen Euro soll diese Ausnahme jedoch entkernt werden, indem verboten wird, die Annahme des digitalen Euro durch einseitige Erklärung in den Geschäftsbedingungen auszuschließen. Die Annahmepflicht für den digitalen Euro soll auch dann gelten, wenn ein Geschäft die Bargeldannahme ausschließt. Die EU-Kommission beansprucht aber auch die Kompetenz, in Eigenregie weitere Ausnahmen von der Annahmepflicht für Euro-Bargeld einzuführen. Die EU-Kommission würde das Vertrauen in den digitalen Euro daher stärken, wenn sie nicht nur die Annahmepflicht des digitalen Euros, sondern auch von Bargeld bis zu gewissen Obergrenzen verankern würde.

Dieser Kritik hat sich mittlerweile auch die EZB in einer Stellungnahme vom 13. Oktober 2023 angeschlossen. Sie schreibt dort, dass einseitige Ausschlüsse von Bargeld „Ex-Ante“ (im Voraus) durch Einzelhändler oder Dienstleister ausgeschlossen werden müssen und fordert die EU-Verordnung dahingehend anzupassen, „dass einseitige Ex-ante-Ausschlüsse von Bargeld verboten sind.“ Die EZB fordert „klarzustellen, dass (…) „sowohl Praktiken des Bargeldverbots (z. B. “Kein Bargeld”-Schilder an Geschäftseingängen oder Verkaufsstellen) als auch Vertragsbedingungen, die nicht individuell ausgehandelt wurden (z. B. vorformulierte Standardverträge)“ unzulässig seien.

Drittens, kritisiert Häring, dass die EU-Kommission den digitalen Euro damit begründet, dass die Euro-Zone unabhängiger von US-Finanzdienstleistern werden solle. Gleichwohl wolle die EZB einen Teil ihrer IT-Anwendungen in die Cloud verlagern und dabei auch auf Dienste großer US-Dienstleister wie Amazon Web Services (AWS), Microsoft und Google setzen. Ich hatte bereits 2014 in meiner Zeit im EU-Parlament enthüllt, dass die EZB zentrale Kommunikation über den IT-Dienstleister Verizon abwickelt. Es wurde jedoch im Zuge der NSA-Affäre bekannt, dass Verizon verpflichtet wurde, eng mit den US-Sicherheitsbehörden, zusammenzuarbeiten. Um Spionage abzuwehren, hatte das deutsche Innenministerium die Zusammenarbeit mit Verizon beendet. Die EZB hielt damals an der Zusammenarbeit fest. Die EZB hat hier in ihrer Technologiepolitik ein Glaubwürdigkeitsproblem.

Viertens, um die Übertragung der Geldpolitik zu verbessern, sollte die EZB aus meiner Sicht durchaus in begrenzte Konkurrenz zu den Banken treten. Damit es Nachfrage des Publikums nach Zentralbankgeld bzw. digitalen Euros gibt, könnte etwa erwogen werden in Stresssituationen niedrig verzinste Kleinstkredite und Hilfen, wie sie etwa in der Corona-Pandemie vom Staat gewährt wurden, über digitale Euro-Konten abzuwickeln. Wenn es sich ohnehin um staatlich besicherte Hilfen handelt, die durch Förderbanken oder staatliche Stellen abgewickelt werden, wäre dies für die EZB unproblematisch. Denn es bestünden öffentliche Bürgschaften bei Kreditausfällen. Die EZB kann ohnehin frei bilanzieren und aufgrund ihrer Seigniorage-Gewinne, die bei der Geldschöpfung entstehen, und des Geldschöpfungsmonopols sogar negatives Eigenkapital verkraften.

Debatte in Parlament und Öffentlichkeit holen

Ich war 2018 einer der ersten Politiker, der sich als Antwort auf Facebook, Apple und Alibaba Gedanken zum digitalen Euro machte und versuchte diese Debatte auch in den Bundestag zu holen. Fünf Jahre später fordern nun Abgeordnete zu Recht ein stärkeres Mitspracherecht.

Auch mein früherer Kollege im Europäischen Parlament, der Bundesbankvorstand Burkhard Balz, betont regelmäßig, dass die Einführung eines neuen gesetzlichen Zahlungsmittels keine technokratische Entscheidung der Europäischen Zentralbank sein darf, sondern in die Parlamente gehört. Die Aufgabe des Parlaments wiederum wäre es die Öffentlichkeit zu befähigen eine informierte Debatte zu führen. Viel Zeit bleibt dazu nicht mehr.


Compliance-Hinweis: Fabio De Masi ist Experte der Digital Euro Association (DEA). Der Frankfurter Think Tank, hat sich auf Krypto-Assets, Stablecoins, digitale Zentralbankwährungen (CBDC) und andere Formen des digitalen Geldes spezialisiert. Experten stehen ehrenamtlich für kritischen Austausch mit der DEA zur Verfügung. Darunter befinden sich auch Kritiker des digitalen Euros, wie etwa Prof. Peter Bofinger. Unser Kolumnist hat bisher an keinen DEA-Formaten teilgenommen und sich in der Vergangenheit auch immer wieder kritisch zu Krypto-Assets und ähnlichen Themen geäußert.