Das Warten auf die Super-Deals
Europäische Banken investieren mittlerweile häufig in Fintech-Startups. Doch während es in den USA in den vergangenen Monaten wegweisende Milliardenzukäufe gab, wartet die hiesige Finanzbranche bislang vergeblich auf große Übernahmen. Warum?
Vor einigen Monaten analysierte Oliver Holle mit seinem Team das Fintech-Portfolio seines VCs. Mit dem Wagniskapitalgeber Speedinvest ist er an aussichtsreichen Finanz-Startups wie dem Factoring-Anbieter Billie oder der Business-Bank Tide beteiligt. Das überraschende Ergebnis: Bei drei Viertel der Fintechs sind strategische Investoren wie Banken und Versicherungen beteiligt – zu den aktiven Banken im Markt gehören etwa die niederländische ING, die spanische BBVA oder die Commerzbank.
Dabei ist es nicht so, als würde es keine Zukäufe von Banken geben: Erst vor wenigen Tagen hat das französische Institut Société Générale das Fintech Shine übernommen. Als Organisationstool für Selbstständige gestartet fokussierte sich die französische Firma in den vergangenen Jahren immer stärker auf Banking-Angebote für Freelancer. „Das Wachstum war beeindruckend“, sagt Thomas Wilke, der mit dem deutschen Fonds 42Cap früh investiert hat. „Wir sind glücklich mit dem Exit, aber wir hätten gerne weiter investiert.“ Parallel sprach Shine auch mit Wagniskapitalgebern, um das weitere Wachstum zu finanzieren.
„Sie sind zu beschäftigt mit ihren eigenen Initiativen und Herausforderungen“
100 Millionen Euro zahlt die Société Générale für Shine, allerdings in erfolgsabhängigen Tranchen. Die Dimensionen sind damit deutlich überschaubarer als in den USA, wo es seit Jahresanfang bereits drei Milliardenzukäufe von Finanzplayern gab – neben Visa/Plaid (5,3 Milliarden Dollar) Intuit/Credit Karma (7,1 Milliarden Dollar) und SoFi/Galileo (1,2 Milliarden Dollar).
Allerdings steht Shine mit seinen 70.000 Kunden noch am Anfang, die Konkurrenz allein vom französischen Wettbewerber Qonto ist stark. Das große Rennen um Marktanteile ist in vollem Gange.
Für richtig große Deals fehlt es den europäischen Banken aktuell an Mut und Geld. „Sie sind zu beschäftigt mit ihren eigenen Initiativen und Herausforderungen“, sagt Holle. Aktuelles Beispiel: die Commerzbank, die sich im Umbruch befindet. Konzernchef Martin Zielke verlässt das Unternehmen, auch weil er die Ziele verpasst hat. In der Branche gilt das Fintech-Portfolio der Coba als gut, so hat sich das Institut zum Beispiel schon vor ein paar Jahren am US-amerikanischen Player Marqeta beteiligt, der mittlerweile mit 4,3 Milliarden Dollar bewertet ist. „Was bringt ihnen aber ein gutes Portfolio, wenn sie das nicht in ihr Kerngeschäft reinbringen können?“, fragt ein Branchenkenner. Gute Gewinne aus einem Fintechfonds würden die Bank letztendlich nicht retten.
Die erfolgreichen Fintechs sind schon zu groß
Es ist ein generelles Problem von kriselnden Unternehmen: Sie brauchen Innovationen aus Zukäufen, aber die können sie sich nicht leisten. Dabei wäre 2020 ein guter Zeitpunkt, um die Digitalisierung mit Zukäufen „zu beschleunigen“, sagt Startup-Investor Oliver Holle. Die großen Fintech-Player haben derweil wenig Druck, einen Käufer zu finden. N26-Gründer Valentin Stalf machte schon vor eineinhalb Jahren deutlich, dass er „überhaupt“ kein Interesse an einem schnellen Exit habe: „Zumindest für eine deutsche Bank sind wir spätestens jetzt kein Übernahmeziel mehr. Dafür sind wir schlicht zu groß.“
Auch Julian Riedlbauer beobachtet diesen Trend: „Die Fintechs, die den Erfolgsbeweis noch nicht erbracht haben, finden keine Käufer“, sagt der Partner der Investmentbank GP Bullhound. Und die meisten der erfolgreichen Fintechs würden lieber allein weiterwachsen wollen. Die Investorengelder, die ihr Wachstum finanzieren, fließen dabei weiter. Mit den nächsten eingesammelten Millionen steigt aber auch der Bewertungsdruck.
Wer stößt in die Lücke?
Die große Frage ist: Wer stößt in die Lücke? Einen der aufsehenerregendsten Deals der vergangenen Jahre machte Paypal, das das schwedische Payment-Unternehmen iZettle für 2,2 Milliarden Dollar kaufte. Kreditkartenunternehmen wie Mastercard und Visa oder internationale Vermögensverwalter kommen als mächtige Käufer ebenfalls in Frage. Andere Interessenten kommen aus China: Tencent ist bereits an N26 beteiligt. „Für sehr große internationale Finanzplayer sind die meisten europäischen Fintechs noch zu klein“, sagt Riedlbauer. Und so kommt es, dass die guten Firmen jährlich an Wert gewinnen. Die Chancen, dass eine europäische Bank einen großen Fintech-Zukauf macht, sinken dabei.