Deutschland torpediert „Payment for Order Flow“-Verbot
Deutschland will das in der EU diskutierte „Payment for Order Flow“-Verbot verhindern, wie aus internen Dokumenten hervorgeht. Das Bundesfinanzministerium stellt sich damit vor Neobroker wie Trade Republic.
Spektakuläre Wende im „Payment for Order Flow“-Streit: Deutschland will das von der EU-Kommission geplante Verbot der umstrittenen Vergütungspraxis nach Informationen von Finanz-Szene und Finance Forward torpedieren. In einem vertraulichen Positionspapier der Bundesregierung, das uns exklusiv vorliegt, heißt es wörtlich und in aller Deutlichkeit: “Germany strongly opposes the inclusion of the general ban on payment for forwarding client orders for execution.”
Als „Payment for Order Flow“ werden spezielle Kickbacks im Aktienhandel bezeichnet. Konkret funktioniert dieses Modell so, dass Retail-Broker von den Handelsplätzen, über die sie ihre Kauf- und Verkaufsorders abwickeln, hierfür Zahlungen erhalten. Entsprechend günstiger können die Broker ihre Dienstleistungen gegenüber dem Endkunden anbieten.
Zwar kassieren auch hergebrachte Player wie beispielsweise die ING Diba, Comdirect oder FlatexDegiro entsprechende Vergütungen. Kritischer sind die umstrittenen Zahlungen allerdings für Neobroker wie Trade Republic, da diese über „Payment for Order Flow“ einen ganz wesentlichen Teil ihrer Erträge generieren. Würden die Kickbacks – wie von der EU-Kommission geplant – verboten, müssten die Fintech-Broker ihr Erlösmodell vermutlich neu ausrichten. Angesichts des massiven Widerstands bezweifeln von Finanz-Szene befragte Insider inzwischen allerdings, dass die im Ende November präsentierten Verbotspläne wirklich Gesetz werden. Zumal Brüssel zuletzt gegenüber Branchenvertretern inzwischen durchblicken lassen hat, das eigene Vorhaben nochmals zu überprüfen.
Das BMF schlägt sich auf die Seite von Trade Republic
Das deutsche Positionspapier, datiert auf den 7. März, stammt aus der Feder des Bundesfinanzministeriums und ist adressiert an den Rat der Europäischen Union – also das Brüsseler Vertretungsorgan der EU-Mitgliedstaaten. Auf fünf Seiten und in ungewöhnlich scharfen Worten bezeichnet der BMF den Vorschlag, „Payment for Order Flow“ zu untersagen, als „voreilig“. Die Autoren argumentieren, in der empirischen Praxis fehlten „jegliche Belege“ dafür, dass das Verbot im Sinne derjenigen sei, die durch das Verbot geschützt werden sollen – nämlich die Anleger. Eine BMF-Sprecherin bestätigte die Urheberschaft des BMFs für das „Non Paper“, wollte aber nicht weiter Stellung nehmen.
Zwar bestreitet die im Papier genannte „deutsche Delegation“ nicht grundsätzlich, dass die Zahlungen der Handelsplätze an die Retail-Broker einen potenziellen Interessenkonflikt bergen. Allerdings: Die bisherigen regulatorischen Rahmenbedingungen (die den Marktteilnehmern beispielsweise eine „bestmögliche Ausführung“ der Aktienorders vorschreiben) würden den drohenden Interessenkonflikt „hinreichend reflektieren“.
Interessanterweise heißt es in dem Papier auch, ein PFOF-Verbot wäre ein „herber Rückschlag für die gerade beobachtete aktivere Teilnahme von Retail-Investoren in Finanzmärkten, insbesondere durch Neobroker“. Und weiter: Allein in Deutschland hätten in den vergangenen Jahren zwei Millionen Anlegerinnen und Anleger erstmals in den Aktienmarkt investiert – eine Entwicklung, zu der die Neobroker „signifikant“ beigetragen hätten.
Wer will, kann hierin durchaus eine Parteinahme der Bundesregierung für die hiesigen Neobroker wie FlatexDegiro, Trade Republic oder Scalable Capital sehen – und eine Schwächung der Position der Deutschen Börse, die ebenso wie Euronext darunter leidet, dass der Retail-Handel zunehmend auf alternative Handelsplätze wie Tradegate in Berlin oder LS Exchange in Düsseldorf wandert.
Warum die Deutsche Börse gleich doppelt verlieren könnte
Ebenfalls interessant: Das BMF schreibt, bevor man „weitere Verbote“ erlasse und damit möglicherweise „gefährliche Nebeneffekte“ auslöse, brauche es erst einmal dringend „weitere Marktdaten“. Dieses Argument zielt allem Anschein nach auf die von der EU-Kommission ebenfalls angestrebte, verpflichtende Einführung des sogenannten „Consolidated Tapes“ ab. Hintergrund: Mit dem „Consolidated Tape“ würden sämtliche Akteure gezwungen, für Transparenz bei den Markt- und Abwicklungsdaten zu sorgen, damit sich in Echtzeit oder zumindest ex post feststellen lässt, ob Anleger bei der Abwicklung ihrer Trades womöglich übervorteilt werden.
Tatsächlich ist auch die Einführung dieses „Consolidated Tapes“ heftig umstritten. Denn auch dieses Konstrukt würde insbesondere die Deutsche Börse und die Euronext empfindlich treffen: Beide verdienen nicht nur am Börsenhandel, sondern an den seit Jahren steigenden Lizenzgebühren für die Nutzung von Marktdaten. So erwirtschaftete die Deutsche Börse alleine 2021 im Index- und Analytikgeschäft einen Vorsteuergewinn von 181 Millionen Euro, was einem Anstieg von 46 Prozent zum Vorjahr entsprach. Das „Consolidated Tape“ würde die Datenanbietern der Exklusivität ihres „Rohstoffs“ berauben. Dem Vernehmen nach plädieren die Börsen daher auch dafür, lieber „ex ante“ für Transparenz zu sorgen: Anleger sollten schon bei Orderabgabe genau Provisionen, Gesamtpreise und die günstigsten Handelsplätze sehen – anstatt ihnen die Möglichkeit zu geben, „ex post“ zu prüfen, ob sie woanders womöglich besser weggekommen wären.
Heißt: Wenn das „Consolidated Tape“ kommt, das „PFOF“-Verbot aber nicht, – dann hätten die großen Börsenbetreiber gleich doppelt verloren.