Auf Betrügerjagd: Eine Steuerfahnderin packt aus
Steuerfahnderin Birgit Orths hat bei Clan-Kriminalität, bei Cum-Ex-Deals und Steuerhinterziehung, in Geldwäsche-Verfahren, bei den Panama Papers und bei Korruptionsvorwürfen ermittelt. In ihrem Buch „Als Steuerfahnderin auf der Spur des Geldes“ erzählt sie aus der Insiderperspektive, wie sie gegen organisierte Kriminalität vorgeht. In diesem Auszug berichtet sie von einer Recherche rund um den Handel mit Emissionszertifikaten.
Auf meinem Tisch liegt ein sogenannter Neuzugang, also Post. Es ist eine Geldwäsche-Verdachtsmeldung einer Bank aus Essen zu den Firmen Koks GmbH* und Handycell GmbH. Moment mal, das waren doch die beiden Firmen, bei denen die Kollegin vom Finanzamt angefragt hatte. Ihr kam da ja einiges komisch vor. Mal reinsehen. Bin jetzt sehr neugierig.
Fällt Banken eine für den Kunden ungewöhnliche oder besonders hohe Geldtransaktion auf, bei der eine Straftat vorliegen könnte, sind sie verpflichtet, dies den Strafverfolgungsbehörden mitzuteilen. Bei dem Vorgang handelt es sich nicht um eine Anzeige, sondern nur um eine Meldung zur Überprüfung. So eine habe ich jetzt hier vorliegen. Ich schaue mir die Meldung und die ihr angehängten Dokumente an und stolpere sofort. Was sind das denn für Beträge?
Ich suche im bundesweiten Handelsregister die Firma Grünspan. Gesellschafter ist ein britischer Staatsangehöriger mit pakistanischen Wurzeln, die Adresse der Firma ist ein Büroservice. Der Unternehmenszweck: Handel mit Emissionszertifikaten! Das glaube ich jetzt nicht. Ich muss mich dringend mal mit einer Kollegin aus Hessen kurzschließen, denn da sitzt diese Firma Grünspan.
Auch die Handycell verzeichnet schon hohe Umsätze auf dem Konto. Außerdem, ich blättere die Listen weiter, stehen da Geldeingänge einer Firma aus Dubai drauf. Wie kommen zwei gerade erst gegründete Firmen – und dies von einem laut Aussagen der Kollegin eher unbeholfen wirkenden Geschäftsführer aus Düsseldorf – zu Geldeingängen aus Dubai und überhaupt zu derart hohen Umsätzen?Ich zeige die Meldungen Fallner, und die fällt fast vom Stuhl. „Gibt’s doch nicht. Wie geht das denn?“ Ich zucke mit der Schulter. „Tja, da ist wohl Aufklärungsbedarf.“ Das stinkt zum Himmel, meint sie. „Ich versuche mal, was Näheres herauszufinden“, sage ich und verschwinde in mein Büro.
Mein erster Plan: Ich fahre jetzt mal bei den Adressen der Koks und Handycell vorbei. Das nennt man eine Ortsbesichtigung. Die läuft so, dass möglichst niemandem auffällt, dass man sich für ein Büro oder eine Wohnung oder ein Haus interessiert. Firmen, die nicht legalen Geschäften nachgehen, sind mitunter sehr wachsam, weshalb leicht auffällt, wer um ein Büro oder Haus herumschleicht oder Klingelschilder studiert. Wird man bei einer Ortsbesichtigung angesprochen, braucht es Ausreden „Habe gehört, hier wird eine Wohnung frei, wollte mir mal das Haus von außen ansehen“, passt manchmal. Ich habe auch schon mal eine Baseballmütze aufgesetzt und mir ein Bündel alte Reklamezeitungen in die Hand genommen und bin von Tür zu Tür, bis ich dann an dem Haus stand, an dem ich überprüfen musste, ob ein Verdächtiger da wirklich wohnte. Mal sehen, was mich bei Koks und Handycell erwartet.
Ich nehme einen Dienstwagen aus der Tiefgarage und fahre an die entsprechende Adresse. Enge Wohngegend, wenig Parkplätze. Ich parke einige Hundert Meter entfernt und schlendere die Straße herunter. Auf Höhe der Nummer 50, die ich suche, steht kein Haus direkt an der Straße. Es ist eine Toreinfahrt. Ärgerlich. Wie soll ich da unauffällig rein und nachsehen? Ich bleibe einen Moment in der Einfahrt stehen und schaue hinein. Im Hinterhof sehe ich ein Haus, das unten eine Metalltür und zwei Büros mit bodentiefen Fenstern hat. Kein, zumindest kein von hier aus sichtbarer Hinweis auf die Firmen Koks oder Handycell. Mir bleibt nur der Rückzug. Hineinzugehen wäre zu auffällig.
Ich fahre gerade ins Büro, als genau die Kollegin aus Hessen mich anruft, bei der ich mich ohnehin wegen der Firma Grünspan melden wollte.
„Hallo, Tanja, wie geht’s dir?“ Tanja geht es ganz okay, sagt sie, aber deshalb ruft sie nicht an.
„Wir haben bei der letzten Durchsuchung einer Handyfirma was absolut Wahnsinniges gefunden. Also eigentlich war das gar keine Firma, sondern nur ein kleines leeres Büro in einem der großen Büroservice-Hochhäuser. Aber man hat uns das Büro gezeigt, und was, glaubst du, haben wir da gefunden?“
„Du wirst es mir jetzt sicher verraten.“
„In einem Schreibtisch war doch noch was drin. Eine Rechnung über Emissionszertifikate.“
Mir fällt sofort ein, dass die Koks ja so was auch machen wollte, und da war ja die Geldwäschemeldung, dass sie wohl auch schon Rechnungen geschrieben hat, und zwar über die enormen Summen, die wir gesehen hatten. Sie hatte aber doch überhaupt noch keine Steuernummer bekommen, das heißt, sie schreibt schon Rechnungen, obwohl das Finanzamt noch prüft, ob es sich um eine legale oder eher um eine Betrugsfirma handelt.
„Tanja, hilf mir mal bitte auf die Sprünge. Eure angebliche Handyfirma hat tatsächlich die Rechnungen über Emissionszertifikate geschrieben?“, frage ich. „Ja, so sieht es wohl aus, obwohl wir ja bisher nur diese eine Rechnung gefunden haben. Aber das ist doch der Hammer, oder?“
Ist es. Ich denke nach. Also Emissionszertifikate hat doch irgendwas mit Ausstoß von Kohlendioxid zu tun. Wie kommt eine Handyfirma an diese Zertifikate? Wusste gar nicht, dass Handys Kohlendioxid ausstoßen. Vielleicht beim Ausdrucken der Scheinrechnungen? Kleiner Scherz. Muss ich googeln.
„Was macht ihr denn jetzt mit dem Wissen?“, frage ich Tanja. „Werdet ihr dann die andere Firma, die die Rechnung bekommen hat, durchsuchen?“
Tanja muss niesen. „Sicher. Aber warte, es kommt noch besser. Der Staatsanwalt, Herr Isen, der für einige von unseren Verfahren zuständig ist, hat gleich alle Verfahren in dieser Handy-Kette übernommen und will jetzt abfragen, wer solche Rechnungen auch schon gefunden hat, und nachvollziehen, bei welcher Firma die Zertifikate am Ende der Kette landen. Er hat sich umgehört und eingelesen. Es ist wohl so, dass schon im Juli 2007 ungewöhnliche Bewegungen in den dafür vorgesehenen Emissionshandels-Registerkonten aufgefallen sind. Diese Registerkonten werden bei der Deutschen Emissionshandelsstelle (DEHST) geführt. Die hat ihren Sitz beim Umweltbundesamt in Berlin.
Der Handel wird nur über diese Konten in elektronischer Form abgewickelt. So ähnlich wie Aktien. Nur ein Klick, und das Zertifikat wandert von Firma A zur Firma B. Auch werden wohl normalerweise die Zertifikate genau wie Aktien an der Börse oder über die Börse gehandelt. Aber im Sommer 2007 ist denen bei der DEHST schon aufgefallen, dass sich da merkwürdige Veränderungen im Handel und auch bei den handelnden Firmen aufgetan hatten. Sie haben dann über das Umweltbundesamt dem Bundeszentralamt für Steuern die auffälligen Registerbewegungen mitgeteilt.
Die Handelsbewegungen hatten sich explosionsartig vermehrt. Etwas später fiel denen auch auf, dass seit etwa Anfang 2009 auch von einigen europäischen Registerkonten auffällig starke Handelsbewegungen zu unseren nationalen Konten stattfanden und die deutlich von den typischen Handelszyklen aus den Jahren davor abweichen. Diese hohen Handelsbewegungen erfolgten überwiegend über Konten, die von neu gegründeten Unternehmen eröffnet worden waren und über die nun mehrfach täglich unvorstellbar hohe Mengen an Zertifikaten im Wert mehrerer Millionen Euro laufen. Die Zertifikate werden unglaublich schnell weiterübertragen. Die DEHST hat den Verdacht, dass das Modell der Umsatzsteuerhinterziehung, das wir aus dem Handyhandel kennen, jetzt auch beim Handel mit Emissionszertifikaten angewandt wird.“
Puh. Ich bereue, dass ich mir im Auto keine Notizen machen kann. So viel Neues. „Bist du noch dran?“ Ich nicke nachdenklich. „Klar, bin nur etwas sprachlos.“
Wir sprechen über die Beute, den Profit. Der müsste beim Handel von Emissionszertifikaten weitaus höher sein als bei den Handys, die Rechnungen sind ja viel höher. „Und für die Zertifikate brauchen die Betrüger ja auch keine Speditionen mehr. Die Zertifikate werden ja nur elektronisch gehandelt und ohne eine reale Warenbewegung. Das macht die Verschleierung einfacher. Bei den Handys haben uns die Speditionsmappen geholfen, etwas herauszubekommen. Solche Mappen existieren für die Emissionszertifikate gar nicht.“
Der Emissionshandel ist also noch viel missbrauchsanfälliger. Die Zertifikate sind offensichtlich leicht in großer Zahl über Börsen beschaffbar, und das elektronische Emissionshandelssystem ermöglicht außerdem ohne großen Aufwand die Eröffnung neuer Handelskonten und die sekundenschnelle Übertragung auch großer Zertifikatemengen. Gleichzeitig erleichtert es die Einschaltung möglichst vieler inländischer Zwischenhändler in die Ketten. Das wiederum erschwert es, den „Missing Trader“ zu ermitteln, also die erste Firma in der deutschen Kette.
Das Ganze hört sich sehr interessant an. Und mindestens ebenso beängstigend. Wer soll das aufklären? Da kommen ja vielleicht Verfahren von ganz anderer Dimension auf uns zu. Tanja ist unterdessen noch nicht fertig. „Wenn Herr Isen dann weiß, welche bisherigen Handyfirmen jetzt mit den Zertifikaten handeln, will er vielleicht eine große Ermittlungsgruppe gründen, damit alle diese Verfahren mal gebündelt angegangen werden.“
Das hörte sich nach einem Plan an. Und das müsste bei unseren Handy-Verfahren auch so sein. Bisher wollen die Staatsanwälte nämlich immer nur die eine Firma aus ihrem Zuständigkeitsgebiet. Die sehen einfach nicht die Zusammenhänge – und dass man den Betrug viel besser nachweisen kann, wenn man alle Verfahren in einer Kette zusammen bearbeitet.
Der Umsatzsteuer-Betrug scheint in einer bandenmäßigen kriminellen Struktur abzulaufen. Die Taten werden über mehrere Beteiligte hinweg begangen. Da ist es eigentlich absolut notwendig, dass wir auch bandenmäßig zusammenarbeiten. Eine Ermittlungskommission aus einer Hand, also Polizei und Steuerfahndung zusammen, beide unter der Leitung einer einzigen Staatsanwaltschaft. Nicht nur gegen einen Beschuldigten ermitteln, wie wir das gewöhnlich tun, sondern gegen ganze Strukturen. Die Arbeit aufteilen, Infos bündeln, nichts geht verloren. So stelle ich mir das vor. Und so scheint sich das auch der Frankfurter Staatsanwalt Isen vorzustellen.
Gut so.
Das Buch Als Steuerfahnderin auf der Spur des Geldes erscheint im Econ Verlag.
*Um die Persönlichkeitsrechte einiger handelnder Personen zu wahren, wurden Namen, Orte und Personenbeschreibungen verfremdet. Alle in diesem Buch dargestellten Ereignisse, Szenen und Dialoge haben sich aber so wie beschrieben oder in sehr ähnlicher Weise abgespielt.