Wirecard-Shortseller Fraser Perring stellte bei der FFWD22-Konferenz sein nächstes Short-Target vor (Bild: Finance Forward)

570 Millionen Dollar Verlust: Was wurde aus der neuen Wette des Wirecard-Shortsellers Fraser Perring?

Im Mai hat der bekannte Wirecard-Shortseller Fraser Perring den börsennotierten Startup-Investor Sofina als nächstes Ziel ausgerufen, er sagte einen Kursverfall voraus. Grund dafür war die indische Portfoliofirma Byju’s, mit einer Bewertung von 22 Milliarden Dollar – bei der geht es nun drunter und drüber. Was ist passiert?

Mitte Mai in Hamburg, gleich mehrere Hundert Menschen holen gleichzeitig ihr Handy aus der Tasche. „Wir werden jetzt einen 22-Milliarden-Dollar-Betrug aufdecken“, sagt Fraser Perring vor ihnen auf der Bühne. Dann fordert er die Zuschauer der Finance-Forward-Konferenz auf, über Google ein bestimmtes Unternehmen zu recherchieren, der 48-jährige Brite leitet das Publikum an. „So einfach ist Shortselling“, fasst der Mann, der half, Wirecard zu Fall zu bringen, seine Vorstellung zusammen. Als sogenannter Shortseller wettete er auf einen Kursverfall von Unternehmen.

Die Präsentation und Perrings Verdacht drehten sich im Frühjahr um „das größte Startup Indiens“: die Bildungsplattform Byju. Die junge Firma wird zwar noch nicht an der Börse gehandelt – aber mit Sofina einer ihrer größten Investoren. Vor Perrings Ankündigung Mitte Mai handelte die Aktie bei rund 276 Euro. Am Nachmittag um 16.30 Uhr, nach der Präsentation, hatte die Aktie von Sofina etwa acht Prozent verloren. Byju ist kein offensichlicher Fall, denn auch hochkarätige Investoren wie Blackrock und Sequoia India sind investiert.

Das von Byju Raveendran und Divya Gokulnath gegründete Edtech-Unternehmen war zu dem Zeitpunkt laut öffentlichen Quellen mit 22 Milliarden Dollar bewertet und hatte angeblich 115 Millionen registrierte Kunden. Doch Perring misstraut den offiziellen Angaben. „Sie betrügen die Leute in Indien“, sagte er. Jetzt hat Byju’s, Sponsor der Fußball-WM in Katar, verspätet Zahlen für 2021 vorgelegt – und die haben es in sich. Ein Teil des Verdachts hat sich nun offenbar bewahrheitet.

Steigende Verluste einer Bildungsplattform im Coronajahr

Immer wieder hat das Unternehmen Fristen verpasst. Den Jahresabschluss für das Geschäftsjahr bis März 2021 legte es fast 18 Monate zu spät vor. Und die Zahlen sind erschreckend.

Einem Umsatz von 305,5 Millionen US-Dollar stehen Ausgaben von 879,6 Millionen Dollar gegenüber – Byju’s verzeichnete im Geschäftsjahr mehr als eine halbe Milliarde Verlust, wie die Financial Times berichtete. Der Verlust ist 13-mal höher als im Vorjahr.

Die Tatsache, dass Byjus miserable Zahlen aus einem Pandemiejahr stammen, in dem das Geschäft mit Bildungstechnologien seinen historisch größten Aufschwung erlebte, ist noch erschreckender. Zum Vergleich: Die Umsätze der Konkurrenten Unacademy und Vedantu stiegen im gleichen Zeitraum um das sechs- beziehungsweise dreifache.

Bereits im vergangenen Jahr hatte Byju’s, das eigenen Angaben zufolge 50.000 Mitarbeiter weltweit beschäftigt, den Weg an die Börse über einen SPAC in Erwägung gezogen  – zu einer Bewertung von bis zu 40 Milliarden Dollar. Byju’s konnte die hohen Verluste durch neue Kapitalspritzen von Investoren und Kreditgebern ausgleichen, die das Unternehmen am Leben gehalten hatten. Sobald es schwieriger wird, Kapital aufzunehmen muss das Unternehmen seine tatsächlichen Umsätze steigern. Eine Finanzierungsrunde zieht sich Berichten zufolge bereits seit Sommer hin. Investoren wie Sumeru Ventures haben etwa 250 Millionen Dollar des angestrebten Betrags nicht überwiesen, obwohl sie bereits zugesagt waren. Der Wagniskapitalgeber begründet den Schritt mit der Marktlage.

Zahlentricks in Indien?

Perring hatte im Mai bereits Zweifel der Bewertung von Byju’s geäußert, unter anderem weil das Unternehmen weniger durch Bildungsangebote als durch den Verkauf von Elektronik-Geräten Geld verdiene. „Sie verbuchen Umsätze mit Tablets, die sich die Leute gar nicht leisten können“, sagte er.

Nach dem jüngsten Bericht hat das Unternehmen in der Vergangenheit Einnahmen, die aufgrund von Ratenzahlungen über mehrere Jahre hinweg anfallen, in einem verbucht. Das berichtet das Tech-Medium The Morning Context. 90 Prozent der Tablet- und SD-Karten-Verkäufe von Byju‘s entfallen demnach auf Drei- bis Fünfjahrespläne.

Das Startup könnte zudem seine Zahlen mit Tricks geschönt haben, heißt es in dem Artikel. Dem Geschäftsbericht zufolge sind die Umsätze in Indien im Vergleich zum Vorjahr um 60 Prozent zurückgegangen.

Die tatsächlichen Umsatzzahlen könnten sich aufgrund von Stornierungen noch einmal ändern, aber mitunter sei der Buchungswert wichtiger, heißt es. Denn die Fähigkeit eines Unternehmens, sich neue Geldmittel zu beschaffen, und damit auch eine höhere Bewertung, hänge weniger von seinem Jahresbericht aus dem Vorjahr als vielmehr von den Buchungen der letzten Monate ab, schreibt The Morning Context. Sie sind ein Indikator für das zukünftige Geschäft.

Wenn auf die stolze Verkündung eines durch die Pandemie getriebenen starken Wachstums der Abonnentenbasis nur ein deutlicher Rückgang im Umsatz folgt, dann muss etwas im System nicht stimmen, lautet das Urteil des Portals. Das könne „nur auf die Praxis der gefälschten Verkäufe zurückgeführt werden“, heißt es in dem Bericht.

Bildungsplattform oder Hardwareverkäufer

Byju’s gibt sich als E-Learning-Plattform, anhand der Kinder von zu Hause aus weiterbilden können. „Die Zukunft der Bildung“ steht groß auf der Startseite des Unternehmens. Auf der Grundlage dieses Versprechens werden die Geldgeber hinter dem Startup – und damit auch die belgische Beteiligungsgesellschaft Sofina – ihre Investmententscheidung treffen. Doch die Geschäftszahlen zeigen: Es ist der Verkauf von SD-Karten, der das Geschäft dominiert – er macht mehr als 80 Prozent des Umsatzes aus. Das hat nur bedingt etwas mit der Bildungsbranche zu tun.

Auf dieser Grundlage stellt sich die Frage, wie Byju’s die Bewertung von 22 Milliarden Dollar rechtfertigt. Das bringt Perring zu seinem Short-Ziel: Wenn das indische Unternehmen weniger wert ist, dann ist auch die Bewertung der Sofina-Aktie nicht gerechtfertigt. „Sofina ist kein Betrug, aber seine Beteiligungen sind bewertet, als ob alles perfekt wäre“, sagte Perring im Mai. Sämtliche Wettbewerber wie etwa Softbank seien mit einem Abschlag auf ihre Beteiligungen zwischen 30 und 40 Prozent bewertet.

Es gebe keinen Grund, dass Sofina mit solch einem Aufschlag auf den Aktienkurs bewertet werde. „Das Beispiel Byju’s zeigt, dass der Wert der Investments hochgradig in Frage steht und selbst die Mitarbeiter von Byju’s äußern in Videos ernsthafte Zweifel an dem Investment“, so Perring. „Selbst wenn man also an Sofina glaubt, sollte man unter die Oberfläche schauen.“

Im Mai stand der Kurs der Sofina-Aktie noch bei 257 Dollar. Inzwischen sind es noch rund 177 Dollar – Tendenz sinkend. Wie viel das mit der Beteiligung an Byju’s zu tun hat, darüber lässt sich höchstens spekulieren. Neben dem indischen Startup sind noch der deutsche Lieferdienst Gorillas oder die Online-Handelsplattform Vinted im Portfolio der Belgier.